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GESPRÄCHE

Claudia Siefen im Gespräch mit Masahiro Kobayashi

Der 1954 in Tokyo geborene Regisseur Masahiro KOBAYASHI genießt in Japan nicht nur als Regisseur große Popularität: den meisten Japanern ist er auch als Chansonsänger ein Begriff.
Nach BASHING aus dem Jahr 2005 legt er mit seinem Film AI NO YOKAN (THE REBIRTH) nun eine weitere minutiöse Seelenstudie vor, die bis an die Schmerzgrenze üblicher Kino-Sehgewohnheiten geht: Masahiro Kobayashi in The Rebirth Zu Beginn wird Noriko (Makiko WATANABE) verhört, ihre Tochter hat eine Mitschülerin getötet. Auch Junichi (der Regisseur selbst, Masahiro KOBAYASHI), der Vater der Ermordeten, wird zum Verbrechen befragt und weigert sich in seiner Wut und Trauer, die junge Mutter zu einem Gespräch zu treffen. Rau und sensibel zeigt der Film ein Jahr später, wie sich die Wege der beiden in einer kleinen Ortschaft auf Hokkaido kreuzen, und in kleinsten Details und täglichen Routinen ihre Gefühle für sich zu behalten versuchen. Auf der ewig schneebedeckten nördlichsten Insel Japans haben sich beide eine Art Einzelhaft auferlegt; doch manchmal braucht es nur einen kleinen Schubser, um den Schimmer einer Hoffnung zuzulassen. Wieder einmal darf man sich von dem englischen Verleihtitel nicht irritieren lassen: übersetzt man ihn aus dem japanischen lautet der Titel etwa "Die Vorboten/ Vorzeichen der Liebe". Zur diesjährigen Viennale stellte der Regisseur seinen dialogfreien Film auch in Wien vor, nachdem er beim Festival von Locarno (Schweiz) mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet worden war. KOBAYASHI sitzt mit übergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf dem Sofa, hält aber intensiven Blickkontakt und steckt sich eine Zigarette nach der anderen an; seine Fingernägel sind gelb und zu lang.

Das Gespräch.

Ihren Film haben Sie ohne Dialoge konzipiert und umgesetzt. Wie muss man sich da die Arbeit am Drehbuch vorstellen?
    Das Drehbuch ist vor zwei Jahren schon entstanden. Es war da recht kurz, mehr nur eigentlich eine Synopsis. Das habe ich mit den Schauspielern besprochen und mir ein Jahr Zeit dafür gegeben, mir darüber genauere Gedanken zu machen, mit den vorangegangenen Gesprächen als Grundlage. Zuerst gab es dann nur Notizen, aber kein wirkliches Drehbuch. Tatsächlich hat die Drehzeit dann viel mehr Zeit in Anspruch genommen, da ich viele Szenen erst am Set für mich "gefunden" habe. Die Drehzeit betrug dann 2 Wochen, in denen die Szenenfolge dann schon feststand. Um diesen ganz eigenen Rhythmus zu finden habe ich auch die ewigen Wiederholungen im Film chronologisch gedreht, etwa die Szenen in der Küche oder das Abendessen.

Sie haben an Originalschauplätzen gedreht?
    Ja, die Pension kannte ich schon von früher und es war einfach und auch gewohnt, dort zu drehen. Nur für die Gießerei zeigte es sich als schwierig, dort eine Drehgenehmigung zu bekommen. Man war einfach misstrauisch, wozu ich diesen Platz denn bitte brauchen würde!

Wenn Sie auch die zahlreichen Wiederholungen im Tagesablauf der beiden Charaktere chronologisch gefilmt haben, wie sind dabei die kleinen Unterschiede im Ablauf entstanden?
    Das wurde nachher richtig spannend. Zwar hatte ich die sich langsam entwickelnden Veränderungen geplant, aber die konkrete Ausführung habe ich den Schauspielern überlassen, also eher der Schauspielerin WATANABE, den Mann habe ich ja selbst gespielt. Meine eigene Darstellung habe ich mir dann am Vorabend immer ausgemalt: was werde ich ändern und vor allem wie? In der Pension haben wir ja auch während des Drehs gewohnt, und so konnte ich in den zwei Wochen den Luxus genießen, meiner Figur ganz nahe zu sein.

