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GEDRUCKTES IST TOT

SCHNITTSTELLEN: SERIENMORD IM FILM (2010, 1. Auflage)
von Stefan Rybkowski

Original Titel. SCHNITTSTELLEN: SERIENMORD IM FILM
Seiten. 392

Autor. STEFAN HÖLTGEN

Review Datum. 2010-03-14
Erscheinungsdatum Deutschland. 2010-03-31
Verlag. SCHÜREN

Erscheinungsformat. SONDEREINBAND
Sprache. DEUTSCH

Es gibt eine Szene in THE TEXAS CHAIN SAW MASSACRE - BLUTGERICHT IN TEXAS, die stellvertretend für die ganze "Brimborium" steht, das mit dem Film seit seiner Veröffentlichung im Jahr 1974 einhergeht: Franklin wird anscheinend von Leatherface mit der Kettensäge zweigeteilt. Nicht nur Zensoren und Juristen wollen Zeuge dieser schrecklichen Leinwandtat geworden sein, auch viele reguläre Kinogänger könnten schwören, dass die mächtige Kettensäge das menschliche Fleisch penetriert. Tobe Hoopers Kultfilm ist nur eines von vielen Beispielen, die Stefan Höltgen in seiner nun erscheinenden Dissertation SCHNITTSTELLEN: SERIENMORD IM FILM anführt, um die Kraft der Filmbilder auf ihren Rezipienten zu veranschaulichen. Natürlich wurde Franklin damals nicht zweigeteilt, zumindest nicht On-Screen, auch wenn die Bilder dies suggerieren mögen. Es ist ebenjene Kraft, die durch immer raffiniertere Film- und Erzähltechniken im Laufe der Jahrzehnte zunahm. Das Sujet des Serienmords im Film geht dabei aber noch viel weiter als zu Hooper, es zählt zu den ältesten Motiven des Mediums, wie Höltgen mit weiteren Filmbeispielen belegt. SCHNITTSTELLEN - der Titel könnte ob der Thematik kaum besser gewählt sein - legt seinen Fokus dabei auf vier Phasen, die den Serienmörderfilm mal durch neue Techniken, mal durch Umstände außerhalb der Filmdiegese weiter entwickelten und auf die nächste Stufe der Frage nach Authentizität (die hier ohnehin sehr zentral ist) transponiert. In der frühen Phase, in der vor allem deutsche Produktionen oder Filme deutscher Exilanten dominierten, zog die Gewalt gerade erst ein in das noch recht junge Medium. Filme wie DAS WACHSFIGURENKABINETT oder M - EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER nehmen explizit Bezug zu realhistorischen Kriminalfällen wie jenen des Jack the Ripper (DIE BÜCHSE DER PANDORA) oder des Düsseldorfer Serienmörders Peter Kürten (M).

Die klassische Phase, die Höltgen zwischen 1945 und 1959 veranschlagt, wird vom Krieg und der McCarthy-Ära dominiert, die sichtbare Spuren in den Filmen dieser Zeit hinterlassen. Ein Schlagwort ist hier sicherlich der Film noir, welcher die Grenzen zwischen Gut und Böse, Killer und Ermittler sukzessive auflöst und dem Rezipienten somit eine Ambivalenz präsentiert, die auch die Authentizität vorantreibt. Die folgenden Jahre bis 1989 markieren den Übergang in die moderne Phase, in der vor allem Herschel Gordon Lewis' BLOOD FEAST eine zentrale Rolle einnimmt. Höltgen zeigt auf, welche Bedeutung dem Film vor allem auch retrospektiv zuteil wird, gilt er doch als der Film, der den Splatterfilm ins Leben rief und "salonfähig" machte. Besonders hier wird deutlich, wie viel Leidenschaft und Detail in SCHNITTSTELLEN steckt, setzt Höltgen den Film doch nicht nur in seinen filmhistorischen Kontext und macht deutlich, wie bedeutend er für das "Genre" war und noch immer ist. Vielmehr fasst er auch zusammen, welche Rolle bereits damals Public Relations und Werbung spielten (man denke nur an Hitchcocks PSYCHO und dessen PR-Feldzug). Doch auch der Zensur, insbesondere in Deutschland, die diesen und andere Filmen (u.a. dem bereits genannten BLUTGERICHT IN TEXAS) oftmals unterwanderte, wird eine bedeutende Rolle zuteil. Höltgen wartet hier nicht nur mit offiziellen juristischen Entscheidungen auf und zeigt, dass diese ob ihrer Falsität der eigentliche "Skandal" sind, sondern untersucht diese Reaktionen (auch jene der zeitgenössischen Filmkritik) vielmehr und bringt sie in den passenden diskursiven Kontext der Filme. Dass diese Reaktionen aber nicht immer nur negativ konnotiert sein müssen, beweist DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER, ein Film der letzten, der postmodernen Phase, der (s)einen Serienmörder (Hannibal Lecter) nicht nur ikonisiert, sondern außerhalb der Filmdiegese durch die enge Zusammenarbeit mit dem FBI auch dafür sorgte, dass dieses nach dem Film einen signifikanten Zulauf von weiblichen Bewerbern erfuhr - auch hier zeigt sich einmal mehr, wie sehr filmische Fiktion und Realität bisweilen zusammen kommen können. Höltgen beendet seine praktischen Untersuchungen mit THE LAST HORROR MOVIE aus dem Jahre 2004 (gibt am Ende jedoch einen Ausblick, der bis ins Jahr 2008 reicht), der nicht nur einen ästhetischen Höhepunkt darstellt, sondern auch fleißig aus vorangegangenen Serienmörderfilmen zitiert, reflektiert und dabei demontiert.

Was auf den ersten Blick vielleicht nach akademischer Tristesse aussieht, wird von Höltgen jedoch schnell in spannende Filmanalysen umgewandelt, anhand derer er die technischen, narrativen und extradiegetischen Theorien und Themenkomplexe untersucht (Durchbruch der "4. Wand", beispielsweise in FUNNY GAMES, Affektproduktion, Reflexionen, Copycatting). Zwar scheint es, als gäbe es keinen Theoretiker und Denker des 20. Jahrhunderts, den er nicht für irgendeine These heranzieht, Langeweile erhält aber dennoch nie Einzug, da Höltgens Stil in Verbindung mit der großen Informationsdichte vielmehr wie ein spannendes Filmbuch, weniger wie eine trockene Dissertation, wirkt. Keine Frage, über ein gewisses Begriffsinventar sollte man beim Lesen verfügen, denn literatur- und filmwissenschaftliche Termini gehören ebenso dazu wie die Kenntnis der angeführten Filme. Auch wenn SCHNITTSTELLEN: SERIENMORD IM FILM sich auf einige zentrale Aspekte des Serienmörderfilms fokussiert und dabei stets akademisch bleibt, ist das Buch dennoch so extensiv, allen voran in seinen Hypothesen, dass auch der normale Kinogänger Zugang zum Buch finden kann, will er sich in dieses "Filmgenre" einarbeiten. Stefan Höltgen ist mit diesem Buch eine ebenso spannende wie informative Arbeit gelungen, die eindrucksvoll zeigt, wie das Medium Film arbeitet und wie stark es auf seinen Rezipienten wirkt.


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