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WATCHMEN - DIE WÄCHTER (Großbritannien/USA/Kanada 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. WATCHMEN
Laufzeit in Minuten. 163

Regie. ZACK SNYDER
Drehbuch. DAIV HAYTER . ALEX TSE . DAVE GIBBONS . ALAN MOORE
Musik. TYLER BATES
Kamera. LARRY FONG
Schnitt. WILLIAM HOY
Darsteller. MALIN AKERMAN . BILLY CRUDUP . JACKIE EARLE HALEY . JEFFREY DEAN MORGAN u.a.

Review Datum. 2009-02-26
Kinostart Deutschland. 2009-03-05

Dr. Manhattan hat einen Penis! Einen blauen zwar und einen, der nicht mal von verschärftem Rumgeschmuse steif wird – aber trotzdem: ein gottverdammter Penis. In einem amerikanischen Mainstreamfilm! Ich muss sagen, Hut ab – die Wette hätte ich garantiert verloren. Nun gehört es leider zum Prinzip von WATCHMEN, dass für jedes Gute im Töpfchen auch ein Schlechtes ins Kröpfchen muss, was im Phallus-Fall bedeutet: Penis – ja, Zigaretten – nein. Besonders fatal ist das ironischerweise für Manhattans Geliebte Laurie, die ja in der Comicvorlage keine drei Panels übersteht, ohne sich eine anzustecken...

Für all jene, die bis hierher nur Bahnhof verstanden haben: WATCHMEN ist eine sehr zu Recht vielgerühmte zwölfbändige Graphic Novel von Alan Moore, aus der Zack-Bumm Snyder jetzt einen zack-bummenden Film gemacht hat. Die Watchmen sind darin ein Kollektiv ehemaliger maskierter Vigilanten, die 1977 von der amerikanischen Regierung verboten wurden. Mittlerweile, wir schreiben 1985, haben sich so schillernde Ex-Kostümnerds wie Nite Owl (Patrick Wilson) und Silk Spectre (Malin Akerman) unter bürgerlichem Namen zur Ruhe gesetzt oder, im Falle von Adrian "Ozymandias" Veidt (Matthew Goode), ein Weltimperium aufgebaut, das die verdienten Recken als Spielzeugfiguren verheizt. Eine Ausnahme bildet der gerechtigkeitsfanatische Soziopath Rorschach (Jackie Earle Healy), der unterm Radar nach wie vor in Sachen Verbrechensbekämpfung unterwegs ist. Einziger noch offiziell sanktionierter Held ist Dr. Manhattan (Billy Crudup) – ein seit einem Reaktorunfall mit allerlei Superkräften ausgestatteter blauhäutiger Wunderschlumpf, der im Dienst von Uncle Sam als Ein-Mann-Armee die Russen im Zaum hält. Als einer der alten Helden, der brutale Zyniker Comedian (Jeffrey Dean Morgan), ermordet und Dr. Manhattan durch einen Trick dazu gebracht wird, die Erde zu verlassen, wittert Rorschach ein Komplott, das die Menschheit geradewegs in den dritten Weltkrieg führen könnte. Zusammen mit seinen reaktivierten Mitstreitern geht er der Sache auf den Grund.

Eine der mannigfaltigen Faszinationen von Moores WATCHMEN ist das Was-wäre-wenn-Spiel der Alternate History: Was wäre, wenn Superhelden zwar real, aber nur allzumenschliche Neurotiker in zu engen Hosen wären? Was wäre, wenn Dr. Manhattan den Vietnamkrieg gewonnen hätte? Was wäre, wenn Nixon Präsident auf Lebenszeit geworden wäre? (Antwort des Films: Seine Nase wäre so groß geworden wie die von Pacino in DICK TRACY.) Es ist das große Verdienst des Drehbuchs, dass es diese Faszination nicht den cheap thrills des hirnlosen Spektakelkinos opfert, sondern sich extrem nah an die komplexe Struktur der Vorlage mit all ihren Erzählperspektiv- und Zeitebenenwechseln (und Penissen) heranwagt. Dadurch gerät der Film trotz seiner 2 ½ Stunden Laufzeit kurzweilig und abwechslungsreich. Zugleich erlauben sich die Autoren durchaus rigorose, stets sinnvolle Kürzungen und Straffungen des wildwuchernden Urmaterials, die ganz im Dienste der filmischen Erzählbarkeit stehen und in deren Kielwasser sich ein paar denkwürdige Plotalternativen auftun; insbesondere das überraschend abgefälschte Finale dürfte Hardcore-Fans verblüffen und spalten.