Wie sind Sie zu der Idee einer solchen Geschichte gekommen?
    Vor Jahren habe ich einmal einen Zeitungsartikel gefunden, der über einen solchen Fall berichtete. The Rebirth Den habe ich einfach aufbewahrt und als Filmidee hat er mich dann nicht mehr losgelassen. Ob das alles wirklich so gewesen ist, weiß ich nicht, da ich keinerlei Recherche betrieben habe. Ich nahm diesen Artikel als Ausgangspunkt und habe mir meine Gedanken gemacht und wie ich das als Film umsetzen will. Ich wollte einen Film darüber machen, wie sehr uns unsere tägliche Routine im Alltag ein Gefühl der Sicherheit vermittelt, aber dass es immer einen Moment gibt, der uns einen Schritt weiter bringt in der persönlichen Entwicklung. Davor haben wir natürlich alle Angst, wir wollen alle Sicherheit im Leben haben. Aber ohne diese Brüche im Leben entwickeln wir uns einfach nicht weiter und ich habe mich gefragt, wie weit man diesen Punkt der "Verweigerung" hinauszögern kann. Meine beiden Charaktere verstecken sich förmlich in dieser kleinen Industriestadt und verbringen ein Jahr in ihrer sicheren Abgeschiedenheit. Dass sie sich aber ausgerechnet dort begegnen, was setzt dies in Bewegung? Man spürt ja fast die Erleichterung der beiden. Es muss im Leben nicht immer zu einer "Aussprache" kommen, aber zumindest zu einem "Erkennen". Dann entwickelt man sich weiter. Stillstand ist tödlich, genauso sehr wie Selbstbetrug. Und manchmal ist das das Gleiche.

Inwiefern haben Sie beim Dreh, der ja sehr improvisiert war, den späteren Schnitt eingeplant?
    Beim Schnitt habe ich mich erst einmal komplett an der vollständigen Länge der benutzten Takes orientiert, dadurch war der Film dann in seiner ersten Schnittfassung 2 1/2 Stunden lang. The Rebirth Das war natürlich zu lang, wer schaut sich das an? Außerdem passte eine solche Länge nicht zu der Geschichte, die ich erzählen wollte. So habe ich mich immer wieder an den Schnitt gemacht und auch immer wieder gekürzt. Der Schnitt war eigentlich nur eine Aneinanderreihung der Szenen, und ich musste schauen, was ich wo weglassen konnte. Dabei ist dann immer mehr der Rhythmus des Filmes entstanden. Ich war darüber sehr glücklich, als ich entdeckte, dass tatsächlich in diesem Material eine ganz eigene Geschwindigkeit steckt! Aber schwierig war es schon, erst einmal dorthin zu finden. Bevor mein Film in Locarno ausgezeichnet wurde, habe ich diese erste lange Fassung an Festivals und Verleihfirmen geschickt und alle haben abgesagt, was mich sehr verunsichert hat. Ich habe ihn mir daheim noch mal angeschaut und drastisch wieder einmal gekürzt, bis ich auf 70 Minuten kam. Das war wohl etwas zu viel, aber die Resonanz war auf einmal viel positiver. Verwirrt war ich also immer noch und so habe ich mich schließlich auf diese 102 Minuten "geeinigt", und die scheint ja auch zu funktionieren: ich kann genau auf den Punkt bringen was ich sagen will und überfordere mein Publikum nicht.

Warum spielen Sie die Rolle des Vaters selbst?
    Ich hatte eigentlich einen Schauspieler bereits ausgesucht, aber doch einige Probleme mit ihm, aber ich sage Ihnen jetzt nicht, wer das war! Es gab also diese Probleme, und ich dachte da schon daran, selbst zu spielen. So völlig ohne Dialoge, da war ich einfach zu faul, alles genau erklären zu müssen, was ich warum nun auf welche Art und Weise brauche.

Warum trägt die Mutter im Film bei diesen winterlichen Temperaturen eigentlich eine so dünne Jacke?
    Das hat tatsächlich einen Grund: wie schon Akira Kurosawa sagte: "Die besten Winterszenen dreht man im Sommer". Also habe ich sie nur ein solch kurzes Jäckchen tragen lassen, damit sie so richtig friert, es ist nämlich sehr schwer, Kälte oder überhaupt Wetterbedingungen im Film zu zeigen.

Warum beschäftigen Sie sich immer mit so "dunklen" Themen?
    Meine Filme haben viel mit mir selbst zu tun, und ich versuche Themen zu finden, die aber auch für das Publikum interessant sind. Ich hatte einfach diese dunkle Phase, dass ich mich in meiner Arbeit als Musiker und Filmemacher von allem ausgeschlossen fühlte, vor allem ausgeschlossen von der Akzeptanz des Publikums. Nach BASHING, der ja auch damals in Cannes gelaufen ist, ging es mir zunächst ganz gut und ich hatte zwei Angebote aus Tokyo bekommen. Diese beiden Filme habe ich auch gemacht und sie liegen heute noch irgendwo in Tokyo im Archiv herum. Da war ich wieder in meiner Dunkelheit! Aber nun nach Locarno wird sich das hoffentlich ändern. Ich will einfach nur Filme machen, die dann auch wirklich ins Kino kommen.

Interessiert es Sie, als Musiker, einmal ein Musical zu drehen?
    (lacht nun leise vor sich hin und nickt eifrig) Oh ja, das wäre bestimmt sehr lustig, aber auch nicht einfach, so etwas zu realisieren. Das würde Spaß machen! Aber noch viel lieber würde ich eine Oper verfilmen, mit viel Musik und vielen Dialogen!




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