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GEDRUCKTES IST TOT

NAZI-CHIC UND NAZI-TRASH: FASCHISTISCHE ÄSTHETIK IN DER POPULÄREN KULTUR (2011, 1. Auflage)
von Benjamin Hahn

Original Titel. NAZI-CHIC UND NAZI-TRASH: FASCHISTISCHE ÄSTHETIK IN DER POPULÄREN KULTUR
Seiten. 108

Autor. MARCUS STIGLEGGER

Review Datum. 2012-03-23
Erscheinungsdatum Deutschland. 2011-10-01
Verlag. BERTZ + FISCHER

Erscheinungsformat. BROSCHIERT
Sprache. DEUTSCH

Marcus Stiglegger ist, das darf man wohl so konstatieren, eine Ikone der deutschen Filmwissenschaften. Sein Ruf begründet sich dabei vor allem auf seinen Forschungen und Veröffentlichungen rund um ein sonst wissenschaftliches eher weniger beachtetes (aber reichlich präsentes) Thema, nämlich dem Umgang der (Pop-)Kultur mit dem Nationalsozialismus und seiner Ästhetik. Seine erste, 1999 erschienene Buchveröffentlichung zu diesem Thema (SADICONAZISTA. SEXUALITÄT UND FASCHISMUS IM FILM) avancierte im Lauf der Zeit sogar zum Standardwerk auf diesem Gebiet - was allerdings auch zu Teilen daran liegen mag, dass Stiglegger damit eines der wenigen, wirklich brauchbaren Bücher zum Thema vorlegte.

Dieser Tage brachte der Verlag BERTZ + FISCHER ein neues Buch von Stiglegger zu dem Thema heraus, dessen Titel NAZI-CHIC UND NAZI-TRASH: FASCHISTISCHE ÄSTHETIK IN DER POPULÄREN KULTUR ziemlich programmatisch ist: Beginnend bei den italienischen Sadiconazista, bzw. den internationalen Auswüchsen der "Nazi exploitation"-Welle, folgt er dem Spiel mit der Ikonographie des dritten Reichs bis hinein in die Welt anderer Künste, wie z.B. der Musik. Erschienen ist das Buch in der Reihe "Kultur & Kritik", mit dem der in Berlin ansässige Verlag Essays zur Pop-Kultur einen Raum bieten will - und genau das ist in gewisser Weise ein Problem. Offenkundig wird das bereits am Format des "Büchleins": Nur minimal größer als ein Reclam-Heftchen, versammelt sich hier auf knappen hundert Seiten ein Text, dessen Gesamtlänge (zieht man die zahlreichen Abbildungen mal ab) wohl so gerade mit einer umfassenden Bachelor-Arbeit konkurrieren kann. Das ist nicht viel und wird als Analyse dem Thema kaum gerecht. Die Frage ist natürlich, ob er das überhaupt will. Oder ob dieses Büchlein nicht eher so etwas wie ein kurzer Umriss für Neulinge auf dem Gebiet, ein Appetizer für Stigleggers SADICONAZISTA-Buch sein will.

Als solches nämlich funktioniert es ganz gut, da der Autor manch einen komplexen Zusammenhang in wenigen Worten erklären kann und somit zumindest bei noch nicht sonderlich versierten Lesern ein Interesse wecken kann, doch wer bereits Stigleggers übriges Werk zu dem Thema kennt, der wird kaum einen Mehrwert aus dieser Veröffentlichung ziehen können. Und das liegt eben - so scheint es zumindest - an der Kürze. Denn obwohl er seine Liste an pop-kulturellen Verarbeitungen des NS-Regimes um Beispiele aus jüngerer Vergangenheit ergänzt (INGLOURIOUS BASTERDS, etc.), bleibt ihre Erwähnung meist ohne weitere Folge für seine Betrachtungen und wirkt so mitunter als ein reines name dropping. Es handelt sich bei der vorliegenden Veröffentlichung also keineswegs um eine Re-Lektüre seiner eigenen Bestandsaufnahme, sondern lediglich um die Repetition bereits bekannter Analyseansätze, ergänzt um eine aktualisierte und breiter aufgestellte Beispielliste.

Dementsprechend bleibt auch vieles schlichtweg oberflächliche Behauptung. Besonders negativ fällt das in jenem Abschnitt auf, in dem Stiglegger auf das Recycling von Nazi-Symbolen und -Outfits in der Mode zu sprechen kommt. Weder findet sich hier eine kritische Reflexion über die Rechtfertigungen eines Londoner Club-Besitzers zu dessen Nazi-Chic-Logo, noch ein Nachdenken darüber, was eigentlich die Banalisierung und Allgegenwärtigkeit von Nazi-Ästhetik in der Mode für unseren Umgang mit dem dritten Reich bedeutet. Für Stiglegger ist - so scheint es jedenfalls besonders nach der Lektüre dieser Passage zu sein - alles ein völlig ungefährliches Spiel, eine reizvolle Subversion (ästhetischer und gesellschaftlicher) Tabus. Für eine ernste Frage, ob dieses Spiel nicht letztlich die Schrecken des Holocausts relativiert oder ob dieses Spiel gerade durch seine Redundanz und Neu-Verortung in immer neuen Kontexten die Erinnerung an die Verbrechen des dritten Reichs gnadenlos aufrecht erhält, scheint auf den knapp 100 Seiten kaum Platz zu sein. Und so findet sie lediglich knapp angedeutet bei einem Absatz über Laibach statt - und dort auch nur als Paraphrase der relativ bekannten Äußerungen von Slavoj Zizek zum Thema Laibach.

Dabei wäre gerade dieser ganze Themenkomplex von der Möglichkeit einer radikalen Erinnerungskultur durch ein nur mal mehr, mal weniger oberflächliches Spiel mit den Symbolen der Nazis durchaus von großem Interesse gewesen. Denn abgesehen von der Ursachenforschung, bei der man die Faszination am Nazi-Chic (speziell auch innerhalb der homo- und heterosexuellen Fetischszene) ergründet, ist doch gerade die Rückwirkung dieses teilweise so recht sorglos wirkenden Umgangs mit Nazi-Insignien auf unsere Sicht vom Nationalsozialismus selbst von zentraler Bedeutung - und das nicht allein aus einer moralischen Verpflichtung heraus, sondern weil sich daraus möglicherweise eine moralisch unbedenkliche Trennung von Wertschätzung der Ästhetik einerseits und Verdammnis der Ideologie andererseits ableiten ließe.

Stigleggers kleines Büchlein zum Nazi-Chic ist kein schlechtes, sondern bietet Neu-Einsteigern einen soliden ersten Überblick. Doch wirklich gut ist es deshalb leider auch nicht: zu viele verschenkte Möglichkeiten für wirklich interessante Gedanken und eine viel zu oberflächliche und in unbewiesenen Behauptungen ausufernde Herangehensweise an das Thema verleiden einem den "Genuss" dieser Abhandlung.


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