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Katastrophe im Kopf.
Jeff Nichols hat mitTAKE SHELTER - EIN STURM ZIEHT AUF einen so persönlichen, intimen und aktuellen Mystery-Film mit Horror-Momenten geschrieben und gedreht, als wär's ein Stück aus dem wirklichen Leben. Curtis (Michael Shannon), Vorarbeiter bei einem Sandgewinnungs-Unternehmen, wird immer wieder von der Vision eines apokalyptischen Unwetters heimgesucht. Koste es, was es wolle, will er seine Familie, seine Frau Samantha (Jessica Chastain) und seine taubstumme, sechsjährige Tochter Hannah (Tova Stewart) davor schützen. Aber ist Curtis nicht einfach verrückt? Grandiose Schauspieler verwickeln fast zwei Stunden lang in ein aufwühlendes Psychogramm, ehe der Spannungsbogen geradezu mutwillig eingerissen wird.
Später grübelt man, was zuerst da war: Der Ruck, mit dem Michael Shannon als Curtis La-Forche die Arme öffnet, wie um sich einer höheren Macht zu übergeben, oder die plötzlich sein Hemd besprenkelnden Regentropfen. Sie hinterlassen dunkle Flecken. Wie das herabströmende Wasser so auf das Dach von Curtis'Haus trommelt, könnten es auch Einschusslöcher eines sehr regelmäßigen Gewehrfeuers sein. Curtis, der vor der Vorderfront seines Hauses steht, hat für einen Moment die Augen geschlossen, erleichtert oder gar entrückt, als ob etwas lang Ersehntes eingetreten sei. Nichols, sein Kameramann Adam Stone, der schon Nichols'SHOTGUN STORIES photographiert hat, und natürlich Hauptdarsteller Michael Shannon tun vielleicht des Guten zuviel. Sie verleihen Curtis die Haltung eines Märtyrers, eines Heiligen Sebastian, der nicht von Pfeilen, sondern von dem durchbohrt wird, was er bald für Zeichen eines künftigen Weltuntergangs halten wird. Es tritt Curtis dabei keine äußere Kraft entgegen, sondern eine, mit der er auf eine geheimnisvolle Weise verbunden ist. Darüber erschrickt er, als er das Wasser vom Himmel zwischen seinen Fingern betrachtet: Es ist schlammig, und es hat die Farbe seines Hemdes.
Nichols' Erstling SHOTGUN STORIES über eine brutale innerfamiliäre Fehde warf Blicke in die Abgründe des US-amerikanischen Südens wie zuvor vielleicht nur die Romane von William Faulkner. Man ist deshalb etwas ernüchtert, wenn man feststellt, dass TAKE SHELTER - EIN STURM ZIEHT AUF sich scheinbar an den Konventionen des Mystery-Films entlang hangelt. M. Night Shyamalan und vor ihm Steven Spielberg haben die Regeln definiert. Werfen nicht wie in SIGNS katastrophale Ereignisse ihre Schatten voraus, auch wenn das nicht jeder wahrhaben will? Liest nicht Curtis aus heftigen Regenschauern und malerisch-bedrohlich verzwirbelten schwarzen Wolkenformationen am Horizont die Heraufkunft der Sintflut heraus wie Reverend Graham Hess in SIGNS aus den Kornkreisen die bevorstehende Landung der Außerirdischen? Wird nicht wie in SIGNS (der Geistliche ist aus Trauer um seine Frau zum Farmer geworden) und UNBREAKABLE - UNZERBRECHLICH (der unzerbrechliche Mensch ist ein einfacher Arbeiter) einem Durchschnittsmann die Gratwanderung zwischen Paranoia und Prophetie auferlegt?
Entsprechend ist das mimische Repertoire von Michael Shannon auf die inneren Schwankungen ausgelegt. Im Antlitz der Gefahr wird sein Gesicht knorrig wie ein Baum und sein Körper ebenso steif. Im nächsten Moment aber ergreift er die Flucht oder beschirmt seine Tochter vor schemenhaften Angreifern. In wieder anderen Momenten wird er zum naiv Gläubigen. Jessica Chastain könnte gereizt haben, als Curtis' Ehefrau Samantha das absolute Gegenstück zu ihrer berühmt gewordenen Rolle der traumwandlerischen Mutter in THE TREE OF LIFE zu verkörpern. Ihr neuer Part bringt aber die undankbare und von unzähligen Schauspielerinnen nicht nur in Mystery-Filmen vorgestanzte Aufgabe mit sich, den gesunden Menschenverstand, das Realitätsprinzip und die gesellschaftliche Norm zu vertreten. Diese Instanzen verlangen vom Ehemann, als Ernährer und Beschützer zu funktionieren statt vom Übernatürlichen zu faseln. Unvergessliches Vorbild ist Teri Garr als Ronnie Neary in Spielbergs UNHEIMLICHE BEGEGNUNG DER DRITTEN ART, die vor ihrem Mann Roy (Richard Dreyfuss) Zeitungsartikel verbirgt, die seine Beobachtungen von seltsamen Erscheinungen bestätigen würden.
