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Special.
Durch die Nacht mit... Alejandro Jodorowsky & Daniel Pinchbeck
von Björn Lahrmann

Durch die Nacht mit... Alejandro Jodorowsky & Daniel Pinchbeck
Durch die Nacht mit... Alejandro Jodorowsky & Daniel Pinchbeck
Durch die Nacht mit... Alejandro Jodorowsky & Daniel Pinchbeck

Zu Anfang eine Parallelmontage: Zwei Männer, von Büchern eingeschlossen, Bücher voneinander lesend, hier eine Autobiografie, dort ein psychedelisches Manifest. Der eine, bei sich daheim, ist etwa doppelt so alt wie der andere, der in einem Pariser Hotelzimmer sitzt und wartet, dass es endlich los geht DURCH DIE NACHT miteinander. Fast ein bisschen schizophren wirkt dieser Auftakt, als wären die beiden ein und dieselbe Person, die man in verschiedenen Lebensphasen eingefangen hat: als nachdenklichen jungen Mann auf der Suche nach dem Glück, und als besonnenen, verschmitzten Alten, der es unterdessen gefunden hat. Der erste ist Daniel Pinchbeck, der zweite Alejandro Jodorowsky.

Jodorowskys Mitwirkung ist ein Glücksfall für die Sendereihe. Der chilenische Regisseur und Comicautor, der in den 70ern mit EL TOPO und THE HOLY MOUNTAIN die Fackel jenes manisch-exzessiven Surrealismus fort trug, für den Fellini und Buñuel schon zu saturiert waren, hat sich lange bitten lassen; freimütig gibt er zu, er habe einfach keine Lust auf das Format gehabt, bis schließlich die Paarung mit Pinchbeck den Ausschlag gab. Man versteht leicht, warum: Pinchbeck, Autor zweier Bücher über halluzinogene Drogen und arkane Maya-Weisheiten, teilt Jodorowskys Sicht auf die Limitierungen des menschlichen Geistes ebenso wie sein unermüdliches Forschen nach neuen, revolutionären Techniken spiritueller Expansion. Schamanen der Neuzeit sind sie, jedoch gänzlich ohne die eitlen Allüren gemeiner New-Age-Quacksalber; ein Ausschnitt aus einer von Jodorowskys psychomagischen Therapiesitzungen illustriert auf schöne Weise, dass Humor und Charisma (sowie, einem beliebten Zitat zufolge, seine cojones) für ihn immer noch die wichtigsten Handlungsprinzipien darstellen.

Ein spielerischer Schalk lodert ihm in den Augen, als er und Pinchbeck vorm Notre Dame aufeinander treffen, am Punkt, wo alle Straßen Frankreichs konvergieren. Eine Mitte zu finden, in Balance zu sein, entwickelt sich passenderweise zum übergreifenden Gesprächsthema der Episode. Körperlich zwar einigermaßen inkompatibel – Jodorowsky wirkt zerbrechlich und verschrumpft gegen den hochgewachsenen Pinchbeck, der an einen rothaarigen Elvis Costello erinnert –, ist doch auf Anhieb klar, dass sich hier zwei auf derselben Denkebene gefunden haben. Angeregt reden sie über Kornkreise, deren alchemistischen Mischmasch verschiedenster Symbolsysteme Jodorowsky so ähnlich auch in THE HOLY MOUNTAIN zelebriert hatte. Die pointierte Regie verbindet dazu Filmexzerpte, die sofort größte Lust auf eine Werkschau machen, mit Detailaufnahmen religiöser Insignien an der Kathedralenfassade, deren gotische Imposanz bald den Bildschirm füllt, vor einem Herbstsonnenuntergang, der so schön bedrohlich auch nicht alle Tage zu haben ist.

