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"All one needs to make a good film is a lens and good performers", sagt Darren Aronofsky über seinen neuen Film THE WRESTLER. Jener Darren Aronofsky, der zuvor vor allem für sensorische Großattacken mit Namen wie THE FOUNTAIN oder REQUIEM FOR A DREAM bekannt war. Und nun nicht nur einen, sondern fast alle Gänge zurückschaltet. Bis nur noch ein filmisches Minimalgerippe, bestehend aus Handkameras, natürlichem Licht, dezenter Musik und drei zentralen Schauspielern, übrig bleibt.
THE WRESTLER folgt dem altbekannten "weniger ist mehr" Credo und beschließt es mit einem wohlverdienten Ausrufezeichen. Die inszenatorische Reduktion schafft intime Nähe und läßt den Hauptcharakter, einen abgehalfterten Wrestler namens Randy 'The Ram' Robinson, vollkommen glaubwürdig erscheinen. In den 80er Jahren war er noch einer der großen Stars der damals boomenden Wrestling-Szene, doch jetzt besteht sein Umfeld aus ranzigen Trailerpark-Möbeln, schäbigen Auftrittshallen und ebenso schäbigen Bars. Das verdiente Geld wurde verbrannt, genauso wie die Beziehung zu seiner Tochter, so daß als einziger Halt der nach wie vor ausgeübte Beruf bleibt. The Ram lebt noch immer den amerikanischen Traum, und sei es als bizarre Illusion.
Das Nebeneinander von harscher Realität und dieser Illusion, diese clownesken Parallelwelt, die Wrestling darstellt, ist das Herz von THE WRESTLER. Auf der einen Seite sieht man abgewetzte Parkas und vergilbende AC/DC Poster, auf der anderen Seite erfreuen knallgrüne Spandexhosen und skurrile Sparringpartner. Ausgedehnte Besuche beim Friseur und im Sonnenstudio sorgen für ein stattliches Erscheinungbild, das zumindest auf den ersten Blick die zahlreichen Narben und Falten unsichtbar macht. Wo im richtigen Leben The Ram kaum Anerkennung bekommt, brandet im Ring nach wie vor Applaus auf. Wrestling-Fans sind schon eine treue Truppe, auch wenn sie vorwiegend aus tiefergelegten Prolos mit Übergewicht bestehen.
Die grundsätzliche Frage des Films lautet: "was machst Du mit Deinem Leben, wenn die einstige Erfolgsstraße zu Ende ist?" The Ram hat die 80er Jahre, als sein Name sogar eine eigene Actionfigur und ein eigenes Computerspiel zierte, so sehr genossen, daß er bis heute nicht davon loskommt. Der Mann ist zwar reflektiert genug, die Tragik seiner Existenz zu erkennen, doch gleichzeitig ist er auch zu bequem, einen wirklichen Schlußstrich zu ziehen. Trotz einer zunehmend schwachen Verfassung steht er nach wie vor im Ring, trotz eines Zweitjobs an der Fleischtheke eines Supermarktes trägt er nach wie vor Wallehaare. Die unermüdliche Hoffnung auf bessere Zeiten nährt ein diszipliniertes Tagesprogramm, die stets freundliche bis kumpelhafte Interaktion mit anderen Wrestlern sorgt für aufbauende Bewunderung.
Man möchte glauben, daß dieses Leben bis zum Sarg so weitergehen könnte, wenn da nicht ein besonders brutales Match mit einem irren Zottelhaar-Viech und seinem einsatzbereiten Tacker passieren würde. The Ram wird so hart auf die Bretter geschickt, daß er einen Bypass bekommt und deswegen seine Karriere aufgibt. Der Wille zu einem neuen Leben ist nun da, doch bleibt er immer noch in seinem Wohnwagen, in seinem alten Milieu. Man wünscht ihm so sehr, daß das langsam auftauende Verhältnis zu seiner Tochter und die beginnende Beziehung mit einer befreundeten Stripperin Bestand haben, nur hängt eben vieles an dem über die Jahre aufgeweichten Willen. Für viele ist die Wrestling-Arena eine grellbunte Pappkulisse voller Gewalt, roher Comic-Dramaturgie und gestrandeter Freaks, für The Ram hingegen bildet sie den einzigen sicheren Halt inmitten einer fremden realen Welt.
