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UNENDLICHE TIEFEN

Essay.
Alfred Joseph Hitchcock Teil II - That Mental Obsession
von Claudia Siefen

Alfred Hitchcock

Der zweite Teil der Alfred Hitchcock Retrospektive im Österreichischen Filmmuseum zeigt Hitchcocks Werk ab dem Jahr 1948 und ist die Bestätigung sämtlicher Hitchcock-Sekundärliteratur: des Meisters sexueller Obsessionen.

Nun ist also Schluss mit lustig. Vorbei ist es mit der wilden Augenzwinkerei, dem ewigen "Etwas-zu-viel" an Seidenstrümpfen und pomadierten Haarsträhnen, dem Ausloten von heterosexueller Zweisamkeit Dank ausgeklügelter Kamerapositionen und raffinierter Montage. Gab es im ersten Teil hinreichend Stoff zum Kichern und die große Freude, nicht alles allzu ernst zu nehmen, führt der zweite Teil zu einem Werk-Dickicht an sexueller Verbissenheit und religiösem Misstrauen. Was sich in den frühen Arbeiten als netter Spleen erwies, wird nun zur Gewissheit und kann einem in geballter Form gewaltig auf die Nerven gehen. Gemeint sei hiermit die ewig leidende Weiblichkeit, vorzugsweise in Blond, der religiöse Schlüssel als Motiv und die lechzende Hoffnung, daß besagte Dame es eigentlich nur eines ordentlichen Ficks bedarf, dass diese Möglichkeit aber gerne durch die religiöse Erziehung (Ver-ziehung?) unterdrückt wird. Hitchcocks ausgiebige Beschäftigung mit der Arbeit Sigmund Freuds ist in all den Jahren wohl hinlänglich bekannt, ebenso seine diesbezügliche Besetzungsstrategie: die kühl-blonde und schlanke Heldin und der saftig-brünette, mindestens genauso gut aussehende Held, in dessen Rolle als potenter Retter sich Hitchcock nur zu gern selbst gesehen hätte, seine eigene Optik dies bekanntermaßen aber nicht zuließ. Zeitlebens kämpfte Hitchcock, mal erfolgreich, mal nicht, gegen seine Pfunde und bemitleidete sich ob seiner Haarlosigkeit auf dem Kopfe und der Speckrollen im Gesicht. Als nun etablierter technischer wie szenarischer Filmkunstschaffender genoß er seinen Ruf als fordernder, geistreicher Regisseur und den damit verbundenen Vorzug, dass sich Schauspielgrößen gerne seinen quälenden Dreharbeiten aussetzten, um natürlich etwas über ihr tiefstes Innerstes zu erfahren und gleichzeitig an einem "wichtigen" Filmprojekt teilzuhaben und sich als Charakterdarsteller beweisen und bestätigen zu können. Hierbei sind Hitchcock einige dermaßen gute "Side-kicks" gelungen, auf die man einfach lustvoll aufmerksam machen muß: so etwa seine Besetzung des herrlich verzweifelten wie wunderschönen Farley Granger (ROPE, 1948 und STRANGERS ON A TRAIN, 1951), den wir später bei Visconti (SENSO, 1953) wiedertreffen werden. Oder auch die intelligent-kesse Diane Baker (die Frau mit dem leckersten Grübchen im rechten Mundwinkel, das Hollywood wahrscheinlich je gesehen hat) in MARNIE (1964), nachdem man sie einige Jahre zuvor schon in Jean Negulescos BEST OF EVERYTHING anschmachten konnte, jenem wildem Film, der sich als Urgroßmutter von Sex and the City einordnen lässt.

