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VERBLENDUNG - das ist die Geschichte des in die Falle gelockten Journalisten Mikael Blomkvist, der wegen Verleumdung verurteilt wurde und seinen guten Ruf verloren hat. In dieser Situation wird Blomkvist von dem Industriellen Henrik Vanger mit der Suche nach dessen vor über 40 Jahren verschwundener Nichte beauftragt, die - so meint Vanger - von einem Mitglied seiner eigenen Familie umgebracht worden sein muss. VERBLENDUNG ist aber nicht nur die Geschichte eines Mordes, sondern auch eine Reflexion über Familie, Politik und Machtverhältnisse jeder Art. Ein komplexes Werk, das eigentlich bereits aufgrund seines Umfangs (in der deutschen Taschenbuchausgabe umfasst der Roman etwas über 680 Seiten) nicht gerade als die ideale Vorlage für eine Verfilmung angesehen werden sollte.
Doch der internationale Erfolg des Romans und seiner beiden Nachfolger (Autor Stieg Larsson hatte zunächst eine zehn-bändige Reihe geplant, verstarb aber während der Arbeit am vierten Roman) sorgte dafür, dass VERBLENDUNG im Jahr 2009 als schwedisch-dänisch-deutsche Ko-Produktion in die Kinos (und in einer Langfassung als Zwei-Teiler ins Fernsehen) kam. Wie leider nur allzu oft, ließen die ersten Gerüchte um eine US-amerikanische Neuverfilmung nicht lange auf sich warten. Doch anders als bei den meisten Remakes stellte sich hier bereits früh eine gewisse Vorfreude ein: Auf dem Regiestuhl nahm nämlich kein geringerer als David Fincher Platz.
Fangen wir vielleicht deshalb auch mit der beruhigenden Nachricht an, dass Finchers VERBLENDUNG kein Remake des gleichnamigen schwedischen Kinofilms, sondern tatsächlich eine Neu-Adaption des Romans von Stieg Larssons ist. Deutlich wird das daran, dass Fincher und sein Drehbuchautor Steven Zaillian das Wort "Werktreue" besonders ernst nehmen und viele Abweichungen zwischen Buchvorlage und erster Verfilmung wieder rückgängig machen. Kurioserweise hat das jedoch den Effekt, dass das von Nikolaj Arcel und Rasmus Heisterberg geschriebene Drehbuch der 2009er-Version mitunter gerade wegen der zahlreichen Abweichung stärker wirkt. Nicht, weil es eine besonders künstlerische Leistung darstellt, gewisse inhaltliche Zusammenhänge etwas freier zu übertragen, sondern weil diese Freiheiten zentrale Charaktere in ein völlig anderes Licht rücken.
Gemeint ist damit vor allem die Figur der Lisbeth, einer jungen Frau, die aufgrund psychischer Probleme unter Vormundschaft durch den Staat steht und im Verlauf der Handlung zur Assistentin von Mikael Blomkvist avanciert. In allen drei Versionen ist sie eine starke Persönlichkeit, die immer wieder in Konflikt mit Autoritäten gerät - auch deshalb, weil diese Autoritäten sie brechen und (sexuell) ausbeuten wollen. Doch nur die schwedische Verfilmung gesteht Lisbeth die Rolle der von typischen Geschlechterrollen völlig autonomen Frau konsequent zu - Fincher und Larsson hingegen brechen diese Unabhängigkeit zugunsten eines tendenziell reaktionären roll-backs in klassische Frauenbilder.
Was heißt das? Sex ist in VERBLENDUNG ein Machtinstrument und wird nur selten mit Zuneigung und Liebe konnotiert. In einer in beiden Verfilmungen gleichermaßen verstörenden Szene wird Lisbeth durch ihren Vormund vergewaltigt, ihre Autonomie wird negiert und sie als Objekt männlicher Triebhaftigkeit in ein patriarchales Machtgefüge gezwungen. Im folgenden Verlauf der Handlung erlangt sie ihre Autonomie auf zwei Arten zurück: Einerseits rächt sie sich auf brutale Weise an ihrem Vergewaltiger, andererseits hat sie auf ihre Initiative hin mit Blomkvist Sex. In der schwedischen Verfilmung ist das eindeutig als Rückeroberung der Macht kodiert: Lisbeth dominiert Blomkvist, der daraufhin zum verliebten Trottel mutiert. In Finchers sehr werkgetreuer Adaption hingegen scheint sie zunächst Blomkvist zu dominieren, fügt sich dann aber dennoch in die Rolle der unterworfenen Frau und beginnt sich ihrerseits in den nicht gerade monogam lebenden Journalisten zu verlieben.
Das ist ein Frauenbild, das zwar haargenau in die Welt der Romanvorlage passt (bzw. ihr entspricht), weil starke, unabhängige, eben freie Frauen dort nur bloße Behauptung bleiben, das aber eben auch zeigt, dass Werktreue kein Merkmal für Qualität ist - jedenfalls dann nicht, wenn die sich von der Vorlage stärker lösende Adaption deutlich progressiver ist und das Potential seiner Vorlage vollends ausschöpft. Das komplexe Verhältnis zwischen Lisbeth und Mikael ist in der schwedischen Verfilmung nämlich weitaus logischer und nachvollziehbarer als die bei Larsson/Fincher stattfindende "Naivisierung" Lisbeths.