Weiter geht's durch den angrenzenden Park, wo man sich unterm ältesten Baum der Stadt nieder lässt. Das Gespräch kommt auf die Familie, es werden Traumata ausgepackt ohne Vertun: Jodorowsky, unentwegt lächelnd, erzählt von seinem Ausriss mit 14 und der schwierigen Beziehung zur Mutter, Pinchbeck von der Trennung seiner Eltern – einer Beat-Schriftstellerin, einem Maler –, die ihn bis heute nicht loslässt. Für Small Talk und gegenseitiges Komplimentieren ist den beiden die Zeit zu schade, sie quatschen sich fest über Frauen, Weltuntergang, Ayahuasca-Trips und die Weiterentwicklung der Spezies Mensch, die Jodorowsky in seinem amüsanten Lispel-Englisch als konzisen Dreischritt zusammenfasst: "Fornication, a child, mutants!" Die Kameras – angenehm zurückhaltend, ohne in Reverenz zu erstarren – sind so gut wie vergessen. "Ich glaube, die werden langsam müde", grinst Jodorowsky, der selbst keinerlei Anzeichen davon aufweist. Er ist auf eine Weise gealtert, die nicht eine Sekunde lang jene falsche Tapferkeitsrührung aufkommen lässt, die man z.B. Johannes Heesters gern entgegenbringt. "I'm 80, but I speak like a normal person", scherzt er und trifft damit genau ins Schwarze.

Die nächste Etappe führt in ein labyrinthisches Hotel, wo schon Oscar Wilde seine letzten Tage verbrachte. Dort liest Tarot-Meister Jodorowsky seinem Gast die Karten, ein bisschen auch die Leviten, sagt ihm nonchalant Dinge auf den Kopf zu, die selbigen fast zum Erröten bringen: Beziehungshemmnisse und Sexualängste kommen ungeniert aufs Tapet, dass man bald nicht mehr weiß, woran sich Jodorowsky eigentlich orientiert: Aleister Crowley oder der Psychoanalyse. Später, in seinem schön verschroben eingerichteten Apartment, wird Pinchbeck über eine Freud-Actionfigur in Verzückung geraten, die da herum steht zwischen kleinen Goldbuddhas und Jodorowskys eigener Comic-Kreation, John DiFool. Ob Buddha oder Mickey Mouse, ist doch einerlei, hatte er bei einem zuvor noch eingeschobenen, wenig ergiebigen Besuch eines buddhistischen Tempels angemerkt. Zum Ausklang des Abends serviert seine Frau ein leichtes Fischgericht; dazu ein Gespräch über Pinchbecks Pläne zum Weltende anno 2012 sowie eine handvoll LSD-Geschichten, von Jodorowsky mit nüchterner Ironie dargeboten. Seine Utopie fußt ohnehin auf einer anderen, nicht minder rauschhaften Substanz: einer nützlichen, heilenden Kunst.

Was der Ausgabe ein wenig abgeht, ist ein gewisses Reibungspotenzial, ein Dissens. Obwohl Jodorowsky Pinchbecks Ideale und Methoden stets auf listige Weise hinterfragt, ähneln sich die Lebensentwürfe der beiden doch zu sehr, als dass tatsächlich eine hitzige Diskussion draus entstehen könnte. Was man statt dessen bekommt, ist im Fernsehen indes ein deutlich rareres und wohl auch kostbareres Gut: Intimität. Wenn die beiden, was mehrfach vorkommt, einander versichern, wie viel Spaß ihnen das Treffen gerade bereitet, hat das nichts Gezwungenes, Verkrampftes an sich; es ist vielmehr ein Ausdruck freudiger Verwunderung darüber, dass sowas unter den gegebenen Umständen überhaupt möglich ist. Es ist ein bisschen wie bei den Trips, die Pinchbeck beschreibt: Jede Initiation bedarf, um zu funktionieren, eines festen zeremoniellen Rahmens. Bei seinem Abend mit Jodorowsky ist es das Team von DURCH DIE NACHT MIT, das diesen Rahmen liefert. Entstanden ist ein warmherziges, selbstgenügsames Doppelporträt, das kein visuelles Geflashe benötigt, keine Mitspieler, keine Einspieler, und dessen entspannte Stimmung von den dezent ominösen Klangböden der Circus Devils nur ums Allernötigste mystifiziert wird. Am Ende wird Pinchbeck Jodorowskys Geschenk, Jodorowsky Pinchbecks Namen vergessen haben. So flüchtig sind schnöde Fakten, wenn's ums Eingemachte geht.



Kritik von Björn Lahrmann
Porträt Alejandro Jodorowsky
Porträt Daniel Pinchbeck
Special zur Folge Alejandro Jodorowsky & Daniel Pinchbeck

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