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UNENDLICHE TIEFEN

Special.
William Friedkin im Publikumsgespräch
von Björn Eichstädt

William Friedkin

Es gibt sie noch, die lebenden Legenden der Kinowelt, bei deren bloßem Erscheinen Cineasten vor Erfurcht erstarren und 08/15-Kinogänger nur ratlos mit den Achseln zucken. Denn Filmemacher haben heutzutage leider kaum Starpotenzial mehr. Tom Cruise, klar, den kennen alle. Johnny Depp, na logo. Aber wer für die Filme der Sterne am Kinohimmel auf dem Regiestuhl sitzt, das ist doch weitgehend unbekannt, obwohl die Handschrift eines Regisseurs zumeist über die Qualität des Films entscheidet. So tummeln sich beim 25. Filmfest München sehr viele Journalisten und kaum eine Handvoll Zuschauer, als William Friedkin anlässlich der Aufführung seines neuesten Werks BUG und einer Retrospektive seiner Filme am letzten Tag des Festivals beim Zuschauergespräch erscheint. Und das, obwohl der Macher von THE FRENCH CONNECTION und DER EXORZIST nun wirklich zu den ganz großen Regisseuren des amerikanischen Kinos zählt.

Als vollkommen unkomplizierter Typ präsentiert sich der inzwischen 71-jährige Friedkin dann auch bei dem, im Stil einer Pressekonferenz abgehaltenen, Roundtable-Gespräch. Witzig, schlagfertig, um keine Anekdote verlegen. Ja, an München könne er sich noch gut aus den Zeiten von DER EXORZIST erinnern – und vor allem an sein Interview mit der Bild-Zeitung, die ihn als den leibhaftigen Teufel präsentiert hatte. Den deutschen Journalisten scheint er seit damals nicht mehr viel zuzutrauen, und so eröffnet er die Runde gleich mit der Frage: "Soll ich die Antworten eigentlich schon geben, bevor die Fragen gestellt werden?" Ein durchaus berechtigter Einwurf. Denn: Natürlich will die versammelte Meute vor allem die Geschichten aus der guten alten Zeit des New Hollywood hören.

Und Geschichten, das wird schnell klar, kann William Friedkin erzählen. So etwa die, wie es ihn eigentlich nach Hollywood verschlagen hat: "In Chicago habe ich als Regisseur angefangen – in den späten 50ern und frühen 60ern. Nachdem ich Assistent war, habe ich in etwa 2000 Live-Fernsehsendungen gedreht. Das war alles: Kindersendungen, Kochsendungen, Musiksendungen – wirklich alles. Und schließlich habe ich einige Dokumentationen gedreht, zum Beispiel THE BOLD MEN oder MAYHEM ON A SUNDAY AFTERNOON, eine Football-Dokumentation, für die ich dann auch kleinere Awards bekommen habe. Da wurden die Produzenten der Fernsehserie THE ALFRED HITCHCOCK HOUR auf mich aufmerksam und ich drehte die allerletzte Folge, die in dieser Reihe jemals produziert wurde. Ich habe damals sogar Hitchcock getroffen und die Folge wurde in "Bate's Motel" gedreht – das muss so 1966 gewesen sein. Damals bin ich dann auch dauerhaft nach Hollywood gegangen."

