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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
Unknown Pleasures #4
von Björn Lahrmann

Unknown Pleasures #4

Manchmal wisse er nicht, warum er überhaupt noch Filme drehe, sagt der junge Regisseur zu seiner Hauptdarstellerin. An Preisen und Kritikerlob liege ihm nichts, und mit den Ergebnissen seiner Arbeit sei er auch nie zufrieden. Letztlich laufe es wohl darauf hinaus, dass das Filmemachen ihn mit Menschen zusammenbringe. - Ein aufschlussreicher Monolog aus SILVER BULLETS von Joe Swanberg, der besagten Regisseur (der die Schauspielerin später on camera verführen wird, während seine eigentliche Freundin parallel off camera mit einem anderen Regisseur - gespielt von Ti West - flirtet) selbst verkörpert. Es war wohl nur eine Frage der Zeit, bis ein obsessiver Nabelbeschauer wie Swanberg bei einer solchen Metakonstruktion anlangen würde: Wer 11 Filme in 6 Jahren dreht, hat vielleicht gar keine andere Alltagsrealität mehr, von der es sich noch mit subjektivem Freimut zu erzählen lohnte.

Als letzter Mumblecorianer reiner Lehre sorgt Swanberg wie kein zweiter seiner Altersgenossen für Zündstoff innerhalb der cinephilen Community Amerikas: Für die einen - etwa Richard Brody vom New Yorker - ist er Kronprinz einer verheißungsvollen neuen No-Budget-Ästhetik ("he has extended the range of cinematographic experience beyond what even the most daring Hollywood directors are willing to attempt"), für andere - z.B. den grantigen Blogger Glenn Kenny - ein postadoleszenter Gernegroß und Dilettant ("a good three-quarters of what he puts on screen could have been coughed up by somebody who only got through half of Camcording For Dummies"). Ich muss gestehen, diese Debatte immer mit mindestens ebenso großem Amüsement wie Unverständnis verfolgt zu haben: Swanbergs Handschrift scheint mir weder Auteur- noch Amateursignatur, sondern zeugt vielmehr von MacGyverhaftem Einfallsreichtum angesichts mickriger Produktionsbedingungen - nicht mehr, nicht weniger. Der humorlos affektierte Improv-Ernst, mit dem er sich und seine weitgehend ungenießbare posse inszeniert, ist da schon die weitaus größere Rezeptionshürde: Wieso sich Kreisen aussetzen, um die man im wahren Leben (das hier ja vermeintlich ins Visier gerät) einen großen Bogen macht?

Glücklicherweise hat sich Mumblecore - schon immer ein recht hilfloser Hilfsbegriff - unterdessen stark geöffnet und ausdifferenziert. Einen gut gestreuten Überblick bietet seit vier Jahren das Berliner Unknown Pleasures-Festival, das Anfang Januar wieder handverlesene Neuigkeiten aus der US-Independent-Szene präsentierte. Mit Swanberg als kommunardischem Ausgangspunkt ließen sich durchs diesjährige Programm interessante Verbindungs- und v.a. Trennlinien ziehen. GREEN, das einnehmende Debüt von Sophia Takal (die demnächst im Omnibusfilm V/H/S von Swanberg, West et al. zu sehen ist), teilt sich mit SILVER BULLETS zwar Hauptdarstellerin Kate Lyn Sheil, bedient sich deren zerbrechlicher Physis aber völlig anders: Wo Swanberg sie nach zähem Beziehungskrisengenöl in einem (zwar furiosen, aber leider allzu kunststudentisch symbolverklausulierten) Mänadentanz zur Selbstermächtigung drängt, verbergen sich hier hinter Sheils dauerverheult wirkendem Gesicht gefährlich unbestimmbare Angstneurosen. Zusammen mit ihrem blasierten Bloggerfreund übersiedelt sie aus New York temporär ins Ländliche, wo bald die heitere Nachbarspomeranze Robin (Takal) bekifft auf dem Rasen liegt.

