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KAPITELWAHL

ASSAULT GIRLS (Japan 2009)

von Alexander Karenovics

Original Titel. ASARUTO GARUZU
Laufzeit in Minuten. 65

Regie. MAMORU OSHII
Drehbuch. MAMORU OSHII
Musik. KENJI KAWAI
Kamera. ATSUNORI SATO . HIROAKI YUASA
Schnitt. ATSUNORI SATO
Darsteller. MEISA KUROKI . RINKO KIKUCHI . HINAKO SAEKI . YOSHIKAZU FUJIKI u.a.

Review Datum. 2011-08-27
Erscheinungsdatum. 2011-07-29
Vertrieb. WVG MEDIEN

Bildformat. 1.85:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1/DD 2.0) . JAPANISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Fanservice - so nennt man in Mangas und Animes handlungsirrelevante Zugeständnisse an die Interessen der (männlichen) Zielgruppe: körperbetonte Kleidung bei weiblichen Charakteren, Upskirt-Perspektiven, beiläufige sexuelle Innuendo. Auch der sogenannte "Technobabble" in Science Fiction-Szenarien fällt in diese Kategorie: sei es nun militärisches Vokabular, inflationärer EDV-Fachjargon, akribische Sekundär-Informationen über verwendete Waffenmodelle und Munitionstypen, und hier und da ein Happen existenzialistisch angereichertes Philosophie-Fast Food - im GHOST IN THE SHELL-Universum, welches Mamoru Oshii der Anime-Welt zum Geschenk gemacht hat, Tradition; dabei zweifellos klüger und vielschichtiger angelegt als bei der Konkurrenz: wer nur auf Typenbezeichnungen des verwendeten militärischen Gerätes achtet, verliert schnell den Anschluss. Auch beim Intro seines mittlerweile fünften nicht-animierten Langfilms, wenn eine suggestive Stimme (wie man sie auch in einem Scientology-Rekrutierungsvideo erwarten würde) Elemente aus Schopenhauers Wahrheitsbegriff zitiert, um dann über Umwege zur Definition jener dystopischen Utopie gelangt, wie sie in AVALON gelebt wird, könnte man meinen, es ginge um mehr als um drei weibliche Pro-Gamer und einen Noob, die in einer kargen MMORPG-Wüste Monsterwürmer für Erfahrungspunkte töten.

Ob Mamoru Oshii hier nachträglich produziertes B-Roll-Material zu AVALON, ein Fetisch-Video für Waffennarren, einen Meta-Gag für RPG-Nerds abliefert, ihm vorzeitig der Geldhahn abgedreht wurde, oder sich schlichtweg langweilte, darüber darf man spekulieren. ASSAULT GIRLS gehen zwei Kurzfilme voraus: HINAKO THE KENTUCKY (aus dem THE WOMEN OF FAST FOOD-Omnibus), und ein Beitrag namens ASSAULT GIRL 2 für das KIRU: KILL-Projekt, zu dem vier Regisseure jeweils einen stand-alone Showdown ohne Fesseln einer schnöden Exposition beigesteuert haben. ASSAULT GIRLS ist im AVALON-Universum angesiedelt, einer Welt, in der Spieler regelmäßig ihre Persönlichkeit auf den digitalen Avatar einer vernetzten Rollenspiel-Instanz kopieren und im Cyberspace entweder solo oder als Mitglied einer Jagdgesellschaft ("Party") Aufgaben erfüllen. Erfolgreich abgeschlossene Missionen geben Erfahrungspunkte, und wer fleißig gesammelt hat, steigt einen Level auf.