William Friedkin

Doch eigentlich zog es Friedkin zum Kino; dahin, wo die großen Filmemacher ihre Spuren hinterlassen hatten. Und die Begegnung mit Hitchcock war nicht die einzige, die Friedkin beeindruckte. Auch der deutsche Expressionismus hinterließ seine Spuren. Ein Interview mit Fritz Lang, das er in den frühen 70ern führte (als Bonusmaterial auf der amerikanischen Criterion DVD von M enthalten), ist ihm dabei in eindrücklicher Erinnerung geblieben. Wobei er zu diesem Zeitpunkt selbst schon mehrere erfolgreiche Filme gedreht hatte: "Ich habe damals – das muss so etwa 1974 gewesen sein - gehört, dass Lang noch lebt. Das war mir neu, denn Fritz Lang war schon lange nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Ich habe über die Director's Guild seine Telefonnummer herausbekommen und ihn angerufen, um ein Gespräch mit ihm zu vereinbaren, da ich seine Filme sehr bewunderte. Als ich ihm sagte, wer ich sei, meinte er nur, dass er noch nie von mir gehört habe. Außerdem seien seine Filme vollkommen wertlos, da sei nichts Interessantes zu besprechen. Doch einige Zeit später meldete er sich und willigte ein. So besuchte ich ihn in seinem Haus in den Hollywood Hills und aß mit ihm zu Mittag. Schließlich konnte ich ihn sogar überzeugen, dass ein Kamerateam unsere Gespräche mitschnitt. Doch am Ende musste ich sehr viel schneiden, da Lang die ganze Zeit Bratwürste aß – das gab lange Pausen. Diese Aufnahmen verschwanden dann zunächst im Archiv. Erst vor drei oder vier Jahren habe ich sie für eine Retrospektive meiner Arbeit bei einem italienischen Festival wieder ausgegraben. Da hatte der Film in einer 50-Minuten-Version Premiere. Es ist noch heute erstaunlich, wie negativ Lang über seine Arbeit in Deutschland in den 20ern gesprochen hat. Er war verbittert, weil die Filme damals von anderen Leuten geschnitten wurden und die Filme auch noch nicht reif waren. Ich kann das heute verstehen – meine ganz frühen Filme mag ich im Rückblick auch nicht."

Friedkin wurde allerdings bereits in jungen Jahren selbst ein bedeutender Filmemacher. Sein vierter Film THE FRENCH CONNECTION gewann fünf Oscars und machte den Regisseur weltweit zu einer bekannten Kinopersönlichkeit. Und das, obwohl oder vielleicht gerade weil vieles im Entstehungsprozess nicht immer einfach war.

"Als wir FRENCH CONNECTION machten, war das ein Low-Budget-Film – er hat nur 1,5 Millionen Dollar gekostet, was selbst zur damaligen Zeit wirklich wenig war. Einen Star konnten wir uns also nicht leisten. Und trotzdem wollten die Leute bei Fox einen guten Schauspieler. Ich dachte also über Paul Newman nach, aber der war natürlich viel zu teuer. Der kostete damals schon 500.000 Dollar. Als nächstes kam mir Jackie Gleason in den Sinn, doch den wollte Fox nicht haben, da er mit GIGOT einen der größten Flops in der Geschichte des Studios abgeliefert hatte. Peter Boyle war eine weitere Option, der gerade JOE gemacht hatte, einen ziemlich brutalen Film. Wir trafen uns also in New York, aber er meinte, er wolle jetzt nur noch Liebesgeschichten machen. Ich schaute ihn mir an – er hat später FRANKENSTEIN JUNIOR gemacht, das passte – und dachte, dass das nicht funktionieren wird. Später hat man mir erzählt, dass er an jedem Set erzählt hat, wie sehr er es bereut, dass er FRENCH CONNECTION nicht gemacht hat. Nun ja – wir hatten auf jeden Fall keinen Star. Dann hat mich Gene Hackmans Agent angerufen – er meinte, dass Gene passen könnte. Also haben wir uns zum Essen getroffen, obwohl ich wirklich keine Ahnung hatte, wer Gene Hackman ist. Er war damals nicht bekannt. Und ganz ehrlich: Das Treffen war eine Katastrophe – Gene Hackman war so langweilig, das kann man sich kaum vorstellen. Er erzählte mir entsetzt, dass er bei der William Friedkin Marine war, danach als Türsteher arbeitete und ein ehemaliger Vorgesetzter bei dem Hotel vorbeikam, vor dessen Tür er wachte. Der habe ihn beschimpft und gesagt, dass er ein Arschloch sei, früher eines gewesen sei und immer eines sein werde. Und glauben Sie mir: Ich dachte – ja, das scheint mir auch so. Aber wir hatte niemand anderen. Es war schrecklich. Wir brauchten bei der ersten Szene 37 Takes. Es funktionierte im Verlauf des Films aber etwas besser."

