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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT
von Fabian Olbrich

TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT

TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT (Deutschland 2013)

Original Titel. TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT
Laufzeit in Minuten. 90

Regie. DOMINIK GRAF
Drehbuch. BERND SCHWAMM
Musik. SVEN ROSSENBACH . FLORIAN VON VLOXEN
Kamera. ALEXANDER FISCHERKOESSEN
Schnitt. SUSANNE HARTMANN
Darsteller. MIROSLAV NEMEC . UDO WACHTVEITL . MERET BECKER . ERNI MANGOLD u.a.


Eine Nachbesprechung: TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT

Dominik Graf - Schreckensmann der seichten Abendunterhaltung?

Am Sonntagabend möchte der Bürger und Familienmensch nichts weiter, als bei Bier und Erdnussflips die Woche mit einem gepflegten Krimi ausklingen zulassen. Seit Jahrzehnten weiß die ARD ihrer Unterhaltungspflicht nachzukommen und liefert Mord und Totschlag mit einer Prise Humor zur besten Sendezeit. TATORT ist in gewissen Kreisen nicht nur Kult, die Reihe gehört zum Kulturgut des deutschen Bürgertums. Aus den Untiefen der öffentlich-rechtlichen Themenkiste heraus, kommt mal Triviales, mal Anspruchsvolles und ab und an: Dominik Graf.

AUS DER TIEFE DER ZEIT ist Grafs dritter TATORT nach SCHWARZES WOCHENENDE (1986) und FRAU BU LACHT (1996). Wieder spielt er in München, wo Graf auch lebt. Das Ermittler Duo Batic (Miroslav Nemec) und Leitmayr (Udo Wachtveitl), das den heißen Automatenkaffee zum Abkühlen in den Bürokühlschrank stellt, hat es diesmal mit einem Toten auf einer Baustelle zu tun. Das Opfer, Florian Holzer, ist Adoptivsohn einer ehemaligen Kunstschützin (Ernie Mangold), deren leiblicher Sohn Peter (Martin Feifel) wiederum der Bruder des Toten war. Beide liebten dieselbe Frau (Meret Becker). Daneben baut Graf allerhand Subplots ein, die nur als Skizze stehen bleiben: kroatische Nationalisten (u.a. Grafs Stammschauspieler Mišel Maticevic) treiben sich im Umfeld der Familie Holzer herum, ebenso ein schwuler Frisur auf Speed, die greise Matriarchin (Ernie Mangold) hatte einst ein Nazileiche im Keller und die promiske Figur Meret Beckers leidet an einem Perückenfetisch.

TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT

Die Relevanz der Thematik ist absolut einleuchtend. Dominik Graf kontrastiert den Bauwahn des reichen Münchens mit der neuesten urbanen Scheinkatastrophe, die mit dem Hasswort Gentrifizierung durch deutsche Städte spukt. Während die Baufirmen-Familie Holzer in einem schicken Vorort residiert, zerstören ihre Machenschaften das Stadtbild und das Leben des alteingesessenen Kleinbürgers. Natürlich schlägt sich das alles zurück auf den Familiensitz, dass die Erde bebt und Amok der einzige Ausweg ist.
Trotz dem das Drehbuch von Krimi-Veteran Bernd Schwamm stammt, wurde die Komplexität des Plots als zu verwirrend und völlig unverständlich von der breiten der Zuschauer und Kritiker abgeurteilt. Schlimmer aber noch traf es den TATORTfreund in der Seele, wie unter anderem im Live-Chat zur TV-Ausstrahlung, aber auch auf facebook und Co. zu lesen war, dass Grafs Montagestil die übliche Linearität des Erzählten aufbricht. Wer die von der Kritik zunächst gelobte, im Fernsehen aber vollkommen untergegangene Miniserie IM ANGESICHT DES VERBRECHENS gesehen hat, dem hat es sicherlich geholfen, sich auf AUS DER TIEFE DER ZEIT einzulassen. Dass, was Graf in 500 Minuten über zwei Berliner Polizisten und die hiesige Russenmafia in einem Mix aus Jump Cuts, flirrenden Zooms und einer wabernden Polizeifunkuntermalung erreichte, komprimiert er in sehr kompakter Form in 90 Minuten TATORT. Das ständige Gegenlichtgefunzel erinnerte schwer an CSI-Miami, passte aber hervorragend zum "Glanz" der bayuwarischen Provinzmetropole und ist Grafs Faible für us-amerikanische Erzählformate in Kino und TV geschuldet. Natürlich ist das anstrengend und fordernd, aber gerade das ist der Sinn des Ganzen.

Den eingesessenen Zuschauer aus seiner passiven Unterhaltungsforderung zu reißen, ihm den ganzen Dreck aus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland um die Ohren zu hauen, ihm die Illusion vom klaren Gut-Böse-Schema samt seichtem Nervenkitzel zu nehmen und ihm mehr als ein Schmunzeln und Kopfnicken beim Fernsehschauen zu entlocken - um nichts weniger geht es dem Regisseur. Deswegen glimmert ständig Grafs Lieblingsfarbe blutrot im Hintergrund bis das Hirn endlich über die Kulissen spritzt und der Kommissar am Ende selbst ins nicht nur buchstäbliche Blutbad taucht. Un deswegen braucht es eine dichte Erzählung, die mehrere Ebenen übereinander schichtet und so Rätsel aufwirft statt Fragen zu beantworten. Herrlich wie Graf beispielsweise die üblichen Nebenerzählungen um das Privatleben der Ermittler in Szene setzt. Leitmayr sympathisiert da mit Baustellengegnern, während Batic kroatische Fascholieder am einarmigen Banditen in einer Spielhölle anstimmt.

TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT

Lohnt sich also die ganze Aufregung, um Dominik Grafs TATORT-Inszenierung oder geht die Kritik an seinem Filmschaffen, das unter anderem als "Kunstkacke" tituliert wurde, zu weit? Ich verstehe die Altherren- (und Damen)fraktion, die am Sonntagabend Entspannung sucht und sich kurz vor einer weiteren Woche Maloche nicht das Hirn über die Form- und Bildsprache eines deutschen Autorenfilmers zermatern will. Ich finde es dann aber bedenklich, wenn alles von der gewohnten Einheitsware Abweichende beinahe schon genüsslich zerfetzt wird. Diese Freude an der eigenen Ignoranz, am Kritteln und Schwätzen erfüllt nicht nur das Gemüt des deutschen Fernsehzuschauers, sondern das Selbstverständnis des deutschen (Wut-)Bürgers im Allgemeinen. Dominik Grafs Griff in die Tiefe der Zeit, in der selbst der Nazi der Habgier des deutschen Kleinbürgers zum Opfer fällt, hält uns einen Spiegel vor, indem wir erkennen, auf welchem Wesensgrund der Wohlstand unserer Gesellschaft aufgebaut ist. Aber jeder weiß, dass die Wahrheit schmerzt, deswegen verstehe ich die Häme und den Spott, die sich über Dominik Graf ergoss. Aber bitte, Herr Graf, machen sie noch einen TATORT!




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