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RED RIDING HOOD - UNTER DEM WOLFSMOND (USA 2011)

von Benjamin Hahn

Original Titel. RED RIDING HOOD
Laufzeit in Minuten. 100

Regie. CATHERINE HARDWICKE
Drehbuch. DAVID LESLIE JOHNSON
Musik. BRIAN REITZELL
Kamera. MANDY WALKER
Schnitt. NANCY RICHARDSON . JULIA WONG
Darsteller. AMANDA SEYFRIED . GARY OLDMAN . BILLY BURKE . SHILOH FERNANDEZ u.a.

Review Datum. 2011-04-19
Kinostart Deutschland. 2011-04-21

Sollte man die Handlung dieses Films in knappsten Worten zusammenfassen, so müsste man das wie folgt tun: Ein hübsches Mädchen (Amanda Seyfried mit - wieder einmal - ganz großen Augen) liebt Jungen aus der Unterschicht (gespielt von Robert Pattinson-Ersatz Shiloh Fernandez), soll aber mit einem anderen Jungen mit etwas mehr Geld vermählt werden. Das vermische man dann noch mit dem altbekannten Märchen um Rotkäppchen und schon ist alles erzählt, was man über den Inhalt von RED RIDING HOOD wissen muss. Gut, vielleicht sollte man noch darauf hinweisen, dass der Film von TWILIGHT-Regisseurin Catherine Hardwicke sich nicht ganz am tradierten Märchenstoff orientiert, sondern den bösen Wolf gar zu einem Werwolf macht und so den vorliegenden Film zu einem (um Verwirrung bemühten) Krimi um dessen Identität werden lässt.

Diese Handlung verlegen Hardwicke und ihr Drehbuchautor David Leslie Johnson in eine pseudomittelalterliche Fantasy-Welt, die ein bisschen wirkt wie die Mädchenversion von Tim Burtons Traumwelten, in der alle Menschen grundsätzlich hübsch und die Kleidung immer sauber und perfekt passend ist und in der Feste immer aussehen wie eine Mischung aus Woodstock und dem Burning Man. Das kann man machen und schließlich ist das auch recht hübsch anzusehen, aber bereits die Welt an sich verdeutlich damit auch gleich schon das größte Problem des Films: Er ist zu sauber, zu weichgespült, zu sehr getrimmt auf die TWILIGHT-Zielgruppe. Und man merkt das nicht nur in der Darstellung der Welt, sondern auch in vielen weiteren Details: Die brutalen Morde des Werwolfs finden oftmals off-screen statt und sind nahezu klinisch rein. Blut existiert nur tröpfchenweise und lediglich an drei Stellen gibt es annähernd etwas, was Schockszenen gleich kommt. Die das Märchen überschattende Sexualität, die Neil Jordan in seinem THE COMPANY OF WOLVES so hervorragend herausgearbeitet hat, wird negiert bzw. romantisiert. Zwar stellt sich der Film in dieser Hinsicht weitaus weniger züchtig dar als Hardwickes TWILIGHT, trotzdem aber wird - ähnlich wie in der Vampirschmonzette - die Sexualität um ihre animalische Seite gebracht.

Doch nicht nur an den Grausamkeiten und sexuellen Aspekte der Märchen- und Legendenstoffe hat der Film kein Interesse, er entwickelt aus der Geschichte um den Mörder im eigenen Dorf auch kein allzu großes moralisches Dilemma. Überhaupt werden solche Probleme nur locker angerissen, aber niemals wirklich diskutiert. Es gibt eine Stelle im Film, wo einem diese Ignoranz gegenüber moralischen Fragen besonders sauer aufstößt, nämlich die Folterung eines behinderten Jungen. Dass hier etwas zutiefst menschenverachtendes geschieht, interessiert weder den Film, noch seine Akteure. Nun könnte man argumentieren, dass der Film an dieser Stelle einem gewissen Realismus frönt, aber angesichts seiner eindeutig fiktiven Gothic-Fantasie-Welt, würde eine Erklärung im Sinne eines zeitlichen, realen Kontexts hier nicht greifen. Die Dorfbewohner in diesem Film sind keine vom religiösen Wahn Getriebenen, die in einem behinderten Menschen einen Dämon vermuten, sie sind teilnahmslose Staffage, die nur dann zum Leben erweckt wird, wenn die Handlung es will. So bleibt dann auch die widerspruchslose Festnahme des Jungen für die Dorfgemeinschaft genauso folgenlos wie die verübte Folter für den Folterknecht - und selbst der Gemarterte kommt sogar noch mit dem Leben davon, obwohl die Art der Folter (die übrigens in Griechenland und nicht - wie vom Film behauptet - in Rom erfunden wurde) de facto eine Todesstrafe per Tortur war.