Wer meint, dass da wohl eine Hassliebe im Spiel war, der hat Recht. Doch was Friedkin über den weiteren Verlauf der Darstellersuche zu berichten hat, ist noch absurder: "Wenn Sie meinen, dass das schon alles war, dann erzähle ich mal von Fernando Rey – das war noch schlimmer. Da kam ein Casting-Agent ins Spiel, Bob Weiner, der nicht wirklich professionell war. Er war Journalist gewesen und hat sich mit Theater beschäftigt – also kannte er viele Schauspieler und hat beispielsweise für THE FRENCH CONNECTION angeheuert. Wir sprachen über die Besetzung des Franzosen und ich meinte, dass ich den Typen aus BELLE DE JOUR wolle, aber ich kam nicht auf den Namen. Bob rief mich zurück und meinte, dass es Fernando Rey sei – er habe auch Zeit und würde es für die Gage machen. Kurz darauf ging ich zum Flughafen in New York, um den Schauspieler abzuholen, aber ich konnte ihn unter den Ankommenden nicht finden. Also ging ich zurück zum Terminal und wurde auf einmal ausgerufen – am Informationsschalter stand dann dieser Mann, Fernando Rey, und da merkte ich: das ist nicht der Schauspieler, den ich gemeint hatte. Auf der Fahrt zum Hotel meinte er dann, er sei gar nicht Franzose sondern Spanier. Das hätte ich mir aufgrund des Namens auch denken können, aber ich hatte nicht darüber nachgedacht. Aber gut, Rey passte überhaupt nicht zu dem, was ich mir vorgestellt hatte. Als ich ihn dann fragte, ob er wenigstens seinen Bart abrasieren könne, meinte er, dass er überall Narben habe, das ginge nicht. Als wir im Hotel waren rief ich Bob Weiner an und schrie ins Telefon: "Du Idiot, das ist nicht der Mann aus BELLE DE JOUR!" Ich fuhr wutschnaubend ins Büro – inzwischen hatte Weiner gemerkt, dass ich Francisco Rabal gemeint hatte, ein dummer Fehler. Der war aber nicht verfügbar. Also hatte ich zwei Hauptdarsteller, die ich nicht gewollte hatte. Aber es funktionierte dann doch gut."

William Friedkin

THE FRENCH CONNECTION gilt heute als einer der zentralen Filme des New Hollywood, doch auch zu dieser einflussreichen Bewegung hat William Friedkin seine ganz eigene, durchaus humoristische Meinung: "Nun, New Hollywood - ich denke, das hat 1969 angefangen und im gleichen Jahr wieder aufgehört. Das ist eine Geschichte, die erst im Nachhinein auf diese Periode aufgepfropft wurde. Wir haben uns da damals keine Gedanken gemacht. Es gab keine Meetings zum Thema New Hollywood – wie das wohl auch mit der Nouvelle Vague war. Das Label haben sich andere ausgedacht. Ich halte da nicht so viel von. Wobei uns die Nouvelle Vague natürlich schon beeinflusst hat. Aber viel von dem neuen Look, der damals propagiert wurde, entstand aufgrund von geringen Budgets. Das hatte wenig mit dem Willen zu einer Ausdrucksform zu tun. Und viele Freiheiten gab es auch nicht, das ist ein Mythos – die Studios waren permanent hinter uns her und redeten uns in die Filme rein. Sie machten uns schrecklich Druck, damit wir in Zeit und Budget blieben. Komplette Freiheit ist und war ein Mythos. Ein neuer Look war vor allem Firmen wie Aeroflex zu verdanken, die neue interessante Kameras gebaut haben. Damit konnte man flexibel draußen arbeiten – das war wahrscheinlich das neue. An uns lag das nicht so sehr. Die technischen Gegebenheiten beeinflussen zumeinst den Look einer Ära – heute haben wir eben CGI, das hat natürlich viel mit der Optik der heutigen Filme zu tun. Viel mehr als die Freiheit oder Unfreiheit eines Regisseurs." Ob er denn CGI unterstütze? "Nun, ganz ehrlich. Was spielt das für eine Rolle. Es ist da, es wird genutzt, egal, ob ich das gut finde oder nicht."

