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GESPRÄCHE

Andrea Sczuka im Gespräch mit Jan-Gerrit Seyler

Jan-Gerrit Seyler vermittelt Gefühle wie kein zweiter ohne die schmale Grenze zum Kitsch zu überschreiten.

Jan-Gerrit Seyler hat an der Hamburg Media School (HMS) studiert und der Film STILL GOT LIFES ist seine Abschlussarbeit. Bei dem diesjährigen ClujShorts - Internationales Kurzfilmfestival erhielt er den Press-Award der rumänischen Presse für sein Werk.

In einem Café in der Nähe des Victoria-Cinemas hatte ich das Vergnügen Gerrit zu interviewen.

Das Gespräch.

Jan-Gerrit Seyler
Jan-Gerrit Seyler

Warum hast dieses Thema gewählt?
    Die Frage ist so einfach wie kompliziert, da es mehrere Antworten gibt. Gewählt habe ich es nicht. Das Drehbuch ist von Katarina Kokstein. Ich musste es umsetzen. Anfangs gefiel es mir nicht einmal. Mit der Zeit habe ich es aber angenommen. Trotz der vielen Vorgaben hatte ich viel Spielraum mich einzubringen, kreativ zu sein. Vor allem bei diesem Film habe ich erkannt, dass ich Filme auf dem emotionalen Sektor machen will, ich will berühren. Das ist es was dem deutschen Film fehlt - das Erzählen von Emotionen. Es dominiert die sogenannte Berliner Schule. Das ist ein anderes Erzählen. Im Erzählen von Emotionen sehe ich meine Aufgabe und mein Können.

Die Kunst, die Filme, spiegeln die Gesellschaft wieder. Meinst du, die Leute sprechen nicht über ihre Gefühle, haben deswegen Probleme, die sie versuchen zu lösen, indem sie zu Psychologen gehen, weil unter anderem die Filme, die sie sehen nahezu emotionslos sind?
    Ja, im Grunde schon.

Wo siehst du deiner Erfahrung nach die Vor- und Nachteile eines Studiums an der HMS?
    Die HMS ist gut ausgestattet und diese Ressourcen nutzen zu können ist ein großer Vorteil gewesen. Während des Studiums habe ich alle Stadien durchlaufen, die zur Filmproduktion notwendig sind. Als Nachteil habe ich die vielen Vorgaben empfunden, die ich zu erfüllen hatte. Das Studium ist stark auf die Filmindustrie ausgerichtet. Ich konnte nicht so kreativ arbeiten, wie ich es gerne wollte.

Wie viel Zeit hat die Arbeit an dem Film in Anspruch genommen?
    Die Arbeit am Skript dauerte vier Monate. Für den Dreh benötigten wir 10 Tage.

Wie hast du dich in das Thema einfühlen oder einarbeiten können? Hast du oder habt ihr euch speziell darauf vorbereitet?
    Jemanden in seinen letzten Momenten zu begleiten ist heute eine seltene Erfahrung für Familienmitglieder. Ich hatte die Gelegenheit meine Tante in dieser Phase zu begleiten. Das war eine besondere Erfahrung. Es hat mir bei diesem Dreh geholfen. Als Vorbereitung für den Film haben wir ein Kinderhospiz in Hamburg besucht. Dort haben wir mit der Leiterin sprechen können. Gerne hätte ich mich mit den betroffenen Kinder unterhalten. Aber wir hatten leider nicht die Zeit uns intensiv mit den Eltern und den Kindern zu unterhalten. Die Leiterin hat uns viel erzählt. Sie hat beschrieben, welche Möglichkeiten die Kinder haben mit ihrem Tod umzugehen. Sie gehen ganz anders damit um als die Erwachsenen. Dazu gehört auch, dass sie ihren Sarg gestalten. Sie bemalen und schmücken ihn. Sie erzählte uns auch, dass die Kinder ihre Eltern beim Sterben nicht dabei haben möchten. Es fühlt sich für sie so an, als würden ihre Eltern sie am Sterben hindern. Sie halten an den Kindern fest. Natürlich ist es für die Eltern extrem schmerzhaft, sie lieben ihre Kinder. Das hält die Kinder irgendwie im Leben fest. Das ist mit ein Grund, warum wir die Eltern aus der Sterbeszene gestrichen haben.

Es heißt es sei schwer mit Kindern zu arbeiten. Kannst du das bestätigen?
    Nein. Es ist eine Freude mit Kindern zu arbeiten. Sie sind viel intuitiver und blockieren sich nicht indem sie sich zu viele Gedanken machen. Swantje und Bazon waren auch eigentlich keine Kinder mehr. Sie waren zu dem Zeitpunkt 18 und 19 Jahre alt.