Unknown Pleasures #4

Nachdem das kulturelle Gefälle zwischen den Frauen augenzwinkernd etabliert ist ("Whatcha readin'?" - "Georges Bataille." - "Oh. Cool. Do you like crossword puzzles?"), weicht die High/Lowbrow-Reibungskomik bald einer paranoiden Eifersucht auf Robin, die das verkrampft lockere Postgraduiertenpärchen ganz ohne böse Absicht der Lächerlichkeit preisgibt. Zum Ende bleibt Takal zwar nicht viel mehr übrig, als Sheils langsam zerfransende Nervenenden an die Filmoberfläche zu koppeln - immer wieder zerfließt zu dunkel schwärendem Elektro-Buzz das titelgebende Laubgrün in scharfkantige Prismen -, wird damit aber dem ästhetischen Eigenwert des Digitalen gerechter als Swanberg selbst, der sich wider alle Equipmentbilligkeit an alteuropäischen Kunstkinoformen abmüht: geometrische Farb- und Schattenflächen, Cellountermalung (Brody, maßlos übertreibend: "his flagrantly expressive camera style virtually gashes the screen with intense contrasts, bright lights, and screaming colors").

Zwei frühe Weggefährten Swanbergs, Aaron Katz und Azazel Jacobs, gehen derweil gewinnbringend mit Mainstreamnarrativen auf Kuschelkurs: Katz reichert seine in Portland (wo sonst?) angesiedelte Müßiggängerposse COLD WEATHER mit pantoffeligen Krimielementen an, und Jacobs schreibt sich mit TERRI gleich so tief ins John-Hughes-Gedenkbuch ein, dass der (dennoch grotesk verzuckerte) Trailer glatt als nächstes Zooey-Deschanel-Vehikel durchgehen könnte. Die Geschichte eines XXL-Teenagers, der bei aller ostentativen Lebensverweigerung (Pyjama im Freien, das letzte große Modetabu) von umso hartnäckigeren Zuneigungsbedürfnissen gepackt wird, ist ein exzellentes Beispiel für die vitalisierenden Kicks, die Zentralhollywood sich gern öfter aus der eigenen Peripherie holen könnte: Bewährte Highschool-Tropen werden souverän an-, aber nie ausgespielt; statt Überwindung typischer Outsider-Krisen - get the girl, win the game etc. - gibt der Film ihnen Raum zu pointierter Entfaltung. Zur emotionalen kommt noch eine ganz konkret materielle Unaufgeräumtheit der Bilder hinzu, deren Kontrast zu den Ikea-Ausstellungswohnungen, wo Katherine Heigl und Co so gern kollabieren, angenehmer nicht sein könnte.

Gemessen am SUPERBAD-Index ist TERRI geradezu statisch, reine Momentaufnahme. Obwohl amerikanische Jugendsexualpolitik durchaus eine Rolle spielt, ergibt sich die einzige größere Plotbewegung nicht aus adoleszenten Trieben, sondern dem Tod der Schulsekretärin. Die fesselndsten Szenen sind zugleich die beiläufigsten: Zettelchenschreiben unter der Bank, ein Termin beim Vertrauenslehrer (John C. Reilly), ein Abend mit der Klassenschönen im Werkzeugkeller. Ein Kompromiss zwischen Apatowschule und (gutem) Arthouse, sicher, aber einer, der Puristen beider Seiten die glühende Verachtung fürs Gegenüber nehmen dürfte. Ob Mumblecore in dieser Form das Zeug hat, auf breiter Front Anschluss ans Multiplex zu finden? Vermutlich nicht, und Gott sei dank: TERRI ist in seiner schrullenfreien Reserviertheit doch ein relativer Einzel- und Glücksfall zwischen dutzenden ähnlich gelagerten, sich penetrant an der eigenen Andersheit weidenden Filmen, die Jahr um Jahr als Sundance fodder aufs distinktionswütige Hipsterpublikum losgelassen werden; wie Azazel Jacobs selbst angemerkt hat, schmeichelt kaum etwas dem Ego mehr als ein unverdienter Underdog-Status.