Doch nicht nur die unterschiedliche Sichtweise auf die Rolle der Frau lässt die europäische Produktion weitaus reifer und - nun ja - "klüger" wirken: Ohne jetzt zu sehr ins Detail gehen zu wollen, sei an dieser Stelle angemerkt, dass das Gespann Fincher/Zaillian auch in den letzten Momenten des Killers der Romanvorlage folgt - und der humanistischen Perspektive Blomkvists auf diese Situation, die er in der schwedischen Verfilmung einnimmt, eine Talion-artige Ebene der durch Blomkvist legitimierten Vergeltung entgegensetzen. Absolution für ihre finale Rache erhält Lisbeth in beiden Verfilmungen, nur ist sie jeweils moralisch anders zu bewerten: In Niels Arden Oplevs Film ist die durch Blomkvist ausgesprochene Vergebung ein Anerkennen der Trauma-Bewältigung, bei Fincher verkommt sie zum Motor der Rache-Fantasie einer Lack- und Leder -"Heldin".
Das ist aber nicht nur wegen seiner unterschiedlichen moralischen Implikationen von äußerster Bedeutung, sondern auch, weil es wiederum auf das jeweilige Frauenbild zurückverweist: Wenn Fincher seine Lisbeth fragen lässt, ob sie den Killer töten darf, dann ist das eine Unterordnung unter die in dem Moment von Mikael personifizierte Autorität und steht damit im krassen Gegensatz zur autonom getroffenen und nachträglich von Mikael ungefragt und ungewollt legitimierten Rache-Entscheidung in der schwedischen Verfilmung.
Dieses konservative Geschlechter-Verständnis ist aber auch deshalb ziemlich unerträglich, weil Finchers Film durchaus positive Aspekte vorzuweisen hat: Die Bilder von Kamermann Jeff Cronenwerth sind zwar keine bildgestalterische Offenbarung, aber durchaus ästhetisch ansprechend (und wirken hochwertiger und durchdachter als die Bilder der schwedischen Verfilmung). Die stärkere Rückbesinnung auf inhaltlicher Ebene auf die Buchvorlage lässt Finchers Version insgesamt komplexer, aber nicht komplizierter wirken und schafft es gelegentlich, dass sich Neben- und Haupthandlung geschmeidiger ineinander verwoben anfühlen als dies bei der schwedischen Verfilmung der Fall war. Die Musik von Trent Reznor und Atticus Ross harmonisiert perfekt mit den Bildern, transportiert gekonnt die Atmosphäre und sorgt maßgeblich für einen der stärksten Momente des Films, nämlich den wuchtigen Vorspann, bei dem sich zu den Klängen von Karen Os und Trent Reznors Cover von Led Zeppelins "Immigrant Song" eine digital animierte Lisbeth aus öligen Fluten erhebt.
Doch so düster, dreckig und bedrohlich wie in diesen anderthalb Minuten wird es nur noch selten in den kommenden 158. Fincher - und damit sind wir jetzt bei den Punkten angekommen, bei denen einiges schief läuft - gelingt es innerhalb dieses Films nur selten wirklich bedrohliche Momente zu inszenieren. Die finale Konfrontation mit dem Killer ist zwar ein wirkliches Highlight des Films - und das nicht nur, weil hier die Dialoge perfekt sitzen und beide an der Szene beteiligten Schauspieler große Leistungen vollbringen, sondern auch, weil Fincher als Regisseur ein Händchen für derartige Szenen hat und sie ohne viel Aufwand extrem bedrohlich wirken lassen kann. Aber jenseits solch rar gesäter Momente fühlt sich vieles in diesem Film wie Füllmaterial an. Alles plätschert irgendwie dahin und ist zwar toll anzusehen, weil man dank des höheren Budgets eindrucksvoller inszenierte und ausgestattete Bilder zeigen kann, aber immer wieder - und leider viel zu oft - stellt sich das Gefühl von Belanglosigkeit und Austauschbarkeit ein.
Es ist daher auch nicht leicht bei diesem Film zu einem abschließenden Urteil zu gelangen - da wo er sich mal von der Vorlage emanzipiert, Ereignisse rafft, Nebenhandlungen eindampft, wirkt er schnell oberflächlich und belanglos; da wo er der Vorlage treu bleibt, ergeben sich oben genannte Probleme oder es entsteht der Eindruck des erzwungenen "anders als die erste Verfilmung"-seins. Und doch macht der Film - immerhin ja auch einer der wenigen "harten" rape'n'revenge-Filme im Mainstream-Kino - auf stilistischer, schauspielerischer und musikalischer Ebene gelegentlich Eindruck.
Vielleicht sollte man so enden: Finchers Film ist keine schlechte Adaption, aber angesichts seiner Filmografie und der guten ersten Verfilmung, die aus einem mediokren Roman einen überzeugenden Film gemacht hat, bleibt man enttäuscht zurück. Da wäre deutlich mehr gegangen!
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