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AVATAR - AUFBRUCH NACH PANDORA (USA 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. AVATAR
Laufzeit in Minuten. 150

Regie. JAMES CAMERON
Drehbuch. JAMES CAMERON
Musik. JAMES HORNER
Kamera. MAURO FIORE . VINCE PACE
Schnitt. JOHN REFOUA . STEPHEN E. RIVKIN
Darsteller. SAM WORTHINGTON . ZOE SALDANA . SIGOURNEY WEAVER . STEPHEN LANG u.a.

Review Datum. 2009-12-11
Kinostart Deutschland. 2009-12-17

Ich kannte mal einen passionierten Kiffer, der schwor darauf, dass ein nächtlicher Waldbesuch unter Substanzeinfluss ein Born aller Seligkeit wäre. Nach eigener Aussage betrieb er dort Nackttanz unterm Sternenzelt, rollte träg durchs feuchte Moos und labte sich am Spiel des Mondlichts in den Tannenwipfeln. Treehugger crap nennt Jake Sully (Sam Worthington) derlei Geschwärm abfällig. Jake ist ein Soldat, der in irgendeinem Krieg der fernen Zukunft zum Krüppel geschossen wurde. Fertig ist Onkel Sam mit ihm trotzdem noch nicht: Er wird abbestellt auf den Dschungelplaneten Pandora, wo er bei der Erforschung der neuen Welt und ihrer Ureinwohner – dem katzenhaft-humanoiden Naturvolk der Na'vi – zu Diensten sein soll. Weil handelsübliche Camouflage zwecks Integration in die fremde Fauna nicht langt, hat sich das Team um die kettenrauchende Dr. Augustine (Sigourney Weaver) zu einem Experiment entschlossen: In der Retorte hat man Na'vi-Mensch-Hybriden – sogenannte Avatare – geklont, die von den Expeditionsteilnehmern, in Cryo-Pods schlummernd, per mentaler Einklinkung kontrolliert werden. Als Jake auf seiner ersten Avatar-Mission von der Gruppe getrennt wird, begegnet er im nächtlichen Wald dem Na'vi-Mädchen Neytiri (Zoe Saldana) – und bald schon rollt ihm treehugger crap von der Zunge, als gäb's auf Pandora das beste Gras des Universums.

Da isser also: AVATAR. Von James Cameron. In echt. Was hat das verdammte Ding im Vorfeld nicht alles verändern sollen: Die Art, wie Filmemacher Filme machen. Die Art, wie Filmegucker Filme gucken. Revolutionen hat er auslösen, eine neue Epoche des Kinos einläuten sollen. Stellen wir uns vor, er würde dies tun – er tut es nicht, aber stellen wir's uns, zu Argumentationszwecken, einfach mal vor: Wie brechen Epochen eigentlich an? Mit lautem Knacks, wie Schokoladentafeln mit perforiertem Eck? Oder kommen sie nicht eher heimlich über die Schwelle geschlichen und tun so, als wären sie immer schon da gewesen? AVATAR ist, wenn überhaupt, von letzterer Art, und das ist das Schöne an ihm. Sein Plotkonstrukt ist, von der leidlich originellen Prämisse einmal abgesehen, äußerst basal, geradezu minimalistisch gehalten. Pro forma gibt es zwar Bösewichte – einen corporate clown (Giovanni Ribisi), der nach Rohstoffen, einen monströsen Colonel (Stephen Lang), der nach Zerstörung giert – sowie die üblichen Loyalitäts- und Liebeskonflikte. Das Kinoerlebnis, das er bietet, ist hingegen ein absolut elementares, von narrativen Clous und dramaturgischen Volten völlig abgekoppeltes: Das Entdecken einer unbekannten, nie zuvor gesehenen Welt.