Die beiden Protagonisten waren sehr natürlich. War es schwer sie an dieses Thema heranzuführen?
    Wir mussten Schauspieler finden, die jung genug aussehen um als 14-, 15-jährige durchzugehen aber alt genug sind um länger am Tag arbeiten zu dürfen. Mit Swantje Kohlhof die Lisa gespielt hat, hatten wir riesiges Glück! Sie ist ein Naturtalent. Sie hatte auch schon eine Rolle im Tatort. Bazon Rosengarth, der Marco gespielt hat, haben wir zwei Wochen vor Drehbeginn gefunden. Nachdem wir in Hamburg und Berlin nicht fündig geworden sind, hat die Assistentin Mails nach Köln geschickt. Unter anderem an ein Gymnasium mit Theater-AG. Der Lehrer hat die Mail verteilt und so kam Bazon zum Casting nach Hamburg. Nachdem wir den männlichen Darsteller hatten, haben wir die beiden die Kussszene spielen lassen und da wussten wir, dass wir die perfekte Besetzung hatten. Er hat uns erst später gesagt, dass er Mukoviszidose hat. Dadurch ist er körperlich nicht so entwickelt, er sieht viel jünger aus, als er ist. Der Dreh war gefährlich für ihn, da wir die meiste Zeit im Krankenhaus drehen mussten. Er hat sehr viele Vorkehrungen getroffen um sich zu schützen. Seine Lebenserwartung ist durch die Erkrankung stark verkürzt. Er stand im Film aber neben dem Krankenbett. Durch seine Erfahrung hat die Rolle einen besonderen Charakter bekommen und der Film etwas ganz Spezielles.

In dem Film begegnen sich die beiden Protagonisten erstmals in der virtuellen Welt, innerhalb eines Spiels. Hast du einen Bezug zu diesen Spielen?
    Nein. Als Teenager habe ich mit dem Nintendo 64 gespielt - ich war schon irgendwie süchtig danach. Ich habe ihn heimlich gekauft. Mein Vater durfte es nicht wissen. Mit Spielen wie dem aus dem Film oder anderen Computerspielen habe ich keine Erfahrung. Die Drehbuchautorin ist eine Gamerin. Vor ihr ist auch die Idee mit dem Spiel.

Im alltäglichen Leben tragen die meisten Menschen Masken. In der virtuellen Realität tun sie es auch und es dort viel leichter. Jugendliche haben damit noch ein Mittel zu sich zu finden, da sie durch die Avatare in verschiedene Rollen schlüpfen. Sie können sich aber auch leichter hinter diesen Masken verstecken. Lisa konnte während der Spielzeit ihre Krankheit ausblenden. In dem Moment als Marco Lisa in er realen Welt treffen wollte, kollidierten diese beiden Welten und sie brach den Kontakt ab.
    Das Spiel ist eine der Stärken des Films, die ich lange nicht erkannt habe. Es hat etwas parabelhaftes. Der Film hat etwas parabelhaftes. Die Maske wird vor dem drohenden Tod abgelegt.

Der Film ist voller Symbole. Die Idee mit den Erdbeeren ist schön...
    Die Erdbeeren gefallen vielen, die den Film gesehen haben. Aber mit den Erdbeerpflanzen hatten wir Schwierigkeiten. Sie kamen spät, wir haben sie eingepflanzt, aber sie waren ziemlich schlapp. Mit Draht mussten wir sie aufrichten. Die Erdbeersaison war auch fast schon um. Ich wollte Erdbeeren, die noch nicht reif sind. Als Symbol für die noch unreife Lisa, die sterben wird bevor sie erwachsen wird. Wir mussten reife Erdbeeren nehmen - womit ich unzufrieden war.

Das Teilen der reifen Erdbeeren als Symbol für die erste Liebe die sie miteinander erleben und für die sie fast reif sind ist doch gelungen.
    So habe ich das noch nicht betrachtet. An der Metapher haben wir lange gearbeitet. Für die Erdbeeren habe ich viel Lob bekommen.

Gibt es etwas das du heute anders machen würdest, müsstest du den Film noch einmal drehen?
    Nein. Mit dem Film bin ich glücklich so wie er ist. Ich habe bei diesem Film viel gelernt. Unter anderem, dass ein gutes Drehbuch nicht komplex sein muss. Durch seine Einfachheit kommt eine andere Komplexität zum Vorschein.




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