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THE STOOL PIGEON (Hong Kong 2010)

von Björn Lahrmann

Original Titel. SIN YAN
Laufzeit in Minuten. 113

Regie. DANTE LAM
Drehbuch. WAI LUN NG
Musik. HENRY LAI
Kamera. CHUNG-TO TSE
Schnitt. KI-HOP CHAN . MATTHEW HUI
Darsteller. NICK CHEUNG . NICHOLAS TSE . LUNMEI KWAI . KAI CHI LIU u.a.

Review Datum. 2011-03-21
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

Nach FIRE OF CONSCIENCE der zweite, deutlich bessere Lam des vergangenen Jahres, und wenn man vorher mit dem Drehbuchvertekutierer durchgegangen wäre, hätt's bestimmt noch für einen dritten gereicht. Nahezu komische Ausmaße nimmt die Subplotdichte von THE STOOL PIGEON beizeiten an, zum Lachen kommt man trotzdem nicht: Niederschmetterndes türmt sich auf immer noch Niederschmetternderes, Tragödien der Vergangenheit schieben sich vor die nicht minder tragische Gegenwart. Beispiel gefällig? Jeder Mann in diesem Film hat mindestens zwei Frauen an der Hand bzw. auf dem Kerbholz, von denen eine sich prostituiert, die andere humpelt, die dritte tot ist u.s.w. Eine Megatragödie, Ultratragödie, Tritratrullagödie!

Aber langsam und von vorn: Don Lee (Nick Cheung) ist ein Bulle mit Brille und als solcher erste Wahl bei der Spitzelbetreuung. Dass der letzte mittlerweile schwer traumatisiert in einem Pappkarton unter den Brücken von Hongkong haust, ist ihm zugleich Gewissenslast und Ansporn, es beim nächsten Mal besser zu machen. Auftritt Ghost Jr. (juniorenhaft: Nicholas Tse), eingebuchtetes Panzerknacker-Wunderkind, das im Tausch gegen Undercover-Dienste freigelassen wird: Die Juwelenräuberbande um den subtil benannten Barbarian (Yi Lu), dessen Klunkerklaumethode regelmäßig für Blutflecken am Brokat sorgt, soll ausgekundschaftet sowie, wenn möglich, Schlimmeres verhindert werden.

Drumherum spannt Lam einen nicht immer ganz straffen Schuld-ohne-Sühne-Nexus, den man aber auch für seine Durchhänger und lose Maschen liebhaben kann. Zum einen, weil die Längen sich - im Gegensatz zum Vorgänger - niemals ballen, sondern gut über den Film verteilt sind; zum anderen, weil die Maßlosigkeit, mit der hier Zwie- und Niedertracht, Schäbigkeit und Selbsthass gesät wird, schlichtweg beeindruckend ist. Obwohl die vormaligen BEAST STALKER-Kontrahenten Cheung und Tse pro forma ein Team bilden, ist an Brüderschaft nicht zu denken, zähneknirschend erwartet der eine vom anderen den nächsten Beschiss und ergreift dennoch jeden vergeblichen Rettungsstrohhalm. Für Heroic-Bloodshed-Heulsusen ist bei Lam kein Platz; seine bloß peripher ans frühere Hongkong-Kino anschließenden Action-Melodramen bevölkern vielmehr die fatalistischen Einzelgänger des Noir.

Die latent unsaubere Skriptverarbeitung findet ihren inszenatorischen Widerpart in rabiaten Duellsequenzen, deren Choreographien nur selten etwas Tänzerisches haben. Vor allem auf offener Straße herrscht immerzu eine Art chaostheoretisches Flirren in der Luft, das jedes umherschießende Projektil oder Vehikel buchstäblich aus der Bahn zu werfen droht. Lam ist gewissermaßen das Snickers zu Johnny Tos Milkyway: Gröber, zäher, voll dicker Stückchen, in herber Hülle. Umso heftiger überrumpeln einen die süßen, cremigen Momente: eine Autojagd in schwebender Zeitlupe, eine Klopperei inmitten gestapelter Stühle, die aus der Draufsicht wogen wie ein Meer. Kurzzeitig bündeln sich hier entfesselte Kräfte zu etwas eigenartig Schönem, um ebenso schnell wieder der Kontrolle zu entgleiten. Vielleicht ließe sich daran eine Faustregel festmachen: Was Dante Lams Kino im Guten wie im Schlechten auszeichnet, ist seine strikte Weigerung, sich zu beherrschen.











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