Nicht umsonst ist der Protagonist einer, der an Leib und Seele verkümmert ist und auf Pandora von den Freuden eines neu gewonnenen Sensoriums – der Exaltation des Rennens, Sehens, Fühlens – kosten darf. Wie ihm sein Avatar, dient Jake uns, den Zuschauern, als synästhetisches Vehikel, mit dem wir die fremde Umgebung ganz buchstäblich erfahren (im Sinne von: bereisen, erkunden) können. Gemeinsam lernt man die prächtige Pandora-Flora kennen, die nachts in allen Farben des Neonspektrums vor sich hin schillert, flüchtet vor Dickhäuterstampeden und wütenden Raubtieren, schwingt sich auf widerspenstige Flugechsen und saust zwischen Wasserfällen und schwebenden Gebirgen hindurch. Für das Hindurch (auch: das Hinein, Hinauf und Hinunter) sorgt das eigens entwickelte 3D-Verfahren RealD, das nach kurzer Brillengewöhnung inklusive Stirnkitzeln einen durchaus beeindruckenden Tiefeneffekt erzeugt. Der Bildvordergrund ist dabei von einmalig kristalliner Schärfe, sogar bei ruppigsten Reißschwenks bleiben einzelne Objekte stets diskret erkennbar, statt ineinander zu bluten. Und die runderneuerte Performance-Capture-Technologie, die den Bewegungen der Na'vi zu tatsächlich ungeahnter Lebendigkeit verhilft, wischt mit Robert Zemeckis' jüngsten CGI-Marionetten glatt den Boden auf. Zwar haftet der Mimik der digitalisierten Sams, Sigourneys und Zoes nach wie vor eine animationstypische Morph-Statik an; wenn jedoch der blaue Fuß von Avatar-Jake im lockeren Mutterboden wühlt, erweckt daran kaum noch etwas den Eindruck, einem Computer beim Rechnen zuzusehen.

Das größte Kompliment, das man AVATAR indes machen kann, ist, dass seine technischen Innovationen letztlich völlig schnuppe sind. Das kataloghafte Abhaken erbrachter Effektleistungen ist hier ebenso müßig wie die leidige Diskussion um etwaigen Fotorealismus des ohnehin Unfotografierbaren: Perfekte Illusionen zeichnen sich eben dadurch aus, dass man um ihren illusionären Status weiß, sich aber trotzdem nur zu gern von ihnen hinters Licht führen lässt. Negativ gewendet, ist somit auch AVATAR nicht gegen chronische Grantler gefeit, die mit dem Spazierstock wedeln, auf Videospiel-Ästhetik schimpfen und einer Zeit hinterher jammern, da man Filme noch im Mischforst um die Ecke gedreht hat. Damit tun sie aber dem Reichtum einer Vision Unrecht, die bis ins Wehen der Farne und Schwirren der Insekten, bis in die einzelne Hautpore und Haarfaser hinein eine komplette Biosphäre aus dem Nichts erschafft. Ob man darüber nun Bauklötze staunt oder Pixel, ist einerlei. Die kindliche Faszination, die von Pandora ausgeht, ist vergleichbar mit alten Was-ist-was-Bänden, oder Modelleisenbahnen, oder auch jener Büchse, nach der der Planet schließlich benannt ist: Es ist das hehre Versprechen auf absoluten Weltzugriff, in das sich lustvoll die Angst vorm totalen Ausgeliefertsein hineinmogelt.

Selbstredend kann man sich trotz allem noch trefflich das Hirn zermartern, was wohl der frühe James Cameron aus diesem Stoff gemacht hätte, oder gar Paul Verhoeven. Vielleicht wären ihre Farben weniger fröhlich, ihre Bestien weniger kulleräugig ausgefallen. Vielleicht hätten sie den Kolonialisten, die hier arg einseitig die Axt im Regenwald schwingen, ein wenig Ambivalenz spendiert, und den vor Edelmut strotzenden Na'vi, auf deren Schultern die allegorische Last aller Vertriebenen dieser Erde liegt, gleich mit. Und vielleicht hätte sich sogar James Horner mit seinem weltmusikalischen Schlachtenbombast ein bisschen zurück gehalten. Kurz: Vielleicht wären ihre Varianten des Thema weniger kinder- und mehr zynikertauglich geraten. Ins Gewicht fallen diese Vorbehalte jedoch kaum, weil die sinnlichen Qualitäten des Films alle inhaltliche Naivität überstrahlen, sich sogar als magisches Credo in die penetrante Öko-Religon der Na'vi einschreiben: I see you, heißt es da immer wieder. AVATAR beginnt und endet mit dem Bild eines Auges, das sich öffnet. Schon deswegen kann er keine neue Epoche einläuten, weil er das Kino für einen Zweck verwendet, den es seit seinen Ursprüngen immer schon hatte: Um zu sehen. Das allein ist Attraktion genug.











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