Anders gesagt: Das Drehbuch ist das Gute, das ins Töpfchen kommt. Snyders Inszenierung desselben ist dann, leider, eine etwas andere Geschichte. Totalverächtern des 300-Fiaskos (zu denen ich mich zähle) sei zunächst mild Entwarnung gegeben: Der Mann hat dazugelernt, verhebt sich also kein zweites Mal an unfilmischen Comic-Stilübungen inklusive Panel-für-Panel-Reproduktion, Nachkolorierung und sonstigen Mätzchen. Die Kehrseite ist, dass sich WATCHMEN in Optik und Erzählgestus nun kaum mehr von den dutzend Superheldenstreifen der letzten Jahre unterscheidet: Die Stadt ist noir, die Helden bunt (v.a. der Doc sieht aus wie eine wandelnde Energiesparbirne), das Pathos dick und wuchtig, die Action zeitlupige Dutzendware, und auf jedem Bild gerinnt der potthässliche Digi-Gloss der Computernachbearbeitung vor sich hin. (Anbei: Wieso beinhaltet ein Budget von 100 Millionen eigentlich immer noch Spezialeffekte, die direkt aus der Konsole zu stammen scheinen?) Willkommene Schmutzflecken auf diesem weichgespülten Blockbustergewand sind einige wohldosierte Schnetzelattacken, bei denen mit ordentlich Effet Glieder kaputtgerissen und Innereien an der Wand verteilt werden.

Snyders Versuch, die Masse an popkulturellen Querverweise der Vorlage in den Soundtrack zu verlagern, ist eine nicht ganz uncharmante Angelegenheit – etwa, wenn zu verschwitztem Maskensex Leonard Cohens käsekeyboardiges "Hallelujah" ertönt oder Dr. Manhattans Zeit und Raum zerwürfelnde Lebensgeschichte von Philip Glass' majestätischem KOYAANISQATSI-Score untermalt wird –, streckenweise aber auch peinlich offensichtlich: Walkürenritt in Vietnam? Come on! Eine ganz ähnlich gemischte Tüte sind die Darsteller: Wo die Porträts von Rorschach und Comedian perfekt die zwischen grimmigem Irrwitz und Apokalypsmelancholie schwankende Stimmung der WATCHMEN-Welt reflektieren, bleiben Patrick Wilson und Matthew Goode als Nite Owl und Ozymandias harmlose, blasse Karnevalsprinzen. Ein veritabler Totalausfall ist Malin Akerman, deren Silk Spectre mit der toughen, verletzlichen Lady der Vorlage nichts gemein hat und eher wie eine stocknaive Cheerleaderin wirkt, die sich auf bestem Weg in eine unfreiwillige Pornokarriere befindet.

Unterm Strich bleibt trotz der auf Papier durchweg gelungenen Adaption also ein bloß vergnüglicher, kaum je überwältigender Superheldenschinken, der in erster Linie an seiner konfektionsmäßigen Umsetzung krankt. Die epische Erhabenheit der Graphic Novel geht dem Film dadurch weitgehend verloren; WATCHMEN for Dummies, sozusagen – mit Penis, aber ohne Eier. Wer allen Ernstes mehr erwartet hatte, mag sich zum Trost eine alte, fast immer korrekte Hollywood-Faustregel vor Augen halten: Nur aus schlechter Literatur macht man wahrlich großartige Filme.











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