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UNENDLICHE TIEFEN

Reportage.
AVATAR Pressekonferenz am 08.12.2009 im Hotel de Rome, Berlin
von Björn Lahrmann

AVATAR Pressekonferenz am 08.12.2009 im Hotel de Rome, Berlin

Alle kennen Helmut. Wie bei den meisten mehr oder minder obskuren Hobbys, hat sich auch unter Autogrammjägern eine Art Community gebildet, und Helmut ist offenbar Clan-Ältester. Am Seitenausgang des Berliner Hotel de Rome steht er mit ein paar anderen im kalten Niesel und wartet auf das Defilée der AVATAR-Crew, die hier kurz zuvor eine vergnügliche Pressekonferenz gehalten hat. Als James Cameron endlich in der Tür erscheint, mahnt ein Ordner: "Ruhig, Helmut", aber das ist gar nicht nötig. Insistent, aber höflich ruft Helmut den Regisseur beim Namen, der sich aus seinem Mund ein bisschen wie "Kamerun" anhört. Nach erfolgreicher Mission klappert er beglückt die anderen Fans ab, Beute vergleichen; für das Funkeln in seinen Augen gibt es im Englischen das schöne Wort starstruck. "Und, haste auch eins gekriegt?", fragt er mich, und weil ich nicht das Herz habe, ihm zu sagen, dass Unterschriften mir herzlich wurscht sind, antworte ich einfach mit Ja. "Siehste", lacht er und klopft mir dabei auf die Schulter, "der James ist ein Netter!"

Der James kann aber auch anders, zumindest, wenn man ihm seine Arbeit madig machen will. Drehen wir die Uhr eine Stunde zurück: Die Pressekonferenz ist in vollem Gange, als Fragen nach dem Plot von AVATAR laut werden. Ob der nicht ein wenig vorhersehbar und altbacken sei, gar eine verkappte Nacherzählung der Pocahontas-Legende in anderem Gewand. "What the fuck are you talking about?", grimmt Cameron, wie ein Löwe, der sein Junges verteidigt. "Das ist doch keine bekannte Geschichte! Sie baut zwar auf klassischen Themen auf, vergleichbar vielleicht mit LAWRENCE VON ARABIEN – aber die Details sind absolut neu und einzigartig." Auch eine konkrete Allegorie auf die Invasionskriege der amerikanischen Vergangenheit habe er nicht im Sinn gehabt; vielmehr sei Ignoranz fremden Kulturen gegenüber, wie sie im Film am Beispiel der Na'vi verhandelt wird, ein Grundübel zivilisatorischen Handelns. Elementare Werte wie der respektvolle Umgang mit Natur rücken immer wieder ins Zentrum von Camerons Argumentation. Dass seine Öko-Agenda hierzulande eher naiv rüberkommt, ist ihm dabei durchaus bewusst: "Deutschland ist ja ohnehin grün gesinnt, da renne ich offene Türen ein." Die hauptsächliche Maßgabe des AVATAR-Projekts sei es jedoch gewesen, einen sense of wonder zu erzeugen, das Publikum also in ehrfürchtiges Staunen zu versetzen. Das funktioniert universell.

AVATAR Pressekonferenz am 08.12.2009 im Hotel de Rome, Berlin
AVATAR Pressekonferenz

Cameron steht klar im Mittelpunkt des Interesses, dabei ist er beileibe nicht allein auf dem Podium: Neben seinem Co-Produzenten Jon Landau, der als flapsiger Stichwortgeber und Nachhaker fungiert, sitzen dort die jungen Stars des Films, Sam Worthington und Zoe Saldana, sowie die Nebenrollen-Veteranen Stephen Lang und Sigourney Weaver. Als Lang beglückwünscht wird, mit seinem Colonel Quaritch den hassenswertesten Mistkerl seit langem erschaffen zu haben, zollt Cameron ihm Respekt: "Ich habe Stephen beim Casting zu ALIENS kennen gelernt und stets in guter Erinnerung behalten. Zu seiner Ein-Mann-Show in AVATAR kann ich nur sagen: He scared the crap outta me!" Zudem sei Stephen selber Autor und habe dementsprechend einiges zur Schärfung der Figur beigetragen. Lang, der in der Tat einen überaus distinguierten Eindruck macht, bestätigt das vollmundige Lob, indem er seinen Filmcharakter per Goethe-Zitat umreißt: "Niemand ist gefährlicher als ein enttäuschter Idealist." Seine militärpsychologische Einschätzung Quaritchs ist von nicht minder erlesener Wortwahl: "Dirty wars have an eroding effect on any warrior spirit." Als sich sprachliche Ungepflegtheiten im Saal häufen, wirft er trocken ein: "So eine versaute Pressekonferenz hab ich noch nie erlebt. I'm fuckin' shocked."