Während in AVALON Mamoru Oshii mit verschiedenen Erfahrungsebenen experimentierte und seine Charaktere auf einen Selbstfindungs-Trip schickte, an dessen Ende die Grenzen zwischen physischer und digitaler Welt verschwammen und die Wahrnehmung der Realität zum beliebig formbaren Begriff geriet, existiert in ASSAULT GIRLS nur noch eine Ebene: das Spiel. Ein Hochglanz-Video, in dem 65 Minuten lang schmucke Mädels in Kampfanzügen mit phallischen Waffen Granaten in Terabyte-große Matrizen von Monsterwürmern pumpen. Spannend ist das selten: wer tot ist, bekommt zwar ein paar Punkte abgezogen, kann sich aber erneut einloggen und es solange weiter versuchen, bis entweder das Konto leer, der Großhirn-Cortex fritiert oder das Abendessen serviert ist. Rasch wird klar, daß hier keine Charaktere aus Fleisch und Blut unterwegs sind, sondern zweidimensionale Karikaturen von Typen, denen man in jedem Online-RPG begegnen kann und durch unterschiedliche Motivationen ans Spiel gefesselt sind: Meisa Kuroki als Gray, fanatische Highscore-Jägerin, die ihren Avatar möglichst schnell hochleveln möchte; Colonel (Hinako Saeki), enigmatische Hardcore-Rollenspielerin, die ganz in der Online-Welt aufgeht und jede Facette ihres fiktiven Charakters lebensnah ausspielt; Lucifer (herausragend: Rinko Kikuchi als bizarre Gothic-Ballerina mit Engelsflügeln), Spielerin aus Leidenschaft, die einfach nur ein bißchen Spaß haben möchte, und dann noch Jäger (Yoshikazu Fujiki), einziger Mann im Zocker-Harem, seines Zeichens arroganter Besserwisser-Noob mit Sozial-Phimose, den man nur aufgrund überragender Tank-Stats in der Gruppe behält und nach getaner Arbeit als ersten kickt.

Daß Mamoru Oshii ein verkopftes Genie mit einer Vision ist, muß nicht diskutiert werden. Auch jenseits animierter Räume fängt sein Auge Bilder von stattlicher Größe ein: gedreht wurde auf Vulkaninsel Oshima, die mit ihrer tristen Flora inmitten von verkratertem Sedimentgestein ideale Impressionen einer verstaubten post-apokalyptischen Stimmung liefert. Die musikalische Untermalung seines Haus- und Hofbarden Kenji Kawai fällt dagegen ab; Kawai, der an schlechten Tagen höchstens bei sich selbst klaut, komponiert mit aktiviertem Hans-Zimmer-Modus: hat einfach alle Register seines Synthesizers auf "episch in C-Dur" gestellt und sich einmal mit den Unterarmen quer über die Tasten gelehnt. Kein Vergleich zu den symphonischen Qualitäten seines AVALON-Scores.

Kommen wir zur wichtigsten Frage: Fuck Schopenhauer, rockt das? Bekomme ich, was der Titel verspricht? Hmmm ... irgendwie schon. Zumindest trifft der Film einen Nerv. ASSAULT GIRLS ist für Jungs, die in Computerspielen bevorzugt in die Haut weiblicher Charaktere schlüpfen, die wissen, was MMORPG und XP bedeuten ohne im www nachzuschlagen, und bei Begriffen wie "Melee Stats" leuchtende Augen bekommmen. Denen wird auch gefallen, wie Meisa Kuroki ihr Scharfschützengewehr mit distinktiver Fuck You-Geste lädt und entsichert. Jedoch bitte keinen Actionfilm erwarten. Nicht mal einen Film. Daß Oshii das Potential seiner Idee nicht ausgereizt hätte, kann man ihm gar nicht vorwerfen - das hat er bereits in AVALON getan, und einen schalen zweiten Aufguß eines perfekten Films braucht niemand. Krachen tut's ein bißchen zu Beginn und im Finale, und auch hier mehr als abstrakte Collage von wuchtig fauchender Artillerie, denn als mitreißende Action-Sequenz mit dramaturgischem Unterbau - der Rest ist Heavy Petting für Hobby-Rednecks: Posing mit Mega-Wummen vor Endzeitkulissen und malerischen Sonnenuntergängen; in fast schon pornographisch anmutendem Detailgrad wird geladen, entsichert und anvisiert. Fanservice, halt.

