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KAPITELWAHL

SCHAMLOS (Österreich 1968)

von Björn Lahrmann

Original Titel. SCHAMLOS
Laufzeit in Minuten. 74

Regie. EDDY SALLER
Drehbuch. EDDY SALLER . E. NEUMAYR
Musik. GERHARD HEINZ
Kamera. WALTER PARTSCH
Schnitt. DAGMAR KOSCHU
Darsteller. UDO KIER . ROLF EDEN . MARINA PAAL . LOUIS SOLDAN u.a.

Review Datum. 2009-12-28
Erscheinungsdatum. 2009-10-23
Vertrieb. DONAU FILM/ALIVE

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 1.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Hier kommt Alex, Alexander Pohlmann, jung, arrogant und brutal. Udo Kier spielt ihn in seiner allerersten Kinorolle (komische Vorstellung, ein Faktotum wie Kier sei nicht immer schon da gewesen), mit Delon-Hypnotiseurblick und ohne ein einziges Mal zu lächeln. Pohlmann entstammt, glaubt man der kruden biografischen Skizze, die er uns aus dem Off auftischt, einer Messerwerferfamilie, deren Fertigkeiten ihm in der Großstadt allerdings wenig bringen: Hier zählt nicht gezieltes Verfehlen, sondern wahlloses Treffen. Schutzgelderpressung ist sein Metier, Gastarbeiter seine liebsten Opfer, und wer nicht zahlt, wird mit dem Snipergewehr zur Räson geschossen. Seit Neuestem beschäftigt (und beschläft) Alex auch ein leichtes Mädchen namens Annabella (Marina Paal), um die zofft er sich mit dem großindustriellen Schmierlappen Kowalski. Der unterhält neben einem ehrbaren Verschrottungsunternehmen nämlich auch einen Campingplatz voller Huren, und Annabella soll sein Star werden. Rolf Eden spielt Kowalski und damit irgendwie auch sich selbst, vor allem, wenn er von der Marmorbadewanne aus seinen Schergen Befehle entgegenschnauzt wie weiland Tony Montana.

Solche Anklänge gibt's viele in SCHAMLOS, und fast alle sind sie avant la lettre: TARGETS, an den die Scharfschützenszene erinnert, entstand zeitgleich mit Eddy Sallers Zweitling, bis zum Droog-Terror aus UHRWERK ORANGE sollte es noch ein paar Jahre dauern, von SCARFACE ganz zu Schweigen. Nur das prominenteste Vorbild von allen ist unleugbar, M – EINE STADT SUCHT EINEN MÖRDER. Wie dort, tobt der Mob auch hier im kriminellen wie topographischen Untergrund einer namenlosen deutschen Stadt, deren Nirgendwo zugleich ein Überall signalisiert. Die augenscheinlichste Anleihe bei Lang ist das Femegericht, das einberufen wird, als Annabella – nachdem sie uns gemeinerweise als Sympathieträgerin nahegebracht wurde – ziemlich abrupt das Zeitliche segnet. Hauptverdächtiger ist ein schwuler Schauspieler, über den sie ins Filmgeschäft einsteigen wollte und den die weltliche Gerichtsbarkeit schnell für unschuldig erklärt. Annabellas Vater ist damit nicht zufrieden, er beauftragt Pohlmann und seine Spießgesellen (einer von ihnen heißt Peitschen-Frankie!) mit Beweisführung und Vollstreckung nach Hausmannsart.

Ein Kommentar zur Lage der Nation ist freilich das letzte, womit Saller in diesem Szenario schwanger geht. Schon dem Titel nach ist SCHAMLOS ganz dem obersten Credo der Exploitation verpflichtet, Hüllen da fallen zu lassen, wo sie noch haften; vornehmlich also an Frauenkörpern, aber auch an Mündern, Augen und Ohren des Publikums. Ähnlich wie der ein Jahr zuvor zur Notorietät gelangte Fassbinder arbeitet Saller sich dabei hauptsächlich an den Genrevorgaben amerikanischer crime fiction ab, aber nicht, um sie politisch zu reflektieren, sondern, um sie zu vulgarisieren. Dem statuesken Trenchcoatträger Ulli Lommel setzt er den kaltschnäuzigen Sexappeal Udo Kiers entgegen, der sich in seiner slicken Lederjacke bewegt wie ein Panther im Fell; und wo die Worte den nuschelnden Fassbinder-Helden oft versagen, knattern Sallers herrlich derbe Dialoge vorbei wie mit feuchtem Daumen geblätterte Groschenheftseiten. Denen entnommen scheint auch die twistreiche Räuberpistole von einem Plot, dessen Verzettelungen weniger von erzählerischem Ehrgeiz zeugen als dem unbedingten Willen, ein möglichst breites Spektrum an Perversionen abzudecken.

SCHAMLOS ist also vor allen Dingen ein tolles Schund-Vehikel, rasant geschnitten, eminent unterhaltsam und modisch komplett auf der Höhe der Zeit: Wurde GEISSEL DES FLEISCHES noch von wirbelndem Jazz angetrieben, regiert hier der Beat den Lebensrhythmus; jede freie Minute nutzt Saller, um seine blutigen Fressen und knappen Rockschöße mit Performanceclips aus dem nächstbesten Tanzlokal zu garnieren. Die Konsumsatire des Vorgängers ist ebenfalls Schnee von gestern: Im Nachfolger fungieren die glühenden Marquee-Landschaften bloß noch als schmucker Backdrop für nächtliche Autojagden, und dass Annabellas Vater in Südfrüchten macht, ist keine Chiffre für Fernweh, sondern eine praktische Gelegenheit, Marina Paal genüsslich eine Banane deepthroaten zu lassen. Zum Ende hin darf's dann, der avantgardistischen Hipness wegen, auch ein bisschen metareflexiv zugehen, mit Standbildcollagen von albernen Kunst-Happenings, Filmen im Film und einer tödlichen Rückprojektionsfalle, wie man sie sonst nur aus Roadrunner-Cartoons kennt. Fin du cinéma, hätte Godard da sicher drunter geschrieben. Bei Eddy Saller hingegen heißt's überm Abspann: Gimme some more.

DVD.
Im Prinzip kann man das Verdikt der GEISSEL DES FLEISCHES-DVD 1:1 übernehmen: Nostalgisches Wendecover, leicht körniges Schwarzweißbild mit gelegentlichen Kratzspuren, nachvertonte Dialoge, dieselbe Fernsehdoku als Bonus.








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