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GESPRÄCHE

Lutz Granert im Gespräch mit Jonas Grosch

1981 wurde der Regisseur, der stets auch an den Drehbüchern seiner Filme beteiligt war, in Freiburg/Breisgau geboren. Er studierte Drehbuch/Dramaturgie an der HFF in Postdam und feierte mit der Dokumentation DER WEISSE UND DAS SCHWARZBROT 2008 nach vielen Kurzfilmen sein Kinodebüt. Als Mitglied einer Schauspielerfamilie schon früh mit dem Filmgeschäft konfrontiert, sprach er mit mir über originelle Vermarktungsstrategien für unabhängig produzierte Filme, Gebärdensprache in Musicals und die Philosophie der Liebe.

Das Gespräch.

Jonas Grosch
Jonas Grosch

Herr Grosch, Sie sind der Bruder von Katharina Wackernagel, die sie ebenso wie ihren Onkel Christof und ihre Mutter Sabine seit ihren ersten Kurzfilmen immer wieder besetzen - so auch in DIE LETZTE LÜGE. Inwiefern herrschte am Set im wahrsten Sinne des Wortes eine "familiäre" Atmosphäre?
    Eine familiäre Atmosphäre spielt für mich eine große Rolle, schließt jedoch nicht nur Familien-, sondern auch Teammitglieder ein. Bei 20 bis 25 Leuten, mit denen man zusammen arbeitet beim Dreh, ist wie in einer Familie Respekt voreinander und vor der Arbeit des Anderen sehr wichtig. Das Team war dieses Mal etwas kleiner als bei meinem vorhergehenden Film RÉSISTE - AUFSTAND DER PRAKTIKANTEN, aber es waren fast wieder dieselben Leute, die zusammen gearbeitet haben. Auch aus diesem Grund kann man schon von einer familiären Atmosphäre sprechen.

DIE LETZTE LÜGE wurde im "One Day Release" veröffentlicht, also nahezu zeitgleich als Video on Demand, im Kino und auf DVD. Aktuell touren Sie mit dem Film durch Deutschland. Wie kam es zu dieser Vermarktungsentscheidung?
    Insbesondere über meinen vorhergehenden Film RÈSISTE - AUFSTAND DER PRAKTIKANTEN wurde zum Zeitpunkt der Veröffentlichung von der Presse zwar stark berichtet, er war allerdings nur in wenigen Kinos zu sehen. Es gab dabei leider nur wenig Geld von der Filmförderung, auf welches diese Produktion angewiesen war und folglich stand nur wenig Budget für die Herstellung von Filmkopien und Werbematerial zur Verfügung. Die Kosten und der Aufwand, einen "kleinen" Film ins Kino zu bringen, sind dabei für ihn nur schwer zu tragen und die Filme bekommen so kaum eine Chance, weil er nur einer unter vielen ist. So kamen wir auf die Idee, mit den Schauspielern und der Ska-Band "The Busters", die einige Songs im Film beisteuerten, deutschlandweit durch Kinos zu touren. Damit bewerben wir den Film, weil eine solche Aufführung etwas Besonderes ist, und durch den DVD-Verkauf können die Zuschauer unmittelbarer zu dessen Refinanzierung beitragen.

Der Film wurde ohne Fördermittel durch privates Kapital finanziert. Wie viel hat er gekostet und wie lange wurde gedreht?
    Wir haben insgesamt 4 Wochen gedreht, darin waren drei Tage nur für die Probe enthalten. Wenn jede Szene vom Team schon einmal geprobt wurde, spart das Zeit und Geld. Wie viel der Film gekostet hat, lässt sich gar nicht so klar berechnen. Die Schauspieler und das Team haben den Film durch Rückstellung ihrer Gage mitfinanziert. An jedem verkauften Kinoticket oder jeder verkauften DVD verdienen wir natürlich etwas. Das Geld dient dazu, die Ausgaben zu decken und dem Team ihre Rückstellung zu zahlen, sozusagen die Gage im Nachhinein.