Als Cameron auf den größten Marketing-Fauxpas des Films zu Sprechen kommt – dass es nämlich bislang nicht gelungen sei, Frauen zu erreichen –, springt Sigourney Weaver ihm bei: "Auf den ersten Blick mag das alles aussehen wie großes Spielzeug für Jungs, aber im Kern steckt eine romantische Geschichte über menschliche Konflikte." Ein Familienfilm alter Schule sei AVATAR geworden – das werde sich spätestens dann herumsprechen, wenn Mütter von ihren Söhnen zum dritten Mal ins Kino geschleppt würden. Zudem, scherzt Weaver, habe Cameron eine ausgeprägte feminine Seite, die sich auch diesmal wieder in starken Frauenfiguren niederschlüge: "Zoe ist mit ihrem Geschick, ihrer Anmut und Würde ein klassisches Vorbild. Grace hingegen, die ich spiele, ist eine komplizierte ältere Frau, die traditionelle Rollenzuweisungen ablehnt." Zoe Saldana nimmt den Faden auf: Von Kindesbeinen an sei sie ein großer Science-Fiction-Fan gewesen und habe vor allem Sarah Connor und Ellen Ripley idolisiert. "Als ich mitbekam, dass beide Figuren von ein und demselben Mann stammen, war ich überrascht." Bei der Nachricht, dass sie mit Ripley persönlich zusammen arbeiten dürfe, habe sie laut aufgeschrien – "aber nicht in Sigourneys Gegenwart!"

AVATAR Pressekonferenz am 08.12.2009 im Hotel de Rome, Berlin
AVATAR Pressekonferenz

Sam Worthington plaudert von der absurden Erfahrung, auf zumeist leeren Sound Stages agieren und sich dabei ausmalen zu müssen, durch einen exotischen Urwald zu rennen. "Jim hat versucht, uns die Vorstellung zu erleichtern, wo es nur ging. Bei Explosionen bewarfen uns Mitarbeiter mit Steinchen, um herumfliegende Trümmer zu simulieren. Wir fühlten und wie Fünfjährige im Laufstall." Als waschechter Australier habe er sich natürlich besonders auf eine zünftige Klopperei mit Stephen Lang gefreut, aber auch daraus wurde nichts: "Ich hatte immerhin noch das Glück, gegen Komparsen antreten zu können. Als Stephen, Monate später auf einer ganz anderen Bühne, seinen Teil der Prügelei drehte, musste er gegen Luft kämpfen." Aus solch winzigen Szenensplittern ein kohärentes Ganzes zu formen, sei das Genie James Camerons. Enthusiastisch äußert sich Worthington auch über das Performance-Capture-Verfahren, das für die lebensechten Bewegungen der Na'vi sorgt und seit dem HERRN DER RINGE einen Quantensprung hingelegt hat: "Hier geht's nicht mehr darum, eine einzelne Figur wie Gollum oder Kong überzeugend zu animieren, sondern einen ganzen verdammten Planeten!" Bei seinen Tauchgang-Dokus, fügt Cameron bescheiden hinzu, habe er gelernt, dass nichts so faszinierend ist wie das Entdecken einer unbekannten Spezies; diese Faszination habe er in den Film hinüberretten wollen.

Bei aller Bescheidenheit ist Cameron natürlich stolz auf's Endergebnis. Vier Jahre haben immerhin die Dreharbeiten in Anspruch genommen, länger noch die Entwicklung der neuartigen 3D-Technik, RealD. Ob man sich während all der Zeit auch mal über die Nippel der Na'vi Gedanken gemacht habe, will jemand wissen. Klar, scherzt Cameron, die meiste Zeit ist fürs Nippeldesign draufgegangen. Und Ärsche, die auch. Auf Budgetfragen reagiert er dagegen ausweichend: Auch in Zeiten der Rezession komme es einzig darauf an, genau die Geldmenge zur Verfügung zu haben, die erforderlich ist, um das Publikum zu begeistern; unanständig sei eine solche Summe nur dann, wenn das Endprodukt schlampig und lieblos ausfiele. Vom drohenden Tod des Kinos will Cameron ebenfalls nichts wissen: "In den 50ern gab es das Fernsehen, in den 80ern den Video-Wahn, heute illegale Downloads. Das Kino wird daran zu Grunde gehen, hat man immer wieder gesagt, und immer wieder hat es sich als Fehlprognose erwiesen. The cinema experience is not going anywhere." Das aus dem Mund eines Mannes zu hören, der Filme immer noch dezidiert für die große Leinwand macht, ist beruhigend.
Zum Schluss, als die Darsteller die Bühne bereits verlassen haben, gibt Cameron ein paar nach vorn preschenden Reportern geduldig Autogramme, posiert für Schnappschüsse. Plötzlich gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem glühenden Über-Fan Helmut und den abgeklärten Journalisten, die AVATAR in ihren Besprechungen vielleicht verreißen werden. "Was Kritiker schreiben, kümmert mich nicht", hatte Cameron während der Pressekonferenz noch gesagt. Wieso auch? Am Ende fressen sie ihm ja doch aus der Hand.




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