ROPE aus dem Jahr 1948 nach dem Bühnenstück von Patrick Hamilton nutzte Hitchcock als technische Spielwiese für das spürbare Vergehen von Zeit innerhalb einer Spielfilmlänge. Der Drehort ist ganz klar eine Bühne, die Skyline mitsamt Himmel hinter den grossen Fenstern verändert sich im Laufe des Filmes, wir sehen den frühen Abend in grau-blau bis zur Abendstimmung in rot-violett und das fast schon erlösende grau-schwarz zum Ende des Filmes, der uns mitten in einen Mord führt, begangen aus einer Sade'schen Experimentierlust: wenn ein Mord vor den Augen aller geschieht, wird das überhaupt bemerkt, und ist ein Mord denn wirklich so schlimm, wenn das Opfer keinerlei offensichtlichen Nutzen für die Gesellschaft erbracht hat? Zwei Herren laden zur abendlichen Party, der eine mit kecker Augenbraue, im geschmackvollen Anzug und den Kopf voll von Bewunderung für den menschlichen Geist, der kulturellen Raffinesse und der Überzeugung, daß nicht jeder Mensch ein berechtigtes Dasein führt, sondern daß man sich dieses mit exquisiter Bildung und geistvoller Intelligenz erst einmal verdienen muß. Der andere: macht mit. Ein Kumpane wird also aus seinem langweiligen Dasein ins Jenseits und hiernach in der zum Tisch umfunktionierten Truhe befördert; zum abendlichen Cocktail im kleinen Kreis wird auch der hochverehrte Professor (James Stewart) eingeladen, und so wartet man gespannt, ob "es" denn nun einer merkt. Daß so etwas in der zivilisierten Gesellschaft als "Mord" bezeichnet wird, was soll's? Der Professor wird dies intellektuelle Meisterstück schon zu schätzen wissen, und die glanzvolle Leistung dahinter (der perfekte und berechtigte Mord) zu würdigen wissen... . Während der eine (John Dall) das Spiel genießt und eifrig die verbalen Fäden zieht und spinnt, immer wieder neue Geschichten rund um das Verschwinden des Toten erfindet und sich am Nervenkitzel rund um die Truhe erfreut, ist der andere (eben Farley Granger) dem eigenen Nervenzusammenbruch auf der Spur, und der Frage, ob "das" alles so richtig war und dann erst die Konsequenzen, nicht auszudenken! Einen solchen Abend erleben wir also; Hitchcock läßt hinter den Fenstern Dank Bühnentechnik den Abend verstreichen und sorgt dafür, daß jede Szene genau eine (zur damaligen Zeit technisch üblichen) "Filmrollenlänge" erzielt, er schneidet also nur "vorne und hinten" ab, sichtbare Schnitte gibt es nicht. Soviel zur Technik, inhaltlich wird der Film zum Zeugnis von Hitchcocks Homophobie, denn darauf gibt es zwar keine absolut eindeutigen Hinweise (wir schreiben das Jahr 1948!), aber auf die beiden Herren wird genügend in ihrer Verhaltensweise zugespitzt, um sie als ein Paar zu definieren: sie bewohnen also gemeinsam ein Appartement, der "weiblich-schwache" Part braucht natürlich etwas länger zum Anziehen und "Aufbrezeln" und lamentiert gerne vor sich hin, außerdem verabredet man sich, stilvoll wie man ja ist, mit befreundeten Paaren zum gemeinsamen Wochenende auf dem Lande. Die junge attraktive Dame im Film bringt keinerlei sexuelle Spannung in die Handlung sondern wird eindeutig als ein "Kumpel" der Gastgeber etabliert, sämtliche romantische Anbetung fixiert sich mit dem Erscheinen des gelassen-in sich ruhenden Professors auf den attraktiven Stewart, der zu Beginn des Abends eher etwas belustigt ist, ob der offenkundigen Huldigungen und Aufmerksamkeiten gegenüber seiner Person. Das ganze gipfelt in der abfälligen Behandlung des Hausmädchens, natürlich ein altes und verhärmtes Mütterchen, die sich ihrerseits regelmäßige verbale Spitzen gegen ihre beiden Arbeitgeber nicht verbieten läßt. Ziel dieser Spitzen sind vor allem der teure Lebensstil und das in ihren Augen übertrieben gepflegte Äußere der jungen Männer. Hitchs Jesuitenschulung läßt grüßen! So gehen wir mit durch diesen Abend, erleben Stewarts blankes Entsetzen, Erahnen und abschließendes Erkennen; nach Kriegsende aber auch ein humanistisches Lehrstück und das alles in Technicolor als einzigartiger, stimmiger Psychoterror.

