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KAPITELWAHL

GEISSEL DES FLEISCHES (Österreich 1965)

von Björn Lahrmann

Original Titel. GEISSEL DES FLEISCHES
Laufzeit in Minuten. 78

Regie. EDDY SALLER
Drehbuch. EDDY SALLER
Musik. GERHARD HEINZ
Kamera. HANNS KÖNIG . EDGAR OSTERBERG
Schnitt. nicht bekannt
Darsteller. HERBERT FUX . HERMANN LAFORET . EDITH LEYRER . JOSEF LOIBL u.a.

Review Datum. 2009-12-28
Erscheinungsdatum. 2009-10-23
Vertrieb. DONAU FILM/ALIVE

Bildformat. 1.33:1
Tonformat. DEUTSCH (DD 1.0)
Untertitel. keine
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Frauenbeine, Mörderbeine. In Netzstrumpfhosen tanzt zum Vorspann eine sexy Silhouette auf weißem Grund, dazu Dududu-Gesang und schmissige Bläser, Maurice Binder meets Edgar Wallace. Ohne zu zögern geht's ab unter die Mädchendusche der Wiener Ballett-Akademie, nasse Ärsche und seifige Schenkel, wohin man sieht. Eine planscht länger als die anderen, das wird ihr zum Verhängnis: Plötzlich steht ein Paar gewichster Herrenschuhe vor ihr, die gehören da nicht hin, und sie beginnt zu schreien. Die Schreie in diesem Film sind markerschütternd! Schnitt auf den Duschkopf, fünf Jahre nach PSYCHO, da saß der Schock noch tief. Im nächsten Moment ist die Frau eine Leiche auf einem Foto, aus dem die Kamera heraus zoomt; so abrupt-trickreiche Szenenübergänge gibt's hier allenthalben. Wir befinden uns vor Gericht, verhandelt wird der Fall des mehrfachen Frauenmörders Alexander Jablonsky (Herbert Fux), ein selten dämlicher Name für eine Bestie. Einst war er vielversprechender Konzertpianist, jetzt klimpert er in halbseidenen Stripkaschemmen, beäugt die Models und stranguliert die, die ihm besonders gut gefallen.

Als GEISSEL DES FLEISCHES anno '65 zwischen Heimatfilmen und Musikspielen in die österreichischen Kinos platzte, war der Skandal vorprogrammiert, wenn auch aus gänzlich falschen Gründen. Um an der Zensur vorbei zu kommen, hatte Eddy Saller seiner Debütferkelei einen aufklärerischen Anstrich gegeben, den nur für bare Münze nehmen konnte, wer sich die Stirn doppelt und dreifach mit deutscher Eiche zugenagelt hatte: Auf einer vorgeschalteten Texttafel wird gewarnt (und in den Monologen des Verteidigers endlos wiederholt), dass die zunehmende Dekadenz und Sexualisierung der Gesellschaft quasi vollautomatisch Menschen wie Jablonsky hervorbrächte. Der Minirock als Monstermacher! Abgesehen davon, dass der Film an derlei "amoralischen Tendenzen" nicht zu knapp selber partizipiert, zielt sein eigentliches Subversionspotenzial natürlich genau in die Gegenrichtung: Auf die erstickende Prüderie des Katholizismus (nicht zufällig wirkt der Gerichtssaal wie eine Kirche, prangt auf dem Pult ein von Kerzen flankiertes Kruzifix) und die eisige Sterilität des Wirtschaftswunders.

Der Film birst nur so vor den unerfüllbaren Konsumversprechen der Nachkriegszeit. Schamlos werden kleinbürgerliche Fluchtfantasien aus der provinziellen Enge bedient: Omnipräsente Werbetafeln locken mit Bildern vom Eiffelturm und leuchten des Nachts wie die 5th Avenue. In Spießerkneipen, die Moulin Rouge oder Playboy heißen, balzen brikettfrisierte Combos bräsige Volkslieder über Señoritas, Bambinas und die Hula-Mädchen von Hawaii, Südseemelodie mit Quetschkommode. Auch und gerade Sex ist als Luxusgut fest in die Warenwelt integriert, "Liebe geht durch den Wagen." Mädchen werden, auf einer Drehscheibe fläzend, gegen Schlumberger-Sekt flaschenweise versteigert, ökonomische Potenz ersetzt den Flirt. Dass sich ein Sozialversager wie Jablonsky sowas mit geringeren Mitteln nicht leisten kann, liegt auf der Hand. Der brutalste Mord findet folgerichtig an einer Schaufensterpuppe statt: Die Nase voll davon, selbige bloß immer an der Scheibe platt zu drücken, verschafft sich Jablonsky gewaltsam Zutritt und muss erkennen, dass die ihn bedrängenden Reize jenseits des kommerziellen Zeichenverkehrs keine reale Präsenz mehr besitzen. Wie die Puppe die materielle, hat er seine psychische Sollbruchstelle erreicht.

Eddy Saller ist in die Annalen eingegangen als österreichischer Russ Meyer, dabei ist zumindest GEISSEL DES FLEISCHES noch deutlich weniger anarchisch und tittenfixiert als die Filme des großen Vorbilds. Viel stärker orientiert sich Sallers Erstling am B-Noir und steckt dementsprechend voller Härten: die harten Kontraste der Nachtaufnahmen; das harte Tack-tack-tack der Absätze auf dem Kopfsteinpflaster; die harten Linien männlicher Scheitel und weiblicher Münder; der harte Realismus der oftmals quälend langen Mordsequenzen. Ein Besetzungscoup erster Güte ist Herbert Fux, später im deutschen Fernsehen zur männlichen Evelyn Hamann geworden, hier in seiner ersten, nahezu wortlosen Hauptrolle. Sein Jablonsky ist kein geifernder Triebtäter, sondern einer, der vor lauter Scham nicht weiß, wohin noch gucken, der sich unsagbar elend fühlt in seiner Haut. Mit Schweiß und Übelkeit revoltiert sein Körper gegen die Gesellschaft normal funktionierender Menschen und macht ihn so noch sichtbarer zum Aussätzigen. Auf der Pirsch nach Opfern kann er sich der verhassten Körperlichkeit entledigen, er wird zum Phantom, das zwischen zwei Schnitten vom Fleck weg verschwindet, von dem nur noch ein aufragender Schatten an der Häuserwand bleibt (Saller war, die expressionistische Lichtsetzung lässt es ahnen, in seiner späteren Karriere Beleuchter). Zum Schluss ein ironischer Dank bei Polizei und Justiz: Ohne deren krankhafte Sittlichkeitsvorstellungen hätte das Exploitationkino wahrlich nichts, wogegen es noch zu Felde ziehen könnte.

DVD.
Die DVD von donau film kommt mit FSK-Schutzhülle (ab 18, das muss man sich mal vorstellen!) und schönem Vintage-Wendecover. Das Bild ist im Mittelteil stellenweise reichlich verkratzt, drumrum leuchten Schwarz und Weiß aber ganz wunderbar. Jammerschade ist's um die Tonspur, die nur in hochdeutscher Synchro vorliegt; die ganze Pracht des Wiener Schmäh lässt sich ausschnittsweise anhand einer 20minütigen, schon etwas betagten Fernseh-Doku nachprüfen, in der Saller und Co (nicht sehr ergiebig) zu Wort kommen.








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