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FILM.
Eine Ausgangssituation fast wie in der romantischen Komödie: Aschenputtelige Sekretärin (Emmanuelle Devos) sucht Praktikant zum Verlieben, das Stellen- gerät zum Partnergesuch ("schöne Hände muss er haben"). Es kommt dann aber, statt eines Engels, Paul Angeli (Vincent Cassel) in Carlas Büro und mit ihm alles ganz anders. Paul, frisch auf Bewährung draußen mit Schnäuzer, fiesen Klamotten und groben Manieren, will weder ins Bett noch an den Kopierer so richtig passen. So vereint man denn die sozialen Defizite kurzerhand zum kleinkriminellen quid pro quo. Zuerst ist Paul an der Reihe, er hilft Carla mit Brechstange und unterschichtigen Drohgebärden, einen mobbenden Arschlochkollegen zu düpieren.
Kern von TÖDLICHE BEKENNTNISSE aber ist Carlas quid zu Pauls quo: Ohne Hörgerät ist sie fast taub, dafür jedoch des Lippenlesens mächtig - ein tschechowpistolenartiges Talent, das den anfangs eher richtungsoffenen Film endgültig zum suspense movie einnordet. Paul bekommt unverhofft Besuch von seinem alten Gläubiger Marchand und Autor/Regisseur Jacques Audiard damit Gelegenheit zum souverän gehandhabten Milieuwechsel. Statt seine Schuld brav hinter Marchands Clubtheke abzuarbeiten, plant Paul einen spießumkehrenden Raub mit Carla als Spitzel, die den bösen Buben von Ferne an den Lippen hängt. Audiard, der vor zwei Jahren mit EIN PROPHET einen dem Epischen zugeneigten Arthousehit landete, ist hier noch ganz minimalistischer Genrehandwerker, beschränkt sich auf vier, fünf Schauplätze mit ebenso wenigen Figuren, die einander darin präzis choreographiert umspielen und behumsen.
Vielleicht etwas zu uhrwerkshaft, zu gallisch gedämpft auch bewegt sich diese zweite Filmhälfte entlang amerikanischer Pfade (Hitchcock natürlich, BLOOD SIMPLE, einmal sogar BLUE VELVET). Umso interessanter, sozusagen "europäisch" hingegen ist, wie Carla - auf die kein schematisches Motivationsprofil, keine konventionelle Charakterschablone passt - sich zum Geschehen verhält. Ihre Behinderung setzt sie einerseits zur Welt auf Distanz; mehrfach nimmt sie entnervt ihr Hörgerät ab, um Alltagslärm auszublenden. Kehrseite ihrer Isolation aber ist, andererseits, ein unterschwellig permanent loderndes Identifikationsbegehren: Carla liest anderen nicht nur von den Lippen, sie wiederholt das Gelesene auch laut für sich, spricht in Zungen, macht sich fremden Geschichten - etwa den freizügigen sex talk ihrer besten Freundin - zu eigen. Wie eine Kinozuschauerin ist sie gezwungen, von sekundären Thrills zu zehren: Auf Horchposten mit Fernglas, in dessen Brennpunkt die Gangster sich stumm unterhalten, schneidet Audiard immer wieder auf Carlas wie in erotischer Ekstase soufflierenden Mund. Näher kann ein hässliches Entlein wie sie einem Kuss nicht kommen.
DVD.
Bild und Ton bewegen sich qualitativ im Mittelfeld. Extras: Deleted Scenes, die einen seltsam verwaisten Subplot um Pauls Bewährungshelfer auspolstern und einen zusätzlichen Twist einführen, ohne den der fertige Film sehr gut auskommt; sowie Interviews mit Koautor Tonino Benacquista, der Gemeinplätze übers Drehbuchschreiben, und Komponist Alexandre Desplat, der Gemeinplätze übers Soundtrackschreiben ablässt. (Ändert natürlich nichts daran, dass seine Musik wie so oft hervorragend ist.)
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