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FILM.
Integration ist eines der heißesten politischen Themen der deutschen und internationalen Gegenwart. Nicht nur in Bezug auf sogenannte Migranten, Ausländer jeder Nationalität oder schlicht Andersgläubige: Auch innerhalb der Gesellschaft wird Integration als zunehmend drängende Aufgabe begriffen; zumindest theoretisch. Denn die Entfremdung ist allgegenwärtig - Sei sie nun zwischen Linken und Rechten, Hauptschülern und Gymnasiasten, Armen und Reichen, denen da oben und denen dort unten, zwischen On- und Offlinern, Bonusasten und Cineasten oder schlicht zwischen Alt und Jung. Die Gründe sind vielfältig, lassen sich aber doch auf einen Nenner bringen: Bildung, der Blick über den Tellerrand, Generationenverständnis und die Fähigkeit zu interessierter Kommunikation nehmen in unserer gesellschaftlichen Gegenwart frappierend ab.
Dass vor 30 Jahren auch nichts besser war, zeigt GEWALT UND LEIDENSCHAFT von Luchino Visconti aus dem Jahr 1974: Ein in die Jahre gekommener Kunstprofessor, intensiv dargestellt von Burt Lancaster, lebt sein von der Welt abgekoppeltes Leben in einem römischen Palazzo. Die Gemälde vergangener Epochen und hohe Bücherwände sind sein intellektueller Fluchtpunkt, das Verhältnis zu anderen Menschen ist eher durch Eskapismus gekennzeichnet. Frieden heißt hier Einsamkeit. Doch mit der ist es bald vorbei, als eine wohlhabende Industriellengattin mitsamt Liebhaber, Tochter und Schwiegersohn in spe die Szenerie erobern und sich Schritt für Schritt in die Dachwohnung des altehrwürdigen Palazzos einnisten. Die offene, durch die 68er-Revolution und das Hippietum geprägte Art der Neuankömmlinge kollidieren zunächst mit dem Eremitentum des alternden Gelehrten.
In einem intensiv verwobenen Kammerspiel zeigt Visconti hier die Evolution von Beziehungen auf, die Dynamiken zwischen Gruppe und Individuum, Senioren und Junioren oder auch Theorie und Praxis. Denn: Der Intellektuelle weiß natürlich viel, tut aber wenig. Seine Betrachtung zielt ab auf die Vergangenheit, während die jungen Leute in seinem neu entstandenen Dunstkreis eine vermeintliche Zukunft leben. Das verdeutlicht auch die Bildsprache des Films, in der alte Schinken im Verlauf der Handlung gegen in den 70ern moderne Gemälde - etwa von Mark Rothko - gestellt werden. Hier scheint zunächst kein Dialog möglich, doch peu à peu entdecken selbst die sich fremden Ansätze und Generation denkbare Ansatzpunkte. Und vor allem: Sie entlarven die intellektuelle Flucht als schweren Fehler, fordern Diskussion und Austausch.
GEWALT UND LEIDENSCHAFT ist ein Film, der nur so vor offengelegtem Konfliktpotenzial strotzt. Gerade das macht seine DVD-Veröffentlichung in Zeiten wie diesen so wertvoll. Denn das Werk fordert die Kommunikation und Auseinandersetzung so vehement, dass man sich diesem Appell kaum entziehen kann. Und wenn sich ein 20-jähriger irgendwann nach Genuss des Films mit Menschen unterhält, die den Film 1974 gesehen haben, sich über die Aussage und die Forderungen Viscontis auseinandersetzt, dann ist ja schon viel gewonnen. Auch oder vor allem für die gesellschaftliche Integration.
DVD.
Bild- und Tonqualität sind bestimmt nicht das, was einem zeitgenössischen DVD-Freak Tränen des Glücks in die Augen treibt. Aber für das Alter des Films und die vermutlich vorliegende Originalkopie hat Koch Media einen anständigen Job gemacht. Als Bonusmaterial bietet der Film die üblichen Trailer und Bildergalerien über die man wirklich kein weiteres Wort verlieren muss, als Besonderheit bietet die DVD ein knapp 25-minütiges Interview mit einem deutlich verbrauchten und teilweise recht desorientierten Helmut Berger, der nicht nur über GEWALT UND LEIDENSCHAFT spricht, sondern eigentlich seine ganze Karriere Revue passieren lässt. Verpackung und Booklet sind wie so oft bei Koch Media vorbildlich, so dass sich alles in allem der interessierte Filmfreund über eine wirklich schöne Veröffentlichung freuen darf.
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