Das Musical und die Screwball-Komödie sind in Deutschland nicht sonderlich populär. Wie kamen Sie auf die Idee, diese beiden so verschiedenen Genres miteinander zu verbinden?
    Screwball-Komödien aus den 30er und 40er Jahren mag ich sehr gern. Die Verbindung mit Elementen des Muscials kam eher zufällig durch die Zusammenarbeit mit "The Busters", die für meinen vorigen Film RÉSISTE - AUFSTAND DER PRAKTIKANTEN schon einige Songs geschrieben hatten. Ich hatte einfach Lust mit ihnen zu arbeiten und mag die Verbindung von Musik und Film sehr gern. So kam es, dass jede der Hauptfiguren einen Song bekam. DIE LETZTE LÜGE ist kein Musical im engeren Sinne, da nur sporadisch gesungen wird - und dann auch bewusst in Playback. Die Songs funktionieren dabei als innere Jukebox, die in den Figuren "anläuft", wenn sie von ihren inneren Sehnsüchten singen. Aus diesem Grund war dieser Verfremdungseffekt durchaus gewollt.

Wie kamen Sie auf die Idee, zum Teil auf Gebärdensprache zurückzugreifen? Das ist bei einem Musical ja sehr eigenwillig.
    In einer Komödie sind Verwicklungen ja immer gut und unterschiedliche Sprachen bieten sich hierfür sehr gut an. Gebärdensprache ist auch eine eigene Sprache und so war es erst einmal eine reine dramaturgisch-funktionelle Idee. Als dann einige der Schauspieler durch einen Lehrer die Gebärdensprache beigebracht bekamen, habe ich mich auch intensiver mit dem Thema auseinander gesetzt. Dabei haben wir u. a. erfahren, dass Menschen, die mit der Gebärdensprache kommunizieren, weniger lügen, weil sie Lügen schneller als solche entlarven können. Gehörlose sind auf die Mimik und Gestik des Anderen angewiesen und können sie daher auch besser lesen. Der Kontrast zum Musical war dabei auch spannend. Wir haben den Film mit deutschen Untertiteln auch Gehörlosen gezeigt, die ihn sehr gut fanden. Nur mit den Musical-Einlagen konnten sie wenig anfangen, weil Musik für sie nicht viel bedeutet. Wir haben es dadurch aber auch geschafft, Gehörlosigkeit als etwas ganz normales zu integrieren - das fand ich sehr wichtig.

Kameramann Matthias Hofmeister war auch schon bei RÉSISTE dabei. Er setzt hier eine hohe Farbsättigung bei der Fotografie auch Gelb-Blenden als visuelle Stilmittel ein. Inwieweit nahmen Sie Einfluss bei der Bildgestaltung?
    Bei einer unabhängigen Filmproduktion kommt oftmals eines zum anderen. Als wir das Haus als Motiv fanden, war klar, dass die Bilder sehr farbintensiv überhöht werden sollten. Die Grundübereinkunft darüber hatten wir beide zusammen. Bei der Farbkorrektur in der Postproduktion haben wir überlegt, ob wir das Gelb noch etwas weiter betonen, schließlich passt das Verfremdete, leicht Künstliche zum Film, der auch nicht den Anspruch hat in der Form, realistisch zu sein. Die Sonne und das vorhandene Licht beim Dreh im Sommer waren jedoch die Grundvoraussetzungen dafür.

Existenzialistische Klempner und der plötzlich auftauchende Liebes-Ontologe Armin: Haben Sie vor dem Schreiben des Drehbuchs ein Philosophie-Buch gelesen?
    Philosophische Gedanken interessieren mich. Wie geht man mit etwas um, was ganz selbstverständlich ist? Ich mag die Vermischung von Philosophie und Absurdität gern, was sich auch in der Metapher des verstopften Abflusses widerspiegelt. Die Figur des Armin gewinnt dem Szenario eine weitere Facette ab. In dem Chaos, Lug und Betrug, in welchem die anderen Figuren agieren, zitiert er unentwegt und ehrlich die Gedanken "kluger Leute", sucht aber ebenso wie sie nur nach der Liebe.

Herr Grosch, vielen Dank für das Gespräch!




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