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KAPITELWAHL

SING A SONG OF SEX (Japan 1967)

von Björn Lahrmann

Original Titel. NIHON SUNKA-KÔ
Laufzeit in Minuten. 99

Regie. NAGISA ÔSHIMA
Drehbuch. NAGISA ÔSHIMA . MAMORU SASAKI . TOSHIO TAJIMA . TSUTOMU TAMURA
Musik. HIKARU HAYASHI
Kamera. AKIRA TAKADA
Schnitt. KEIICHI URAOKA
Darsteller. ICHIRÔ ARAKI . KOJI IWABUCHI . AKIKO KOYAMA . KAZUYOSHI KUSHIDA u.a.

Review Datum. 2010-01-24
Erscheinungsdatum. 2009-12-04
Vertrieb. POLYFILM/ALIVE

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. JAPANISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
"Ein Becher Weins zur rechten Zeit / Ist mehr wert als alle Reiche dieser Erde", heißt es bei Mahler. Davon können Nakamura und seine Freunde ein Lied singen: So lange sie nur genug zu Saufen haben, sind irdische Geschicke den vier Oberschülern herzlich egal. Blind für die Demonstrationen, die um sie herum statt finden – Vietnamkrieg hin, Kaiserreich her –, stromern sie durchs verschneite Tokio und hängen zwischen den bunten Werbetafeln von Shinjuku dem Objekt ihrer Begierde nach. Einer Kommilitonin, die, wie das bei Objekten halt so ist, keinen Namen hat, sondern nur eine Sitznummer im Hörsaal: 469. Vom Sex, den die Freunde mit ihr nicht (und auch sonst niemandem) haben, können sie ebenfalls ein Lied singen, einen schmutzigen Abzählreim, bei dem pro Strophe eine andere Frau flachgelegt wird. Beigebracht bekommen sie es von ihrem Lehrer Otake auf einer feuchtfröhlichen Kneipentour kurz vor den Abschlussprüfungen. Das Lied wird sein pädagogisches Vermächtnis sein: Am nächsten Morgen ist er tot, vergiftet vom Gas eines umgeworfenen Heizofens.

1967 war Nagisa Ôshima auf dem Höhepunkt seiner experimentellen Phase, mit einem Pensum von drei bis vier Filmen pro Jahr, in Windeseile für kleines Geld gedreht, ohne festes Drehbuch, dafür aber mit meisterlichem Gespür fürs Breitwandformat. Das schizophrene Ergebnis dieser Arbeitsmethode lässt sich in SING A SONG OF SEX bewundern: Einstellung für Einstellung ist der Film erlesen komponiert (Assoziationen mit Godard durchaus gestattet), wirkt zugleich aber frei improvisiert und dramaturgisch extrem salopp. Damit positioniert sich das Werk in einem schwer greifbaren Grenzbereich zwischen Nicht-mehr-Erzählkino und Noch-nicht-Avantgarde. Am ehesten lässt sich die sprunghafte Odyssee der vier Studenten vielleicht mit Flaneurliteratur vergleichen, wo der innere Ausschluss von der Gemeinschaft gleichsam zur Auflösung fester Plotstrukturen führt. Ziellos driften die Freunde von einem Transitort zum nächsten, treiben Schabernack mit Klassenkameradinnen und spinnen obsessiv ihre feuchten Träume weiter. Katalysator dieser Obsession ist der Song vom Sex, der bald in immer kürzeren Abständen aus ihnen hervorbricht, eine Zwangsneurose, die – schon der Titel legt es nah – zum kategorischen Imperativ erhoben wird.

Ursprünglich sei es mal ein subversives Kampflied der Arbeiterklasse gewesen, hatte Otake vor seinem Ableben noch erklärt. Weil aber nichts die Protagonisten weniger kümmert als Ursprünge, verwandelt sich das Lied in ihrem Mund zum Ausdruck reiner Negation. Sie singen damit gegen die rührseligen Volkslieder auf Otakes Beerdigung ebenso an wie gegen die amerikanischen Folk Songs, die sie bei einer gespenstischen Abenddemo zu hören bekommen: Ein Protestsong gegen Protestsongs. Sexbesessen, geschichtsvergessen, fantasieren sie die kollektive Schändung von Nr. 469 auf dem Dozentenpult im Hörsaal, einem Ort des Geistes, der vom Körperlichen entweiht wird. Wie ein interaktiver Spielfilm läuft diese Sequenz ab, indem die (wie üblich bei Ôshima: nachsynchronisierten) Stimmen ihren Traum-Alter Egos Anweisungen erteilen. Hinterher brechen die Freunde auf, um sich bei 469 für die imaginäre Vergewaltigung zu entschuldigen, dabei eine sehr reale Schuldfrage konsequent ignorierend: Nakamura hatte das ausströmende Gas in Otakes Zimmer bemerkt, aber nichts unternommen. Mörderische Absicht oder Gleichgültigkeit mit Todesfolge? Sofern man Ôshima in seiner zerfahrenen Analyse einer asozialen Generation folgt, ist wohl letzteres zu befürchten.

DVD.
Wie schon DAS GRAB DER SONNE, kommt auch dieser zweite Titel aus der Reihe 'Japanische Meisterregisseure' ohne Extras, dafür aber mit einem in Ton und v.a. Bild geradezu verblüffend exzellent erhaltenen Film. Wiewohl eher ein Nebenwerk in Ôshimas Schaffen, ist SING A SONG OF SEX für Asien-Aficionados dennoch eine lohnende Entdeckung.








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