Vielleicht sollte man moralische Diskussionen um solche Handlungen nicht in einem Fantasy-Film erwarten, der auf Mädchen im frühen Teenager-Alter zugeschnitten ist und möglicherweise ist es dem Film gegenüber unfair ihm ausgerechnet diese kurze Szene zum Vorwurf zu machen, aber gerade in einem auf Jugendliche zugeschnittenen Film eine menschenverachtende Misshandlung nicht moralisch oder ethisch zu kommentieren und sie gar am Ende als "alles nur halb so schlimm" zu verniedlichen, ist schon reichlich bedenklich. Zumal diese kurze Sinne erzählerisch kaum einen Sinn macht bzw. ihre Funktion auch auf weit weniger heikle Weise erreichbar gewesen wäre. Doch nein, Hardwicke und ihr Team suchen nach dem kurzlebigen Thrill für ihr leicht erschreckbares Girlie-Publikum, im Idealfall gepaart mit einer reichlich durchsichtigen falschen Fährte. Das ist nicht nur Programm dieser Szene, sondern zieht sich durch den Film wie ein roter Faden und lassen das visuell durchaus nicht ganz uninteressante Werk am Ende wie ein Sammelsurium überflüssiger Szenen wirken.

Dieses Übermaß an nur wenig ausgearbeiteten Nebelkerzen ist dann auch, neben den flachen Charakteren und den hölzernen Klischeedialogen aus dem Lehrbuch für Kitsch, ein weiteres Problem des Films: Statt sich Raum für einige wenige, aber effektive Verwirrungsmomente zu gönnen, knallt Hardwicke ihren Zuschauern eine Pseudo-Entdeckung nach der anderen um die Ohren und verspielt damit jedwede Chance auf Spannung und Atmosphäre. Mag sein, dass bei Jugendlichen solche Taschenspielertricks gut ankommen, einem älteren Publikum aber wird dieses Werk vorkommen wie ein Film für Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit. Aber vielleicht ist dieser Film auch tatsächlich mit fummelnden und halb hinsehenden Teenies im Hinterkopf geschrieben worden, denn wie ließe es sich sonst erklären, dass der Film teils seine falschen Fährten auch gleich noch erklärt, teils seine Zuschauer mit dem Holzhammer auf diese Fährten drischt.

Das größte Ärgernis an RED RIDING HOOD ist, dass der Film kein totales Desaster ist, sondern zumindest im Ansatz Potential aufweist, die man mit ein bisschen mehr Anstrengung sicherlich zufriedenstellend hätte ausbauen können. Zudem machen es ihm seine inhaltlichen Ähnlichkeiten zu dem weitaus besseren THE COMPANY OF WOLVES und seine enorme Fixierung auf eine bestimmte Zielgruppe besonders schwer jenseits eines Teenager-Publikums wahrgenommen zu werden. Für das ist er jedoch trotz seines dummen Drehbuchs, seiner Blutarmut und seines Kitsch zu empfehlen - zum einen, weil der Film mit zwei Stücken von Fever Ray ziemlich gute Musik im Programm hat, zum anderen, weil RED RIDING HOOD trotz seiner zahlreichen Makel allemal besser ist als TWILIGHT.











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