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THE TOURIST (USA/Frankreich 2010)

von Björn Lahrmann

Original Titel. THE TOURIST
Laufzeit in Minuten. 97

Regie. FLORIAN HENCKEL VON DONNERSMARCK
Drehbuch. FLORIAN HENCKEL VON DONNERSMARCK . CHRISTOPHER MCQUARRIE . JULIAN FELLOWES
Musik. JAMES NEWTON HOWARD
Kamera. JOHN SEALE
Schnitt. JOE HUTSHING . PATRICIA ROMMEL
Darsteller. ANGELINA JOLIE . JOHNNY DEPP . PAUL BETTANY . STEVEN BERKOFF u.a.

Review Datum. 2010-12-14
Kinostart Deutschland. 2010-12-16

Auch in Hollywood ist Tourismus ein lukrativer Wirtschaftszweig. Gemeint sind nicht kurzbehoste Ostküsten-Rentnergruppen, die in den Universal Studios den langsam vor sich hinrottenden Weißen Hai fotografieren, sondern Regie-Touristen aus anderen Teilen der Erde. Ihr Visum besteht zumeist in einem an US-Kassen überraschend (d.h. minimal, aber registrierbar) erfolgreichen Film und ist nicht selten von beschränkter Dauer. Besonderes Ungeschick beim Fußfassen im amerikanischen System haben - mal abgesehen von ohnehin dort angelernten Expats wie Marcus Nispel - immer wieder auch deutsche Regisseure bewiesen; erinnert sei an Sönke Wortmanns endlos in der Produktionshölle geschmorten, längst vergessenen Überflop DER HIMMEL VON HOLLYWOOD.

Florian Henckel von Donnersmarck ist ein anderes Kaliber. Nach wie vor genießt DAS LEBEN DER ANDEREN in den Staaten eine geradezu unsinnige Popularität, überdies hat er einen Oscar und einen Namen, so teutsch, wie ihn sich nicht mal Tarantino für INGLOURIOUS BASTERDS ausdenken konnte. Einreisegenehmigung somit erteilt, Arbeitserlaubnis bewilligt. Und freie Projektwahl? Die auch, suggeriert zumindest durch geschickte Aussparungen das Presseheft. In Wahrheit handelt es sich bei THE TOURIST, Donnersmarcks Drehbuch-Credit zum Trotz, um das Remake eines französischen Thrillers (ANTHONY ZIMMER von Jerôme Salle), das zuvor bereits durch schwedische (Lasse Hallström), indische (Bharat Nalluri) und mexikanische (Alfonso Cuarón) Hände gegangen und von selbigen heißekartoffelmäßig fallen gelassen worden war. Irgendwo in der Mitte stieß Donnersmarck dem Gastarbeiterreigen bei, schied wieder aus, kam zurück und blieb.

Außer dem generell unsteten Geschäftsgebaren in der Branche beweist das erst mal nichts, ist höchstens symptomatisch für die Hollywood'sche Assimilationspolitik, auswärtigem Talent mit Hilfe unliebsamer Auftragsvehikel das Profil abzuschleifen. Ein Mißverständnis liegt jedoch darin, Donnersmarck auf Grundlage seines staatstragenden Überwachungsstaats-Melos ein solches Profil, eine ehrfurchtgebietende auteuristische Stimme überhaupt beizumessen. Geradezu niedlich, wie Leading Lady Angelina Jolie den aktuellen Film anhand genuin europäischer E- und U-Kriterien schon im Vorfeld zu entschuldigen sucht: DAS LEBEN DER ANDEREN sei ernst, dunkel, schwer, THE TOURIST hingegen lustig, locker, leicht, Kunst ist nicht alles, man wird doch wohl noch Spaß haben dürfen etc.

Darf man, soll man: hat man aber nicht. Hinter der Prämisse eines eleganten Törns durch seichte Unterhaltungsgewässer verbirgt THE TOURIST eine rumpelige Filmgeschichtskaffeefahrt, die sich ohne Takt und Zartgefühl durch altgediente Klassiker freibeutert. Anlegestellen: Donenville und Hitchcockhausen, DER UNSICHTBARE DRITTE meets CHARADE. Johnny Depp trifft im Expresszug Paris-Venedig auf Angelina Jolie, international woman of mystery mit britischem Akzent, die ihn am Zielort in recht dürftige wirtschaftskriminelle Intrigen verwickelt. Auf Anhieb funkt es nicht die Bohne, tapfer quält man sich durch die erste von bedauernswert zahlreichen Turteleien, deren Esprit vom schalen Tafelwasser im Bordrestaurant spielend übertroffen wird. In Venedig dann verbilligtes Pauschalprogramm: Lido-Dinner, Gondeleien, Verfolgungsjagd im Pyjama über wegbrechende Terrakottadachpfannen. Alle Welt benimmt sich wie Nebenfiguren in einem PINK PANTHER-Film, vom verspannten Scotland-Yard-Ermittler bis zum prustend im Kanal treibenden Streifenbullen; nur von Clouseau fehlt jede Spur.

Ohne das Klischee vom gefühlsverkrüppelten Deutschen strapazieren zu wollen, scheinen Abenteuer, Witz und Romantik für Donnersmarck fremde Kulturen zu sein, mit denen ein Austausch nach Kräften vermieden wird. Das Interesse an seinem Stoff, seinen Kulissen, seinen Stars ist rein touristischer Natur: Sehenswürdigkeiten knipsen und zu Hause der Mutti zeigen. Eine Provinzmentalität, die nichts hervorbringt als die Reproduktion toter Oberflächen; ein Venedig, dessen maroder Altglanz unter James Newton Howards unfassbar abgeschmackten Hardcore-Tutti zu Pappe wird, ein Johnny Depp, dem sein vielzitierter Charme als steife Maske das Gesicht lähmt. Am Schlimmsten trifft es Angelina, deren vollständige charismatische Neutralisierung auch dadurch nicht abgewendet werden kann, dass sich allenthalben die versammelte Komparserie nach ihr umdreht wie hungrige Diabetiker nach einem Stück Edelkonfekt. Es bedürfte wirklich eines außergewöhnlich schmerzfreien, schadenfrohen Gemüts, um diesem Urlaub noch etwas abgewinnen zu können. In einem Wort: Katastrophentourismus. Man kann nur hoffen, Donnersmarck hat seinen Rückflug bereits gebucht.











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