Unknown Pleasures #4

Während sich die unabhängige Regiegeneration um die 30 graduell den Studios nähert, stammte der idiosynkratischste, abseitigste, am wenigsten fassbare (und vielleicht gegenwärtigste) Beitrag des Unknown Pleasures von einem fast 80-jährigen. Monte Hellmans ROAD TO NOWHERE, nach langer Wartefrist endlich auch in Berlin zu sehen, ist auf geradezu perverse Weise was-er-ist, eine Lektion in pure cinema, an deren wie mit dunklem Siegellack überzogenen Digitalbildern jede Form von Tiefenlektüre abperlt. Dabei fängt alles recht bedeutungsvoll selbstreflexiv an: Eine gebrannte DVD mit dem Filmtitel, ein Laptop, ein Zoom auf den Bildschirm, wo Credits mit falschen Namen (aber richtigen Initialen: Mitchell Haven, Monte Hellman) ablaufen. Der vom Film solcherart nicht mehr zu scheidende Film-im-Film - ein Noir, glaubt man Figurennamen wie 'Velma Duran' - basiert auf einer wahren Begebenheit mit allerdings mehr als ungesicherter Faktenlage. Swanbergs Idee von Meta-Wahrhaftigkeit kann man gleich wieder vergessen: Wenn sich hier irgendwo mal Realitätsspuren einschleichen (etwa eine Tasche, die beim Dialogdreh einfach so umkippt), dann nur als Störfaktor.

Eine dunkle Ahnung kursiert am Set, derzufolge die Hauptdarstellerin mit ihrem totgeglaubten Rollenvorbild identisch ist; MULHOLLAND DRIVE-Vergleiche liegen auf der Hand und wurden von entsprechend vielen Rezensenten bereitwillig aufgegriffen. Dabei ist es vielmehr die Formelhaftigkeit des Lynch-epigonalen Mindfucks selbst, die hier dem Hellman-Treatment unterzogen wird. Das bedeutet zunächst mal: das Ziel aus den Augen verlieren. Wie man bei THE SHOOTING irgendwann nicht mehr auf Schießereien wartet und bei TWO-LANE BLACKTOP nicht mehr auf Autorennen, lässt ROAD TO NOWHERE bald jeden Rätselimpuls erschlaffen - schließlich führen eh alle Spuren ins vom programmatisch ausgelatschten Titel angekündigte Nichts. Große dekonstruktivistische Gesten braucht Hellman dafür nicht (oder streng genommen nur eine einzige); statt Handlungsschichten assoziativ miteinander in Beziehung zu setzen - Rückblende, Vorblende, Ursache, Wirkung -, patchworkt er sie einfach an- und nebeneinander zu einem ins Breite driftenden Mood-Teppich. Im einen Moment stürzt ein Flugzeug ins Wasser, im nächsten wird verliebt durch Rom flaniert, im übernächsten: Brunch mit Fabio Testi.

Unter dieser flachen, eindimensionalen (und abseits gezielter Logik-Widerhaken gar nicht mal schrecklich komplizierten) Erzählung ständig eine sinistre Tiefe anzutäuschen und sie zugleich scheißegal sein zu lassen, ist Hellmans eigenartige Kunst. Ein Sog entsteht weniger aus narrativem Druck heraus als dessen fahrlässiger Suspension und Zerstreuung: Interessanter als alle Ermittlungen der blonden Bloggerin mit dem tollen Arsch ist letztlich doch der tolle Arsch der blonden Bloggerin selbst. Man sitzt vor diesem Film, wie man in schlaflosen Nächten vor dem Fernseher sitzt: erschöpft, übermüdet und fiebrig konzentriert. Entlohnt wird man nach zeitlosen zwei Stunden mit einem unvergesslichen, albtraumlangsamen Zoom aufs Schlussbild und einer Tom-Russel-Schnulze über die "love songs from the movies in our hearts", die so unmöglich ist, dass man sie nur zutiefst ernst nehmen kann.

Unknown Pleasures #4

Anfang 2011 durfte ROAD TO NOWHERE im Rahmen einer Berliner Hellman-Retrospektive nicht gezeigt werden, da ein deutscher Verleih angeblich noch mit einem regulären Kinostart spekulierte. "Dass ich nicht lache", dachte ich schon damals. Von der üblichen cinephilen Verbitterung (auch: der snobistischen Genugtuung) darüber, dass die eigenen Lieblinge ständig übergangen werden, lässt das Unknown Pleasures sich glücklicherweise nicht beirren. Mit kuratorischem Sachverstand haben Hannes Brühwiler und Andrew Grant - beide in der Nebensache auch Kritiker - eine Auswahl getroffen, die entdeckenswerte Marginalien und sichere Indie-Crowdpleaser gleichermaßen berücksichtigt. Ich freue mich schon aufs nächste Jahr, auf Kenneth Lonergans MARGARET, drei oder vier neue Swanbergs und all die anderen Filme, die in den kommenden Monaten noch durchs Raster fallen werden: Sie haben sich ihren Underdog-Status redlich verdient.

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