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Spanien feiert die neue landeseigene Horrorsensation DAS WAISENHAUS. Und wohl nur vor Ort - so wie der Rezensent in Barcelona - kann man sich ein Bild davon machen, was dieser Film für das lokale Kino und sein Selbstverständnis bedeutet: Fast alle Leuchtkästen auf den Straßen und in den U-Bahn-Schächten sind mit einem von zwei gruseligen Plakaten bestückt, die den Film bereits als heißesten Anwärter auf den Auslands-Oscar preisen. Anlässlich des Filmstarts zelebrieren die einschlägigen Filmmagazine die Highlights der letzten 40 Jahre spanischen Horrorkinos wie THE LIVING DEAD AT THE MANCHESTER MORGUE, LA RESIDENCIA oder LOS SIN NOMBRE. Laut dem wöchentlichen Programmmagazin Guía del Ocio startete der Film am 11. Oktober zeitgleich in 36 von 56 Kinos; und das allein in Barcelona! Egal ob um 12 oder 22 Uhr oder zu allen denkbaren Uhrzeiten zwischen Mittag und Nacht: Wer DAS WAISENHAUS, das Debüt des neuen spanischen Wunderknabens Juan Antonio Bayona, sehen will, der kann zu jeder beliebigen Zeit fast jedes beliebige Kino aufsuchen.
Ein Hype ist natürlich noch kein Qualitätssiegel, und auch dass Guillermo del Toro als Produzent dick mit auf dem Plakat vertreten ist, macht Mut, Sicherheit gibt diese Tatsache allerdings nicht. Doch schon der Vorspann des Films lässt hoffen, reißen doch imaginäre Hände immer neue Schichten altertümlicher Tapeten von den Wänden des Hauses, das Laura, ihr Ehemann Carlos und der gemeinsame Sohn Simon beziehen, um daraus eine Residenz für Kinder mit geistiger Behinderung zu machen. Früher war das Gebäude einmal ein Kinderheim, in dem Laura ein paar wunderbare Jahre ihrer Kindheit verbracht hat.
Doch schon bald wird aus einem netten Refugium ein SHINING-Hotel oder ein POLTERGEIST-Reihenhaus: Dunkles Holz, knarrende Türen, seltsam bebrillte Sozialarbeiterinnen und polternde Zwischenböden machen die Nacht zum durchwachten Martyrium, und die unsichtbaren Freunde, die sich Simon einen nach dem anderen zulegt, lassen auch wenig Hoffnung auf einen gerade hängenden Haussegen aufkommen. Als der Sohn während eines Gartenfests schließlich verschwindet, steht die Welt von Laura und Carlos Kopf. Doch die Madeleine-artige Suchaktion bringt zunächst keinen Erfolg - selbst als ein Medium (großartig: Geraldine Chaplin!) eingeschaltet wird.
Düstere Bilder und großartige Musik puzzeln sich im ersten Teil von DAS WAISENHAUS zu einem Best-of des Horrorfilms zusammen. THE OTHERS werden ebenso zitiert, wie der immer wieder aufblitzende PROFONDO ROSSO oder DAS LANDHAUS DER TOTEN SEELEN. Als schließlich ein markerschütternder, OMEN-artiger Schockeffekt den Film kippen lässt, tritt Laura in den Mittelpunkt des Geschehens, und DAS WAISENHAUS wird zu einem Lehrstück über Fantasie und Wahrheit, Kindheitsverklärung und erwachsene Realität. Der Bruch zwischen Erinnerung und Tatsachen lässt die von Bélen Rueda (die bereits Alejandro Amenábars DAS MEER IN MIR aufwertete) hervorragend dargestellte Mutter an ihrem Verstand zweifeln. Wahnsinn wird das Prinzip des Films, der dann auch noch mit einem überraschenden, wenn auch leider am Ende übererklärten Finale aufwarten kann.
Dass die Spanier derzeit alles auf diesen Film und seinen Regisseur setzen, das ist nach der Sichtung durchaus verständlich. Denn hier hat man mal wieder einfach alles richtig gemacht. Einschlägige Kenntnisse der Geschichte des Genres machen dem Horrorfreund ebenso Spaß, wie eine Story, die auf vielen Ebenen funktioniert. Dass DAS WAISENHAUS den Oscar als bester ausländischer Film holen kann ist zwar unwahrscheinlich, doch das spricht eher für als gegen dieses fantastische Debüt, das nicht nur in Spanien viele Freunde finden wird.
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