Ständig läßt THE WRESTLER diese beiden Welten aufeinanderprallen und erzeugt einen Großteil seiner Faszination durch die sowohl bizarren als auch tragischen Reibungsflächen. Auf der einen Seite entfaltet sich ein arthausiges, reduziert inszeniertes Loser-Drama, das auf der anderen Seite mit plärrendem 80er Jahre Metal und uramerikanischem Kirmesglamour konfrontiert wird. Die daraus entstehende Mischung ist genauso faszinierend wie lustig und tieftraurig, was dann durch die intime Nähe des Geschehens eine starke Bindung zum Zuschauer erzeugen kann. Der Film wirkt absolut authentisch und vermittelt eine ungekünstelte Atmosphäre, die selbst die dunkelsten Bluestöne mit mitfühlender Wärme erdet. In einer der schönsten Szenen stehen The Ram und seine Tochter in einem heruntergekommenen Casino und lassen ihren Tränen freien Lauf. Es findet sich immer Platz für Gefühle, selbst wenn der Rest der Welt entweder zerfällt oder sich viel zu schnell verändert.
The Ram wird gespielt von Mickey Rourke, der mit diesem Film auf dem (vorläufigen) Höhepunkt seiner Karriere steht. In gewisser Weise erinnert seine Darstellung an Robert De Niro in WIE EIN WILDER STIER, genauso wie auch Robert Downey Jr. (bzw. sein Werdegang) als Vergleich gelten kann. Mickey Rourke dominiert jede Szene des Films mit einer absolut zwingenden Eindringlichkeit, die einem mehr als einmal die Spucke im Mund gefrieren läßt. Genau so schaut ganz große Schauspielkunst aus, was dann auch gerne auf die beiden weiblichen Hauptrollen, Marisa Tomei als Stripper-Freundin und Evan Rachel Wood als Tochter, übertragen werden kann. Jenseits allem inszenatorischen Understatement ist THE WRESTLER zuallerst ein Schauspielerfilm, der seinen drei Hauptakteuren faszinierende, kantige Charaktere schenkt. Es wäre wirklich eine Schande, wenn bei der nächsten Oscar-Runde nicht zumindest Mickey Rourke ausgiebig jubeln dürfte. Hollywood liebt nunmal seine "comeback kids", besonders wenn sie ihre früheren Karrieren mit Vollgas gegen die Wand geknallt haben.
Einen Preis hat der Film ja bereits gewonnen, und zwar den Goldenen Löwen von Venedig. Daß dieser Preis gerechtfertigt ist, steht wohl außer Frage, nur daß Mickey Rourke gleichzeitig leer ausging, stimmt dann doch etwas unfroh. Seine Darstellung von The Ram ist eine vollendete, wuchtige Tour de Force, wohingegen dem Film ganz am Ende ein, zwei Zacken abgezogen werden müssen. Aus nicht ganz nachvollziehbaren Gründen wird hier nämlich eine Wendung unnötig ausgewalzt, die rein inhaltlich durchaus ok ist, doch in ihrer offensichtlichen Vorhersehbarkeit die authentische Stimmung Richtung Sportfilm-Klischees kippen läßt. Was genau passiert, soll hier nicht verraten werden, doch jeder, der schon mal ein ähnlich gelagertes Loser-Drama genießen durfte, wird die letzten 10, 15 Minuten zum Teufel wünschen. Wie gesagt: Rein inhaltlich ok, doch dann bitte nur ein "offenes" Standbild und gleich weiter zum grauseligen Knödelsong von Bruce Springsteen.
Zum Glück ist THE WRESTLER stark genug, diesem letzten Irrweg und auch der wehklagenden Wandergitarre von Herrn Springsteen Stand zu halten. Dieser Film ist auf jeden Fall ein großer Wurf und wird mindestens seinem Regisseur und seinem Hauptdarsteller einen drastischen Karriereschub besorgen. Hände hoch wer ernsthaft daran geglaubt hat, daß ein nüchternes Wrestling-Drama starring Mickey Rourke so bravourös einschlagen kann.
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