Doch TAKE SHELTER - EIN STURM ZIEHT AUF ist komplexer als es das Genre gemeinhin gestattet. Die Mystery-Elemente sind Metaphern in einer publikumswirksamen filmischen Sprache. Was zählt, ist das, was sie ausdrücken und ebenso sensibel wie intelligent erkunden helfen: Die tiefen Verunsicherungen über das unübersichtliche Leben von heute. Das Haus von Curtis' kleiner Familie steht in einer schlichten Siedlung, die eine brüchige Gemeinschaft bewohnt. Die Felder und der sonnendurchstrahlte blaue Himmel erzeugen den Sog klaustrophobischer Weite. Das Gefühl der Unendlichkeit ist so beklemmend, dass Grenzen und Schutzräume her müssen. Wo und wie Curtis diese einrichten soll, wird ihm in nächtlichen Visionen und taghellen Halluzinationen diktiert. Seinen Hund, der ihm im Traum Bisswunden beibringt, die als Phantomschmerz fortdauern, verbannt er aus dem Haus in einen Zwinger im Garten. Als er träumt, von seinem Kollegen und Freund Dewart (Shea Wigham) lebensgefährlich attackiert zu werden, entfernt er ihn aus seinem Arbeitsteam. Nachdem er bei einem Alptraum ins Bett gepinkelt hat, beginnt er sich von seiner Frau zu distanzieren. Als aus den unheilvollen Wolken am Himmel tote Vögel auf die Erde fallen, baut er den Tornardo-Schutzraum im Garten aus und rüstet ihn mit Konserven, Feldbetten und Gasmasken für Kinder aus. Weil er dabei unerlaubt Maschinen seines Arbeitgebers benutzt, wird er gefeuert. Die Existenzgrundlage ist entzogen. Verloren geht damit auch die Krankenversicherung, die das Implantat zur Behebung der Behinderung von Curtis' Tochter finanziert hätte.
Psychische Labilität und unheimliche Landschaft reflektieren einander wie zwei gegeneinander gehaltene Spiegel in dieser Tragödie eines Mannes, der aus Angst sich selbst zu verlieren auch alles andere zu verlieren droht. Nichols will das nach SHOTGUN STORIES selbst verspürt haben. Dabei ahnt Curtis, was mit ihm los sein könnte. Mit bewundernswerter Plastizität gibt Michael Shannon einen Mann, der sich mit verzweifelter Intensität nach innen kehrt, um herauszufinden, wer er ist, und gleichzeitig wie ein Automat ein wahnwitziges Programm umsetzt, mit dem die Aussicht auf inneren Frieden in immer weitere Ferne rückt. Schon Curtis' Mutter litt an Schizophrenie, und wenn es heißt, dass er gerade seinen Vater verloren hat, vermutet der Laie, dass diese schmerzliche Lücke die Störungen ausgelöst haben könnte. Wie auch immer: Curtis' Wahnsinn kommt so schleichend und die letzten wirtschaftlichen Krisen stecken vielen noch so tief in den Knochen, dass niemand daran zweifeln dürfte, dass der Verlust von allem auch ihn oder sie treffen könnte.
Ärzte können da nicht helfen. Weil TAKE SHELTER - EIN STURM ZIEHT AUF auch ein großartiger Liebesfilm ist, kann es Curtis' Frau Samantha. Jessica Chastain konturiert mit einem ruhigen Spiel, aber vielleicht etwas zuviel Sympathie für ihre Figur eine einfühlsame und möglicherweise allzu kluge Pragmatikerin. Jenseits der Rollenklischees des Mystery-Films hat sie gute Gründe, an ihren Mann zu glauben und seine Prüfungen zu den ihren zu machen. Tatsächlich kommt ein Sturm. Mitten in der Nacht sucht die Familie Zuflucht im Schutzraum. Am nächsten Morgen besteht Samantha darauf, dass Curtis selbst die Tür nach draußen öffnen soll. Bei dem, was Curtis da sieht, hätte es Nichols belassen können und sollen. Stattdessen fügt er soetwas wie einen zweiten Schluss an. Der hebt nicht nur alle Ambivalenzen auf, sondern dürfte diesseits des Atlantiks als Propagierung eines überzogenen amerikanischen Selbstbewusstseins verstanden werden. Diese herbe Enttäuschung hätte nicht nötig getan, enthebt aber davon, Curtis'Seelendrama aus dem Kino nach Hause mitzunehmen.
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