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Stieg Larsson gehört zu einer Gruppe von Autoren, die ich nur aus einem ganz bestimmten Kontext kenne: dem öffentlichen Nahverkehr. Gleichfalls dazu zählen Leute wie Håkan Nesser, Elizabeth George und Preston Child, der, habe ich mir sagen lassen, sogar zwei Leute ist. Larssons Bücher sind zum Erschlagen dick, weshalb sie sich hervorragend zur Abschottung gegen das übrige Gesindel in Bus und Bahn eignen, und haben Glanzcover mit Heiligenbüsten drauf, denen die Lesergesichter meist ähneln: schwer verzückt und in Passionsqualen der Hochspannung befindlich. Drei Schmöker um den linkslastigen Enthüllungsjournalisten Mikael Blomkvist hat Larsson, der hauptberuflich selber einer war, vor seinem plötzlichen Tod 2004 fertig stellen können. Jetzt wurde die sogenannte "Millennium-Trilogie", die sich posthum zum größten schwedischen Exportschlager seit Köttbullar entwickelt hat, back to back fürs Kino adaptiert.
VERBLENDUNG heißt der erste Teil auf Deutsch, schön nichtssagend und publikumswirksam mit okkultem Fanatismus liebäugelnd, der im Film aber höchstens eine drittrangige Rolle spielt. Zunächst einmal stößt die mittelmäßig vertrackte Geschichte ihren Helden in ein Geiernest namens Großfamilie hinein: Henrik Vanger, Patriarch einer wohlbetuchten Industriellendynastie, beauftragt Blomkvist (Michael Nyqvist) damit, den 40 Jahre zurück liegenden Mord an seiner Lieblingsnichte Harriet neu aufzurollen. Selbstredend verdächtigt Vanger die bucklige Verwandtschaft der Tat, deren Aufklärung bislang weder durch einen Leichenfund noch andere substanzielle Spuren vorangetrieben werden konnte. Auf der abgelegenen Insel Hedeby, die sich der Vanger-Clan zum Familiensitz erkoren hat, schlägt Blomkvist zwischen Aktenbergen und zwielichtigen Angehörigen sein Quartier auf – ohne zu ahnen, dass eine geheimnisvolle junge Hackerin namens Lisbeth Salander (Noomi Rapace) seine Fortschritte minutiös am Computer verfolgt.
Was lange gärt, wird endlich Glut: VERBLENDUNG erzählt die Geschichte einer von sich selbst besessenen Finanzelite, die, jenseits aller gesellschaftlichen Bodenhaftung, nur noch im Saft der eigenen Sünden schmort. Die jahrzehntelange Verdrängung des innerfamiliären Verbrechens hat zu einem Zustand fruchtloser Starre geführt, versinnbildlicht durch die getrocknete Blume, die Henrik alljährlich zu Harriets Geburtstag von einem Unbekannten geschickt bekommt, sowie das insulare Setting, eine Art Endlager für unbewältigten Erinnerungsgiftmüll, der dort unterm ewigen Schnee begraben liegt. Ein Leichtes, dieses Szenario als politische Allegorie zu verstehen, zumal Larsson der Ruf nacheilt, mit dem sozialistischen Furor seiner Sachpublikationen auch die Romane befeuert zu haben. Tatsächlich kommen bald die Nazis ins Spiel, während das Thema misogyner Gewalt, das der Originaltitel ("Männer, die Frauen hassen") ankündigt, in Schweden ein tagesaktuelles Problem ist.
Die Verfilmung entscheidet sich jedoch deutlich gegen ein etwaiges kritisches Potenzial des Stoffs und gibt sich bei aller vorgeblichen Ernsttuerei doch ganz der Kolportage hin. Genüsslich schwelgt die Kamera in den eisigen Schauwerten der Gothic-Landschaft Hedebys, watet festen Schritts durch die trübsten Sexualsümpfe und delektiert sich an allerlei mörderischen Perversionen, die nur dank viel nordischem Understatement nicht ins Lächerliche kippen. Die twistreiche, in gediegenem Tempo abgespulte Krimiplotte hält auch über zweieinhalb Stunden gut bei der Stange, obwohl oder gerade weil sie sich völlig schamlos durch die Genregeschichte plündert: Da trifft das traditionelle Cherchez la femme-Muster der Hardboiled Fiction auf ein Hercule-Poirot-Whodunit inklusive Gruppenverhör im getäfelten Teezimmer, modisch aufgepeppt mit ein paar Dechiffrierspielchen à la Dan Brown.
Dass VERBLENDUNG auf der Leinwand indes wesentlich besser abschneidet als Browns trödeliger Da-Vinci-Quark, hat viel mit den Hauptdarstellern zu tun. Eiswasser fließt durch die Adern von Michael Nyqvist, sein raues Pokerface ein Schutzmechanismus gegen die Wahrheiten, die er schon viel zu oft aufgedeckt hat; und Noomi Rapace sprüht kalte Funken als traumaverhärtete Lisbeth, ein Bündel aus hochkonzentrierter Wut und schwarzer Schminke, deren schiere körperliche Präsenz alles sagt, was es über diese Figur zu wissen gibt. Dass der Film ihr dennoch einen absurd ausführlichen Missbrauchs-Subplot kredenzt, ist der einzige grobe Schnitzer in einer ansonsten eloquenten Adaption. Nicht nur baden jene Sequenzen, in denen Lisbeth sich diverser sadistischer Scheusale erwehren muss, ungut im eigenen Sleaze, sondern hemmen vor allem die Ermittlungen. Immer wieder wird hier der älteste Zeitschindetrick der Welt bemüht: fliegende Überblendung von Zeitungsarchiven, Grafikprogramm-Interfaces und Blomkvist, der sich übermüdet die fünfte Kanne Kaffee in den Rachen gießt, während auf dem Soundtrack hysterische Geigen so tun, als würde gerade irgendwas von Belang passieren. Sobald sich das Duo aber vereint, fällt alle Zähigkeit ab vom Film, der, weit entfernt von passionierter Verzückung, immerhin grundsolide unterhält. Womit sich der Köttbullarkreis schließt: VERBLENDUNG mag im Grunde nur ein ordinäres Fleischbällchen sein – souverän gewürzt und gut durch ist es aber allemal.
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