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KAPITELWAHL

HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER (USA 1986)

von Björn Lahrmann

Original Titel. HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER
Laufzeit in Minuten. 79

Regie. JOHN MCNAUGHTON
Drehbuch. RICHARD FIRE . JOHN MCNAUGHTON
Musik. KEN HALE . STEVEN JONES . ROBERT MCNAUGHTON
Kamera. CHARLIE LIEBERMAN
Schnitt. ELENA MAGANINI
Darsteller. MICHAEL ROOKER . TOM TOWLES . TRACY ARNOLD . MARY DEMAS u.a.

Review Datum. 2013-10-20
Erscheinungsdatum. 2012-10-26
Vertrieb. BILDSTÖRUNG

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Erste Überraschung beim Wiedersehen mit HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER: wie artifiziell das Ding ist. Hatte einem die Rezeptionsgeschichte (von der eigenen Erinnerung ganz zu schweigen) nicht immer vorgegaukelt, kein anderer Serienkillerfilm sei derart roh, ungeschlacht, hässlich - kurzum: "realistisch"? Stattdessen wird man von einer catchy-maliziösen Pianomelodie empfangen, die auch in Vampirhöhlen oder Spukschlössern nicht fehl am Platz wäre. Und erst der Prolog mit den ganzen kunstvoll arrangierten Frauenleichen-Stillleben! Eine puppenhafter zurechtgemacht als die andere, im Diner, im Creek, mit verrenkten Gliedmaßen und zerschlagener Glasflasche im Gesicht - wie abgründige Americana-Fotoinstallationen von Jeff Wall oder Gregory Crewdson, nur halt, dass die dort bloß latente Brutalität hier genüsslich expliziert wird.

Nächster Schock: Otis (Tom Towles), Henrys ranziger WG-Kumpel und Mordgesell, ist vom Trump'schen Comb-over bis zum Halloweengebiss die blanke Knallcharge! John McNaughton bezeichnet ihn im Interview wörtlich als Clown und wundert sich generell, dass bis heute niemand die komischen beats des Films so recht wahrnehmen will; tatsächlich habe man zahlreiche Outtakes wegen allzu offensiver Albernheit aus dem zweieinhalbstündigen Rohcut schmeißen müssen. Selbst Ernstgemeintes, schwer Ernstzunehmendes wie Henrys klischiert ursachenpsychologische Hick-Biografie ("my momma was a whooore") basiert ursprünglich auf einer Scherzimprovisation Michael Rookers in der Klopause. Dass bei allem Schabernack hinter den Kulissen trotzdem Zeit bleibt für Proto-Haneke-Phrasen vom Schlage "erst ansehnliche Gewalt als Zuckerbrot, dann unansehnliche Gewalt als Peitsche" - sowas hab ich gern.

Immerhin konnte man HENRY mit diesem praktischen Argument 2012 vom Index holen. Auf dem war er fast 20 Jahren zuvor gelandet, weil er laut BPjS propagierte, "daß das Töten von Menschen Lustgewinn bringe" - ein einigermaßen schräges Mißverständnis, ist doch, was den Film von Seelenverwandten wie MANIAC oder TED BUNDY unterscheidet, gerade seine maßlose Kälte und Teilnahmslosigkeit Opfern wie Tätern gegenüber. Der ewig fromme Wunsch nach entertainmentfreier Massenmorddarstellung wird von McNaughton geradezu übererfüllt, zum einen durch elliptische Auslassung der Akte selbst: Frauen, die in Henrys Nähe kommen, sind so selbstverständlich todgeweiht, dass ihr Sterben gar nicht mehr gezeigt werden muss - ein erzählerischer Fatalismus, der zunehmend die Affekte lähmt. Zum anderen scheinen nicht mal die Mörder selbst sonderlich viel Fun aus ihrem Tun zu ziehen: Für Otis ist Killen als minderwertiges Sex-Surrogat maximal die zweitschönste Sache der Welt, und Henry schlägt buchstäblich nur Zeit tot. Schwer, angesichts solch flächendeckender Ungerührtheit irgendeine Emotion aufzubringen, sei es Schrecken, Empörung oder Mitleid.

Otis, der sich stumpf und desinteressiert das selbstgedrehte Homevideo eines viehischen Dreifachmordes anschaut, es Einzelbild für Einzelbild in Zeitlupe durchtackern lässt - das ist nicht nur seit jeher medientheoretischer Nabelpunkt des Films, sondern spiegelt auch die Isoliertheit und Distanz der DVD-Rezeption: Allein auf der Couch hocken, ins Nichts starren, so betäubt wie Otis selbst. Vielleicht braucht HENRY: PORTRAIT OF A SERIAL KILLER tatsächlich die kollektive Wärme des Kinosaals, wo man sich mit anderen im kalten Grausen vereint fühlen kann, um zu funktionieren.

DVD.
Besser als diese 2-Disc-Edition kann man HENRY im Grunde nicht aufbereiten: In mehreren ausführlichen Making-ofs, Hintergrundberichten, kommentierten Outtakes und Interviews (plus Audiokommentar) schlüsseln McNaughton und Konsorten Wurzeln, Entstehung und Nachspiel des Films umfassend auf - eine Lehrstunde nicht zuletzt in Sachen Independent-Karrieren damals und heute. Im Booklet ist neben den amüsant zu lesenden deutschen Zensururteilen auch das Höltgen-Kapitel abgedruckt, das zur Ehrenrettung des Films maßgeblich beitrug.








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