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KAPITELWAHL

DIE UNZERTRENNLICHEN (Kanada 1988)

von Hasko Baumann

Original Titel. DEAD RINGERS
Laufzeit in Minuten. 111

Regie. DAVID CRONENBERG
Drehbuch. DAVID CRONENBERG . NORMAN SNIDER
Musik. HOWARD SHORE
Kamera. PETER SUSCHITZKY
Schnitt. RONALD SANDERS
Darsteller. JEREMY IRONS . GENEVIEVE BUJOLD . HEIDI VON PALLESKE . BARBARA GORDON u.a.

Review Datum. 2009-10-22
Erscheinungsdatum. 2009-09-03
Vertrieb. CONCORDE

Bildformat. 1.78:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 2.0) . ENGLISCH (DD 2.0)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Vermutlich kann und will sich heute niemand mehr daran erinnern, aber David Cronenberg war einmal weit von seinem jetzigen Status als Festival- und Feuilletondarling entfernt. Während er sich heute als verläßlicher Kritikerliebling mit mal mehr (A HISTORY OF VIOLENCE), mal weniger (EASTERN PROMISES) gelungenen Krimis auf sicherem Kurs eingepegelt hat, galt er noch Ende der 80er als durchgeknallte Blutwurst. Unvergessen das fassungslose Pogrom von Harryhausen-Anbeter Dr. Rolf Giesen im Berliner Stadtmagazin "tip" 1986, den seine Begegnung mit Cronenberg anläßlich des deutschen Kinostarts von THE FLY offenbar zutiefst traumatisierte: Das interessierte Fabulieren des Kanadiers über das Ekelhafte am Gedärm riß Giesen zu Schimpfworten wie "pervers" und Goebbels-Vergleichen hin. David Cronenberg, dessen mitunter brillanten Kino-Exkurse jahrelang gezeigt hatten, was für faszinierende Themenkomplexe der beinharte Splatterfilm untersuchen kann, hatte sich noch nicht von seinem Blut- und Kopfplatz-Stigma befreit.

Ein Jahr später dann bricht Cronenberg den Bann. DEAD RINGERS, in Deutschland nicht unpassend DIE UNZERTRENNLICHEN betitelt, verzichtet völlig auf allzu krasse Effekte, auf surreale Schmadderszenen und von innen nach außen gekehrte Leiber. Cronenbergs Lieblingsthema jedoch, die Idee vom "neuen Fleisch" und unser aller Angst vor körperlichen Veränderungen und Verformungen, bestimmt subtil weiterhin das Geschehen. Bei den titelgebenden, eineiigen Zwillingen (beide von Jeremy Irons gespielt) handelt es sich um zwei überaus erfolgreiche Gynäkologen, die heimlich, wenn es denn Not tut, auch einmal die Rolle des jeweils anderen einnehmen. Der eine ist sensibel und grüblerisch, der andere ein großmäuliger Draufgänger. Als eine berühmte Schauspielerin (Geneviève Bujold) als Patientin und Geliebte in ihrer beider Leben tritt, beginnen die Brüder dramatisch auseinander zu driften. Die Erkenntnis, daß sie unmöglich ohne einander existieren können, führt zur Katastrophe: Am Ende flüchtet sich ihr Geist wieder in die Kindheit. Die von David Cronenberg in früheren Werken heraufbeschworene Entwicklung des Einzelnen zu einer neuen Daseinsform erfährt hier eine klare Absage: Die Evolution ist reversibel.

Cronenberg, der - was viel zu selten betont wird - auch schon Christopher Walken, James Woods und Jeff Goldblum zu entscheidenden Wendepunkten in ihren Karrieren verhalf, schenkt Jeremy Irons die Rolle seines Lebens. Wie Irons diese Doppelrolle ausfüllt und die beiden Charaktere ohne jede Hilfe einer Maske klar voneinander differenziert, das ist sensationell und die vielleicht beste Mehrfachdarstellung eines Schauspielers, die jemals auf der Leinwand zu sehen war. Kein Wunder, daß Irons bei der Entgegennahme seines Oscars für den Film REVERSAL OF FORTUNE im Jahr 1989 folgende Worte ganz besonders betonte: "Thank you David Cronenberg". Auch die Tricktechnik, so simpel sie heute wirken mag, ist mehr als erstaunlich; es gibt keinen einzigen Bruch in der Illusion, die einem hier geboten wird. Auch Cronenbergs sichere, gewohnt kühle Regie (nur in einer metaphorisch schlüssigen, aber allzu "Cronenbergesken" Traumsequenz gibt er sich alten Gewohnheiten hin) in Verbindung mit dem traumschönen Score seines Haus- und Hofkomponisten Howard Shore betont das hohe Niveau des Films.

Und doch, es fällt schwer, sich diesen Film anzusehen. Die Zwillinge sind beide auf ihre Art abstoßend; warum sie sich ausgerechnet eine kapriziöse Schauspielerin mit Hang zu bizarrem Sex als Dame des Herzens aussuchen, bleibt ebenso ungeklärt wie Bujolds irritierende Vorliebe für den sensiblen, übertrieben eifersüchtigen Bruder, der auf dem besten Wege zum Drogenwrack abschmiert; auch die Selbstaufgabe des kontrollierteren Zwillings kommt überraschend. Natürlich sind einige Bilder und Momente so unvergeßlich wie die furchtbaren Folterinstrumente, die als gynäkologisches Werkzeug zum Einsatz kommen. Aber letztendlich ist dies ein Melodram, dem sich Cronenberg wie ein interessierter Analytiker genähert hat und sich als ebensolcher auch wieder abwendet. Wir bleiben allein.

DVD.
Concorde bringt nach unzähligen, furchtbar schrottigen deutschen Veröffentlichungen die erste ernstzunehmende DVD des Films auf den Markt. Ungeschnitten, mit englischem Originalton und anamorph erfreut die Scheibe erstmals Auge und Ohr. Allerdings kann sich nur das Original hören lassen, die Synchronfassung ist viel zu laut und scheppert aggressiv aus den Boxen. Die Bildqualität kann nicht gerade "brillant" genannt werden, aber ob da noch mehr drin gewesen wäre, ist fraglich. Das Bonusmaterial sieht zwar schauderhaft und verwaschen aus, da hat sich kreuzüble VHS-Schraddelqualität aufs digitale Medium geschlichen, aber das ist vollkommen egal, weil dieses nämlich im Gegensatz zu heutigem flashy Blabla wirklich interessant ist. Featurette und Interviews widmen sich auch den Spezialeffekten, die man ausnahmsweise mal wirklich erklärt sehen möchte. In einem Spezialfeature kann man sich sogar ansehen, wie die Zwillingsszenen nach und nach gedreht und montiert wurden. Großartig. Der fürchterliche Trailer zeigt dann noch deutlich, wie sehr DEAD RINGERS nicht nur am Film, sondern auch am Publikum vorbei vermarktet wurde.








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