Zu PSYCHO aus dem Jahr 1960 (jaja, das Haus, die Dusche, "Oh Mutter, mein Gott Mutter, Blut!" - der schlacksig-hysterische Anthony Perkins), hier nur kurz in eigener Sache, die von mir als eigentlich grandios-genial erachtete Szene, über die aber meiner Meinung nach viel zu wenig geschrieben wurde:
Zu Beginn erleben wir also Janet Leigh nicht nur in Rock und BH beim Stell-dich-ein in einem Stundenhotel (jaja, nach dreißig Minuten wird sie ermordet und verspätete Kinobesucher durften nach Beginn der Vorstellung nicht mehr in den Saal gelassen werden, um diesen Effekt nicht verhungern zu lassen), sondern auch, wie sie sich mit Geld und angeblichen Kopfschmerzen verfrüht vom Arbeitsplatz entfernt, kurze Zeit später in ihrem Wagen sitzt und Dank roter Ampel die Fußgänger vorüberziehen läßt, hierbei ihrem Chef begegnet und sich beide gegenseitig erkennend natürlich freundlich durch die Windschutzscheibe grüßen! Ups. Dann die Sekunde des beiderseitigen Stutzens, Leigh umklammert das Lenkrad und die Ampel springt auf Grün, sie fährt weiter, während ihr Chef die Stirn in Falten legt, aber auch weiter seiner Wege zieht. Simpel. Verstörend. Großartig.
Und immer noch der gute alte Katholizismus. Der Frage nach "Schuld", natürlich auch hier im sexuellen wie im gewalttätigen Sinne sprich "Mord", wird optisch genüsslich nachgegangen, nämlich in I CONFESS aus dem Jahr 1953. Ein katholischer Priester (zum Sterben schön: Montgomery Clift) wird des Mordes angeklagt, innerhalb einer Beichte hat der wahre Mörder ihm die Tat gestanden und Hitchcock verwebt in dieser Geschichte des Priesters und seinem offensichtlichen Dilemma Dank Beichtgeheimnis noch ein Liebesgeschichte, eine Beziehung vor seiner "Berufung" zum Priesteramt mit einer verheirateten Frau (Anne Baxter). Der zwar schon vernarbte aber noch nicht vom Alkohol gezeichnete Clift schaut hier wahrlich aus, wie jemand, der des Priesteramtes zur eigenen Heilsrettung benötigt und wahre Liebe verschwindet eben doch nicht auf Knopfdruck oder gar aus praktischen Erwägungen. Clift ist hier so stark in seiner erotischen Ausstrahlung, dass man Baxter nur zu gerne und zu gut versteht. Die Biografen pfeifen Clifts masochistische Neigungen zwischen Buchdeckeln von den Dächern und man möchte vielleicht einmal Mäuschen gespielt haben an nur einem einzigen Drehtag, an dem Hitch und Clift zusammengesessen sind, um den Leidensweg des Priesters aufzuzeichnen!

Hitchcocks Schaffen also auf der Kinoleinwand und in der Auswahl auch jenes, was nicht für das Kino bestimmt war: Hitchcocks Fernseharbeiten. Ordentlich selektiert bekommt man hier die Geniestreiche in fernsehkompatibler Kurzform zu sehen. Hier reicht es dann von sarkastischen Erklärungen seitens des Regisseurs, warum ein gut geplanter Mord denn doch nicht funktioniert hat, warum der Wahnsinn immer wieder in die Kamera starrt, warum manche Mörder vor Eiseskälte strotzen müssen, warum manchmal Kinder mit einer geladenen Waffe herum laufen, warum innerer Horror nicht immer mit den äußeren Gegebenheiten harmonisieren muß; es gibt Interviews und Screen-Tests zu sehen, erste Entwürfe zu nie vollendeten Filmen, es gibt Interviews zu sehen mit Tippi Hedren oder Bernhard Herrmann und immer wieder Kurzgeschichten von Roald Dahl! Eine wilde Mischung von Hitchcock, bis man wirklich an ihn glaubt! Dazu noch Experimentelles zu seinen Filmen von Tobias Anderson, Girardet und Müller, und schließlich noch eine knallharte , aber unvollendet gebliebene Arbeit aus dem Jahr 1945 MEMORY OF THE CAMPS, die Befreiung von Bergen-Belsen durch die Britische Armee, filmisch dokumentiert. Hitchcock sollte das Material zu einem Langfilm montieren und war als Berater tätig. Der Film blieb unvollendet.
Vielleicht war es hier und da zu einfach, ein solches Programm zusammenzustellen, was die Verfügbarkeit der Kopien angeht, darüber kann man sich ärgern. Aber eine eindeutig wichtige Figur in der Kunstgattung "Film" so geballt präsentiert zu bekommen, eine Figur, von der man immer glaubte, alles zu kennen und zu wissen da sie so omnipräsent und sie sich schon zu einem feststehenden Ausdruck auch im sprachlichen Gebrauch entwickelt hat, das regt vielleicht zu neuem und eigenem Denken an. Das zeigt auf, woher so manches kommt, was wir heute an aktuellen Produktionen bewundern. Hitchcock wird hier vielleicht nicht hinterfragt, aber die Reihe im Filmmuseum liefert genug Stoff, um dies vielleicht selbst zu tun und manches beruhigt einfach so stehen zu lassen, wie es ist.

01.12.2007 - 04.01.2008 und vom 05.01. - 04.02.2008: www.filmmuseum.at


Alfred Joseph Hitchcock - It Is Only Suspense
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