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KAPITELWAHL

HALF NELSON (USA 2006)

von Hasko Baumann

Original Titel. HALF NELSON
Laufzeit in Minuten. 102

Regie. RYAN FLECK
Drehbuch. ANNA BODEN . RYAN FLECK
Musik. BROKEN SOCIAL SCENE
Kamera. ANDRIJ PAREKH
Schnitt. ANNA BODEN
Darsteller. RYAN GOSLING . SHAREEKA EPPS . JAY O. SANDERS . DEBORAH RUSH u.a.

Review Datum. 2010-06-19
Erscheinungsdatum. 2010-04-01
Vertrieb. ARTHAUS/KINOWELT HOME ENTERTAINMENT

Bildformat. 1.78:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1) . ENGLISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Die Oscar-Verleihung 2007. Ryan Gosling sitzt im Auditorium, er ist nominiert als bester Hauptdarsteller für HALF NELSON. Von der Bühne herunter blaffen Jack Black und Will Ferrell die Nominierten an, weil sie als Komiker nie mit Academy Awards bedacht werden. Sehr bald ist Gosling an der Reihe. "You're all hip and now", brüllt Ferrell. Ja, das stimmt. Gosling scheint der Mann der Stunde zu sein. Über sein Talent besteht kein Zweifel, und ein anspruchsvoller Indiefilm hat ihn aufs Oscar-Treppchen gehievt. Doch am Ende des Abends nimmt Forest Whitaker den Preis entgegen. Gosling ist bald darauf neben Anthony Hopkins in dem sehr schönen, aber nur mäßig erfolgreichen Thriller DAS PERFEKTE VERBRECHEN zu sehen und erspielt sich weiteren Indie-Credit mit LARS AND THE REAL GIRL. Danach ist Ruhe.

Angeblich haben Männer ein Problem mit Gosling, weil sie ihn untrennbar mit der Schnulze THE NOTEBOOK verbinden; Frauen ist er vielleicht mitunter zu intensiv. Wer sich aber davon überzeugen will, zu was dieser Mann fähig ist und warum das Kino ohne ihn ärmer wäre, der möge sich HALF NELSON ansehen. Gosling spielt den jungen Lehrer Dan Dunne, der an einer Schule in Brooklyn nicht zuletzt aufgrund seines unverkrampften Unterrichtsstils bei seinen Schülern beliebt ist. Was er im Klassenzimmer an Dynamik und Idealismus an den Tag legt, fehlt ihm im Privatleben völlig. Dunne ist crackabhängig und verliert sich zusehends in einem Stadium der Bewußtlosigkeit. Eines Tages sieht eine seiner Schülerinnen, Drey (Shareeka Epps), wie Dunne mit der Crackpfeife auf der Toilette hängt. Drey hat selbst genug Probleme; ihre alleinerziehende Mutter hält mit Mühe ihre Existenz zusammen, der Bruder sitzt im Knast und der Dealer Frank (Anthony Mackie) droht zur Hauptperson in Dreys Leben zu werden. Dunne sieht sich in der Verantwortung, doch die seltsame Freundschaft mit dem Mädchen könnte vor allem für seine eigene Situation ein Rettungsanker sein.

Regisseur Ryan Fleck läßt dankenswerterweise im Unklaren, warum und wieso Dunne so abstürzen mußte und deutet auch familiäre Konflikte sowie die offenbar dramatische Beziehung zur drogenabhängigen Ex-Freundin nur an. Was da in Dunne vorgeht, kann man nur erahnen, auch Gosling spielt die Konflikte nicht aus. Daß Dunne sich unaufhaltsam in die Selbstzerstörung manövriert, Konfliktsituationen zunehmend mit Aggressionen zu verarbeiten versucht und in sozialer Kommunikation schon längst nicht mehr weiß, wie er sich verhalten soll, schmerzt schon genug. Doch die Figur Dunne verspielt sich auch das Mitleid, wenn er etwa zugedröhnt Sex von einer Kollegin erzwingen will, bis diese ihm ins Gesicht schlägt. Gosling gibt sich komplett in dieser Rolle auf; es gibt auch keine "big acting"-Momente, wie sie sich größere Stars ins Drehbuch hätten schreiben lassen. Shareeka Epps begegnet ihm dabei auf Augenhöhe und sorgt mit einem spröden, authentischen Spiel dafür, daß die Verbindung Lehrer-Schülerin glaubwürdig bleibt.

HALF NELSON ist dabei auch eine Hommage an ein rauhes Brooklyn, das es dank der rasant fortschreitenden Gentrifizierung so schon nicht mehr gibt. Es sind auch keine pumpenden Hip Hop-Beats zu hören, die Musik stammt von der verdienten Indie-Band Broken Social Scene, die das Ambivalente des Films perfekt widerspiegelt. Trotz allem hat der Film das Problem, daß er mit seiner bewegten Handkamera, die ständig Arbeitsbewegungen und Unschärfen erlaubt und sich verkrampft "echt" über Gebühr ausstellt, exakt so aussieht, wie man sich einen solchen "Problemfilm" eben vorstellt. Das nimmt HALF NELSON in gewissen Momenten viel von seiner Intensität und rückt ihn letztlich doch gefährlich nah an die Grenze zum Sozialkitsch. Auch das sehr künstliche Element, die Schüler über geschichtliche Ereignisse referieren zu lassen, ist unpassend - und scheint das von Fleck einst als Kurzfilm realisierte Sujet nur notdürftig auf Spielfilmlänge dehnen zu müssen. Was aber den Film neben seinen Darstellern so besonders macht, manifestiert sich in der Szene, in der Dunne den Dealer Frank konfrontiert und komplett ins Leere läuft, weil er zwar fühlt, daß er etwas tun muß, aber eben nicht weiß, was. In diesem Film entpuppt sich Linksliberalismus als abgekämpft und müde, moralische Wertvorstellungen und soziale Verantwortung als aufoktroyiert. Dunne scheitert auf ganzer Linie. Drey vielleicht nicht.

DVD.
Der Film ist im Rahmen der Arthaus-Reihe "American Independent Cinema" neu aufgelegt worden, was ihm auf jeden Fall ein ansprechenderes Covermotiv verschafft hat. Ton und Bild sind in Ordnung, wobei die deutsche Synchronisation es zugegebenermaßen schwer hat, aber auch nicht allzu liebevoll umgesetzt wurde (wer läßt sich Dialoge einfallen, in denen die "Milka-Kuh" vorkommt?!). Als Extras gibt es Deleted und Extended Scenes, die allesamt dem Film nicht gut getan hätten. Auch Outtakes gibt es zu sehen, und so amüsant solche "Bloopers" doch meistens sind, so wenig möchte ich sie bei einem Film wie HALF NELSON sehen. Das Booklet mit Texten zum Film lag der Presse-DVD nicht bei.








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