Nach THE FRENCH CONNECTION folgte mit DER EXORZIST der zweite Riesenerfolg für Friedkin. Vor allem die deutsche Synchronfassung von Bernhard Wicki hat es dem Regisseur angetan: "Bernhard Wicki hat vier Monate daran gearbeitet – und ehrlich: Sie ist deutlich gruseliger als die Originalfassung! Die Deutschen sind allerdings nicht gruselig, das darf man nicht missverstehen." Und das, obwohl CRUISING, der nächste große Skandalfilm von Friedkin, doch bis vor kurzem in Deutschland verboten war? "Ja, das war mir bekannt. Aber jetzt darf er ja gezeigt werden, in der neuen Version als Digital-Print und in verlängerter Fassung. Denn ganz ehrlich: Für die amerikanische Version musste ich 40 Minuten raus schneiden. Die sind dort nämlich nicht besser mit der Zensur. Aber es sind auch wirklich harte Szenen drin. Der Produzent hat mich damals gehasst, als er das Material zum ersten Mal gesehen hat. Er meinte: Oh Gott, das geht nicht. Er sagte, das sei das Schlimmste, was er je gesehen hatte. Der würde 5000 X-Ratings bekommen. Und dann hab ich geschnitten, geschnitten, geschnitten. Aber jetzt wird er wieder ins Kino kommen und auf DVD erscheinen. Tatsächlich konnte ich einiges wieder rein bringen, aber nicht die ganzen 40 Minuten – er hätte sonst wieder ein X-Rating bekommen. Aber ich konnte doch maches retten. So haben wir den nun nach vielen Jahren in einer vernünftigen Version in Cannes zeigen."

William Friedkin

In Cannes traf Friedkin auch auf Quentin Tarantino, der vor allem für SORCERER schwärmte, und meinte, dieser Film sei eines der besten Remakes aller Zeiten, sogar besser als das Original: "Es soll Leute geben, die meinen, mein Film sei der bessere – im Vergleich zu Clouzots LOHN DER ANGST - aber die wohnen im Irrenhaus. Ehrlich. Aber ich denke auch nicht wirklich, dass das ein Remake ist, sondern eine neue Version der Geschichte, da der Film auf einem Roman beruht. Das ist so, als ob man jede neue Version von Hamlet ein Remake nennen würde. Das fände ich auch lächerlich. Wenn ich an SORCERER zurückdenke, dann erinnere ich mich vor allem positiv an die tolle Musik von Tangerine Dream." Musik ist sowieso ein wichtiger Teil im Leben Friedkins, nicht nur in seinen Filmen. "Ich mache heute auch oft Opernregie. Das begeistert mich. Aber in der Regel findet mich die Musik, nicht ich sie. Das war mit Tangerine Dream so, das war mit Mike Oldfield für DER EXORZIST so, das ist mit Opern so. Und auch die Themen meiner Filme finden mich eher, als dass ich sie immer so forciert angehe." Mit BUG hat Friedkin wieder so ein Filmthema gefunden. Man kann nur hoffen, dass dieser großartige Filmemacher noch viel Zeit hat, um weitere spannende Ansätze mit der Welt zu teilen. Beim Filmfest München war sein Auftritt jedenfalls eine mehr als unterhaltsame und inhaltlich spannende Offenbarung.

Special zum 25. Filmfest München 2007




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