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Finger hoch, wer sich an Chloe Moretz in KICK-ASS erinnert - und jetzt Hände runter, wer den Auftritt daneben fand? Nanu, gar nicht mehr so viele übrig, woran liegt's? Aber noch besteht Hoffnung an der Front der Killer-Kids: Saoirse Ronan wird jeden überzeugen, vielleicht, weil Hanna gar kein Kind mehr ist, und mit ihrer Haupt-Profession schon die Parallelen zu KICK-ASS erschöpft sind, und das ist auch gut so.
WER IST HANNA? wird es nicht leicht in deutschen Multiplexen haben, schwerer zumindest als Matthew Vaughns zugegebenermaßen unterhaltsame, aber pubertäre Superhelden-Farce. Wer jedoch Geschichten jenseits vom Reißbrett für den Nummer-Sicher-Blockbuster, der beim Startwochenende zumindest die 6.0 auf der imdb knackt, zu schätzen weiß, und noch nicht dem Irrglauben verfallen ist, daß Actionfilme grundsätzlich einer Lobotomisierung aus flashigen Schnitten, grellen Farben und lauten Fließband-Explosionen gleichkommen müssen um zu fesseln, den erwartet vielleicht der spannendste und vielseitigste Film des Jahres.
Hanna, ein 15-jähriger Teenager, wächst mit ihrem Vater (Eric Bana) im öden, schneebedeckten Hinterland Finnlands auf. Ohne Voice Over, ohne Rückblenden, mit langen Einstellungen bereitet einen der Film auf kommende Ereignisse vor: Hanna ist kein gewöhnliches Mädchen; bereits als kleines Kind wurde sie darauf trainiert, in feindlichen Umgebungen blitzschnell relevante Details zu erfassen, zu überleben um jeden Preis, und wenn sie dafür töten muß. Hanna ist stärker und agiler als ein ausgebildeter Soldat, spricht mehrere Sprachen flüssig, kann geographisches wie historisches Lexikon-Wissen in Sekundenschnelle zitieren und zu ihrem Vorteil nutzen. Wer unvorbereitet ins kalte Wasser springt, hat mehr vom Film, daher sei hier nur soviel verraten: Hanna und ihr Vater werden vom CIA gejagt, und sobald sie ihren Unterschlupf verlassen, müssen sie eine Sache zuende bringen, die mit Hannas Geburt begonnen hat.
Zu Beginn weiß man als Zuschauer nicht mehr als die jugendliche Hauptperson; erst wenn von oberster Stelle die Menschenjagd offiziell eröffnet wird, beschleunigen sich die Ereignisse und nach und nach werden Details aus Hannas Vergangenheit offenbar. Hannas Reise ins Zentrum der Wahrheit ist zugleich eine Reise ins Leben: zwar hat man ihr beigebracht sich zu verteidigen, zwecks Erhalt ihrer Existenz zu jagen - mit anderen Menschen als ihrem Vater zu ko-existieren hat man sie jedoch nicht gelehrt. So wird aus WER IST HANNA? zugleich ein Integrations-Drama - nicht im Sinne eines Individuums, das sich in einer fremden Kultur einfinden muß, sondern mehr auf dem Level von NELL - anders als Jodie Foster verfügt HANNA (so ganz unscheinbar und unprätentiös der Originaltitel) jedoch bereits über ausgeprägtes theoretisches Wissen um Verhaltensweisen in der Zivilisation; sie muß nur jemanden finden, der ihr eine angepasste Existens außerhalb einer Holzhütte in der Wildnis vorlebt, denn daß einem die Welt eventuell mehr bieten kann als bloß den einen singulären Zweck zu erfüllen, auf den man seit seiner Geburt vorbereitet wurde, ist für Hanna undenkbar. Schön, daß solche Themen das Filmerlebnis niemals Bleigewichten gleich in moralinsaure Untiefen zerren, als vielmehr mit einem Augenzwinkern präsentiert werden.
Genauso karg wie die Landschaft zu Beginn sind Bildsprache und Tonus des restlichen Films gehalten; unterkühlt, dabei nicht herzlos. Daß sich hinter Hannas unnahbarem Äußeren ein zerbrechlicher Mensch verbirgt, steht nicht zur Debatte - wenn sie jedoch tötet, tut sie dies mit kompromissloser Präzision; die Kamera muß gar nicht lange auf dem grausamen Moment verweilen um ein Ausrufezeichen zu setzen.
Mehr als ein Genre zu bedienen, bedeutet für einen Regisseur auch ein (kommerzielles) Risiko; einerseits läuft man Gefahr am eigenen Anspruch zu ersticken, zweitens braucht es Zuschauer, die bereit sind, sich aktiv auf verschiedene Gefühlslagen einzustellen. WER IST HANNA? ist Drama, Road-Movie, Spionage-Thriller und Actionfilm als aufregendes Gesamtpaket und beherrscht jede Disziplin in anbetungswürdiger Perfektion. Beispiel gefällig? Wenn Eric Bana in eine Berliner U-Bahn-Unterführung ein halbes Dutzend Killer mit rasanten Aikido- und Mixed Martial Arts-Moves zusammenfaltet und die Kamera den Kampf (Aufbau inklusive) in einem einzigen, schier endlos andauerndem Steadycam-Shot dokumentiert, möchte man als Purist Freudentränen weinen. Es sind diese kleinen Momente, sei es nun technische Finesse, ein besonders pointierter Dialog oder eine überraschend aufblitzende Charakter-Facette, die aus Joe Wrights Vision mehr als vordergründiges Suspense-Fast Food machen.
Action mit Köpfchen und Herz - kein Oxymoron, wie Joe Wright eindrucksvoll demonstriert. Und solange noch Filme wie WER IST HANNA? gemacht werden, kann uns herzlich egal sein, ob diesen Sommer nun SAW XII, TRANSFORMERS 5 oder KEINOHRHASEN: RELOADED anläuft - daß HANNA gar einen Kinostart spendiert bekommt, sollte uns jedoch nicht gleichgültig sein: Hier kommt der verschollene, entfernte Verwandte, von dem man längst dachte er sei tot, und der aufeinmal unangekündigt auf der Matte steht - die Haare könnten mal wieder gekämmt werden und Schrammen im Gesicht hat er auch, aber fassen wir uns doch ein Herz und öffnen ihm die Tür - er weiß bestimmt viel Interessantes und Spannendes zu berichten.
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