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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
Vom Film Noir und gewaltloser Gewalt - Ein Besuch am Set von Helge Schneider
von Benjamin Hahn

Vom Film Noir und gewaltloser Gewalt - Ein Besuch am Set von Helge Schneider

Fast zwanzig Jahre hat es gedauert, nun soll Kommissar 00 Schneider im Spätsommer 2013 wieder auf die große Leinwand zurückkehren. Die Dreharbeiten für den immerhin nun schon fünften Kinofilm von Helge Schneider fanden im Oktober und November in dessen Heimat statt, dem beschaulichen Mülheim an der Ruhr.

Es ist Montag, 15 Uhr, mitten in Mülheim. Nur wenige hundert Meter von der Innenstadt entfernt, mitten in einer schmalen Wohn- und Geschäftsstraße, hat das Filmteam seine Zelte aufgeschlagen. Gedreht werden sollen zwei kurze Szenen. Eine erst am Vormittag spontan eingeplante Aufnahme mit einem maskierten Dreiradfahrer und ein Autounfall von Kommissar Schneider (Helge Schneider) und Elli Hartmann (Peter Thoms). Trotz Presseandrangs und regelmäßiger Unterbrechungen aufgrund kreuzender Anwohner verlaufen die Dreharbeiten ohne größere Probleme. Gedreht wird zwar nur mit einer Kamera, aber solidem technischem Aufwand: große Scheinwerfer und ein riesiger Reflektor sorgen für genügend Licht, ein Dolly für geschmeidige Fahrten und zahlreiche Helfer und Assistenten stellen sicher, dass die nötigen Umbauten schnell vonstattengehen.

Wer vom Meister des Unsinns einen improvisierten Dreh mit vielleicht sogar chaotischen Verhältnissen erwartet hatte, der dürfte ziemlich enttäuscht sein: äußerst konzentriert geht Regisseur Helge Schneider ans Werk. Erst wenn alles wirklich ruhig ist, die Szenen durchgeprobt sind und die Kamera genau so eingestellt ist, wie er es gerne möchte, gibt er sein "Action". Die kurzen Proben vor jeder Aufnahme sorgen auch dafür, dass nach spätestens drei, vier Wiederholungen die gewünschten Szenen im Kasten sind. Ulf Israel von der Senator Film freut die effiziente Arbeitsmethode des Multitalents: "Helge Schneider ist ein echter Profi geworden und liegt sowohl perfekt im Zeit- als auch im Budgetplan".

Dennoch ist aus dem Mülheimer längst noch kein Spießer geworden und so nimmt er sich zwischen und nach den Dreharbeiten immer wieder Zeit um mit vorbeilaufenden Kindern und Erwachsenen ins Gespräch zu kommen, für Erinnerungsfotos zu posieren und sich mal alberne, mal ernsthafte Antworten auf die Fragen der Journalisten einfallen zu lassen. Als zur Sprache kommt, ob der Tod seines langjährigen Freunds Andreas Kunze etwas an seiner filmischen Arbeit geändert habe, wirkt der gerne alberne und selbstironische Schneider für einen kurzen Moment melancholisch und in sich gekehrt. "Viele sind ja inzwischen gestorben", bemerkt er und bezieht sich damit wohl nicht nur auf Kunze, sondern auch auf Christoph Schlingensief, mit dem er 1995 das Drehbuch zu 00 SCHNEIDER - JAGD AUF NIHIL BAXTER geschrieben hatte. Doch weil das Leben weitergehe, wolle auch er in die Zukunft schauen. Das mag abgedroschen klingen, aber man nimmt Schneider ab, dass es keineswegs als hohle Phrase gemeint ist. Der Verlust der Freunde mag ihm zugesetzt haben, aber zugleich lag darin auch die Chance für einen Neuanfang.

Genau die nutzt er jetzt und so versteht er seinen neuen 00 SCHNEIDER auch nicht als Fortsetzung des ersten Films oder gar des Theaterstücks, das 2005 am Schauspielhaus Bochum Premiere feierte. Tatsächlich beschreibt er seinen neuen Film als Überarbeitung der Figur des Kommissar Schneider. Um das näher zu erläutern, schlüpft Schneider in die Rolle seines Kommissars und stellt fest, dass der erste Film "albern" gewesen sei und er sich "falsch dargestellt" gefühlt habe. Von daher solle der neue Film auch "brutaler und düsterer" werden: "Es wird ein Film Noir - nur farbiger".

Ob man Helge Schneider das wirklich glauben kann, darf ruhig angezweifelt werden. Denn auf die Nachfrage, ob "brutaler" auch gleichbedeutend sei mit "mehr Gewalt", fällt Schneider aus seiner Rolle als "Kommissar" und gibt den ernsthaft besorgten Medienkritiker. Über das Gewaltmaß in deutschen Fernsehkrimis kann er sich regelrecht in Rage reden. Es rege ihn auf, dass alles heute möglichst realistisch aussehen und die Kamera minutenlang auf perfekt gemachte Wasserleichen draufhalten müsse, dabei aber niemand daran denke, dass Kriminalgeschichten auch kindergerecht inszeniert werden können. Gerade deshalb will er mit seinem neuen Film ein Gegenbeispiel in die Kinos bringen: Ein Kommissar ohne Waffe, der zuschlägt ohne anzufassen - wie sein großes Vorbild Eddie Constantine und dessen Paraderolle des Lemmy Caution. Gewalt auf dem Niveau von DICK & DOOF in einem familienfreundlichen Film, der die Fantasie anregt und zum Träumen einlädt. Nichts Geringeres soll 00 SCHNEIDER - IM WENDEKREIS DER EIDECHSE werden.

Dass er das schaffen kann, daran besteht kein Zweifel. Zu sehr klingt er nach einem Kinoliebhaber, der sich ganz genau dessen bewusst ist, was er da abliefert. Passend dazu auch seine Erklärung, warum er im "Super 16"-Format dreht und nicht digital: "Wenn man auf Film dreht, dann hat man etwas, das man anfassen kann. Dann schwirren die Bilder nicht irgendwo im Äther herum, sondern sind greifbar". Gerade diese Nostalgie scheint Schneider anzutreiben und so macht sie sich auch ästhetisch bemerkbar: Gekleidet wie in den 70ern und einen Oldtimer fahrend, wirkt der Kommissar wie aus der Zeit gefallen. Und doch liegt er mit der nostalgischen Verklärung des Vergangenen auf der Höhe der Zeit. Natürlich ist es müßig über einen noch im Dreh befindlichen Film zu spekulieren, aber es deutet einiges darauf hin, dass Helge Schneider mit 00 SCHNEIDER - IM WENDEKREIS DER EIDECHSE seinen ganz persönlichen HUGO CABRET abliefert.




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