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THE SHEPHERD (USA 2008)

von Sebastian Selig

Original Titel. THE SHEPHERD: BORDER PATROL
Laufzeit in Minuten. 95

Regie. ISAAC FLORENTINE
Drehbuch. CADE COURTLEY . JOE GAYTON
Musik. MARK SAYFRITZ
Kamera. DOUGLAS MILSOME
Schnitt. IRIT RAZ
Darsteller. JEAN-CLAUDE VAN DAMME . SCOTT ADKINS . STEPHEN LORD . GARY MCDONALD u.a.

Review Datum. 2008-06-02
Kinostart Deutschland. direct-to-video

Pinik hat die DVD von dem kleinen mexikanischen Straßenjungen. Auf einer blauen Filzdecke, die er direkt vorne neben der Bushaltestelle ausgebreitet hat, lag sie zwischen einer bunten Mischung McDonalds-Toys, Spielzeug-Helikoptern und ein paar grauen, klobigen Super-Mario-Kassetten. Während Pinik erzählt, gilt meine ganze Aufmerksamkeit allerdings der vorgestern frisch zugetackerten Narbe rechts neben meinem Bachnabel, die jetzt, nachdem wir den Fluss am Stadtrand durchwatet haben, pulsiert wie ein Diodenherzchen zum Anstecken vom Kirmes-Rave. Möchte mir gar nicht vorstellen, was für eine exotisch zusammengesetzte Bande hungriger, mexikanischer Viren sich hier gerade um den besten Platz am Eiter-Buffet streitet.

Unser Zimmer liegt direkt über dem salon-artigen Hotel-Eingang, dessen safrangelb verstaubte Flügeltür nach vorne raus auf die bei gefühlten 45 Grad einsam vor sich hinbrütende Straße zeigt. Mir stehen jetzt echt Tränen der Rührung in den Augen. Nicht unbedingt, weil Pinik mich mit einem solch netten DVD-Geschenk überrascht hat, sondern vor allem natürlich wegen dem Cover der THE SHEPHERD-DVD, auf dem ein liebevoll ausgeschnittener Van Damme in BLOODSPORT-Spagat die von Kinderhandgezeichneten Staaten Mexiko und Texas miteinander verbindet. Fuck, da hat man gleich diese wundervolle Szene aus Michael Manns ALI vor Augen. Die, auf die der Film eine Stunde lang auf das subtilste hingearbeitet hat, in der wir Ali durch den Slum von Soweto joggen sehen und dann bleibt er gerührt vor dem von Kindern an eine Häuserwand gemalten Bild stehen, das ihn ein paar Panzer wegboxen zeigt.

Eine Rührung, die nach dem Einlegen der DVD leider viel zu schnell wieder verblasst. Handelt es sich bei dem Film doch um eine ganz große Übung in Gleichgültigkeit. Die kann man hier, im stickigen Hotelzimmer, mit der stoisch vor sich hintropfenden Dusche nebenan, gleich noch einmal einen ganzen Tick intensiver spüren. Gleich die erste Szene, in der sich Van Damme mit niedergeschlagenem Gesicht eine mickrige Möhre mit einem Kleintiernager teilt, wäre selbst bei funktionierender Klimaanlage Tristesse Deluxe.

Diese warm gefütterte Decke aus Melancholie, die über dem ganzen Film liegt, macht es dem Betrachter nicht immer ganz leicht, sich der etwas vertrackten, gleichmütigen Traumlogik von THE SHEPHERD richtig hinzugeben. Man erlebt das dann hier und jetzt eher wie eine mit beinahe schon aufgesetzt wirkender Lieblosigkeit wahllos zusammengestellte Ansammlung leerer Gesten und Posen. Wie ein kluger Kopf später ganz richtig feststellen wird, man mag sich kaum mehr an einen Film erinnern, in dem länger und gleichmütiger aufeinander geschossen wurde, ohne dass auch nur das Geringste passiert.

Einen Film, in dem Tag und Nacht in einer einzigen Szene dreimal ihren Platz tauschen können. Einen Film, in dem illegale Immigranten aus nicht leicht zu erklärenden Gründen Sprengstoffgürtel tragen, wenn Sie ein Loch in den mexikanisch-amerikanischen Grenzzaun schneiden. Natürlich auch ein Film komischer Frisuren und Verkleidungen. Einer, in dem der mexikanische Gefängnisdirektor (dick und schnauzbärtig) eine lustige Paradegeneral-Uniform trägt und über eine Ferienanlage herrscht, die hier als Gefängnis herhalten muss, schmucklose FIGHT CLUB-Shows unten im Keller inklusive.

Ein Versprechen aus dem letzten Sommer wird dabei leider nicht eingelöst. Damals beim improvisierten Open-Air-Screening, bei dem wir den wundervollen UNDISPUTED II - LAST MAN STANDING an die gegenüberliegende Wand der Gefängnisanlage Hohenasperg gebeamt hatten. Damals wurde Scott Adkins noch von einem begeistert johlenden Strafgefangenen-Publikum wie der neue athletische Stern am Bewegtfilm-Kinohimmel beklatscht. Hier nun trägt er eine dunkle Gigolo-Tolle, wirkt angestrengt stirnrunzelnd, beinahe etwas hilflos und das mit den schräg in die Luft gewirbelten Saltos ist leider nur noch aufgesetzt artistische Pose.

Aber klar, natürlich versteht man das hier im Glutofen Tijuanas alles völlig falsch. Pinik hat völlig Recht, dem Film muss man sich von ganz anderer, sehr viel europäischerer Seite nähern, will man ihn wirklich verstehen. Längst ist es doch kein Geheimnis mehr, dass es sich bei THE SHEPHERD um das höchst geniale Vorwort zum großen belgischen Filmkunstwunder J.C.V.D. in diesem Sommer handelt. Nach drei dramatischen Meisterwerken in Folge, konnte der ganz große selbstreflektive Wurf in der einmaligen Karriere von Van Damme nämlich nur gelingen, indem allen, auch den weitsichtigen Cineasten, die seit nunmehr drei Jahren mit atemloser Spannung mitverfolgt haben, was für ein gewaltiges schauspielerisches Talent hier seinen verdienten Platz am Firmament des europäischen Filmkunst-Himmels eingenommen hat, weisgemacht wurde, da gäbe es jetzt plötzlich so etwas wie eine ernstzunehmende Krise. Ein perfekt inszenierter Absturz aus höchster Höhe, den man im mit Spannung erwarteten J.C.V.D. nun entsprechend auflösen kann.

Hut ab vor soviel Weitsicht. Morgen nun wird man aber erst mal zu dem kleinen mintgrün gestrichenen Kleidergeschäft gehen, an dessen mit Brautmoden behangenen Schaufenster Pinik und ich bei unser Ankunft hier in Mexiko vorbeigekommen sind, und sich dort einen dieser schneeweißen Anzüge kaufen, wie ihn Powers Boothe in AUSGELÖSCHT trägt. Später dann auf der Hochzeit von Piniks Schwester, ein überraschendes Wiedersehen mit Adkins. Angesprochen auf den Dreh in Bulgarien, nur ein schiefes Scott Adkins-Grinsen und "ask Moshe". Dann will er nur noch über Cannes und das spektakuläre J.C.V.D.-Screening sprechen. Fuck, man wird dieses Wochenende noch nach Frankreich müssen, wo der Film ja diese Woche anläuft. Was ein Sommer.











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