Das darf man geil finden, sollte aber keine Religion draus machen - selbst dann nicht, wenn jedem Kapitel biblische Zitate und Gottesbeweise aus dem Munde großer Männer voran gestellt werden; der Teufel spricht in Zungen. Oshii selbst meint dazu bei einer Pressekonferenz: "Für einen Film von mir ist er erstaunlich leicht verständlich," und wer anderes als sein Regisseur und Autor könnte das besser beurteilen? Im Kern wenig mehr als ein flüchtiger, unreifer Gedanke; ein Skelett ohne Muskeln, Organe und Haut. Und um den Bogen zurück zu Schopenhauer zu schlagen: was also bleibt am Ende übrig, wenn ein rudimentäres Ideen-Gerüst jener Oberfläche beraubt wird, auf der sich spannende Imaginationen eines aktiv erfahrenden Subjektes projizieren können? Purer Wille. Ein lebloses Ding an sich. Nichts womit man einen Löffel verbiegen könnte. Und das ist schade.

gez. ein Fan

DVD.
Der Originalton ist Geschmackssache: Dialoge sind fast durchweg in englisch, und da die Mädels nicht aufgrund herausragender Sprachkenntnisse gecastet wurden, greift hier eher das SUKIYAKI WESTERN DJANGO-Prinzip (freundlich ausgedrückt). Glücklicherweise können gut lesbare Untertitel hinzugeschaltet werden, die sich an der (erfreulich prägnanten) Synchronisation orientieren. Allerdings hebt sich der deutsche Ton arg steril von übrigen Geräuschen ab und verleiht zudem der monotonen Spielleiter-Stimme einen unpassenden emotionalen Touch. Beide Audio-Spuren liegen jeweils in Stereo und in 5.1 vor.

Im Bonus-Material gibt es Einblicke in den Dreh mit Rinko Kikuchi, ein marginal erhellendes Pressekonferenz-Special, und ein Interview mit Meisa Kuroki, die hier bescheuerte Fragen (ob sie den Kampfanzug auch privat tragen würde) mit typisch japanischer Höflichkeit ausgesprochen diplomatisch an den Absender zurückreicht. Kuroki wirkt hier auch ansonsten reichlich neben der Spur, als ob sie gar nicht wüßte, wo zur Hölle sie gerade mitgespielt hat. Ob sie Schwierigkeiten gehabt hätte, ihren Charakter zu entwickeln? Verdenken kann man es ihr bei solchen Fragen nicht ...

Wirklich interessant sind die beiden Vorgänger-Kurzfilme HINAKO THE KENTUCKY und ASSAULT GIRL 2 von Mamoru Oshii: beide sind für sich betrachtet sorgfältiger ausgearbeitet und bieten mehr Inhalt und erfrischende Selbstironie als der komplette Hauptfilm. Für diese Dreingabe kann man dem deutschen Verleih nicht dankbar genug sein, da selbst auf der japanischen Scheibe jene beiden äußerst leckeren Festival-Happen nicht enthalten waren.

Besitzer von state of the art Heimkino-Equipment sollten gleich zur Blu-Ray greifen; hier zählt erfahrungsgemäß ohnehin weniger der Inhalt als die technische Komponente, und solange die Kanten gestochen scharf und der Baß ordentlich rummst, sind alle zufrieden - beide Kriterien erfüllt ASSAULT GIRLS mit Numerus Clausus. Unterm Strich eine schöne Veröffentlichung, deren Inhalt aus nachvollziehbaren Gründen zwar viel Haß und Unverständnis auf sich geladen hat, was Oshii-Komplettisten jedoch nicht davon abhalten sollte, einen Blick zu riskieren. It's not as bad as they say ...








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