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PRECIOUS - DAS LEBEN IST KOSTBAR (USA 2009)

von Edda Baumann-von Broen

Original Titel. PRECIOUS: BASED ON THE NOVEL PUSH BY SAPPHIRE
Laufzeit in Minuten. 109

Regie. LEE DANILES
Drehbuch. GEOFFREY FLETCHER . SAPPHIRE
Musik. MARIO GRIGOROV
Kamera. ANDREW DUNN
Schnitt. JOE KLOTZ
Darsteller. GABOUREY SIDBE . MO'NIQUE . PAULA PATTON . MARIAH CAREY u.a.

Review Datum. 2010-03-25
Kinostart Deutschland. 2010-03-25

Dass Precious in Amerika eingeschlagen ist wie eine Bombe ist kein Wunder, wenn man sich die lange qualvolle Geschichte der Schwarzen in den Vereinigten Staaten anguckt. Dass der Film unter afro-amerikanischen Intellektuellen die Frage ausgelöst hat, ob man derart drastische schwarze Figuren überhaupt auf der Leinwand zeigen darf, ist ebenfalls verständlich. Noch vor 10 Jahren wäre es undenkbar gewesen, dirty laundry aus der eigenen Community in der breiten – weißen - Öffentlichkeit zu waschen. Aber funktioniert der Film auch für jemanden außerhalb der USA, der sich wenig mit afro-amerikanischer Kultur beschäftigt?

Als der Roman "Push" 1996 herauskam, war er eine kleine Sensation. Ein Juwel von einem Buch, das von Hand zu Hand weitergerecht wurde, weil es so überwältigend und sprachgewaltig war, dass man es einfach teilen musste. Die Geschichte der 16jährigen Precious aus Harlem, fettleibig, unfähig zu lesen oder zu schreiben, zum zweiten Mal schwanger von ihrem Vater, gequält von der rasend eifersüchtigen Mutter, ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Bildungsroman. Push erzählt von einem Mädchen, dass sich kaum ihres Menschseins gewahr ist und dann auf einer alternativen Schule nicht nur die Kraft des Lesens und Schreibens entdeckt, sondern auch sich selbst. Der Roman ist unfassbar detailliert in seiner Brutalität und gleichzeitig literarisch herausragend, Kunst und realistische Sozialstudie zugleich.

Der Film PRECIOUS ist in letzter Konsequenz weder noch und dies trotz einer sensationellen Besetzung. Der Regisseur Lee Daniels hat sich nicht getraut, den lange für unverfilmbar gehaltenen Roman in seiner ganzen Wucht umzusetzen und dass ist die große Schwäche des Films. Es gibt genügend unerträgliche Szenen, aber der Film entflieht der Konfrontation des Zuschauers mit dieser subhumanen Wirklichkeit durch einer Kunstgriff: immer, wenn es für Precious und den Zuschauer wirklich nicht mehr zu ertragen ist - der Vater vergewaltigt sie, die Mutter schlägt sie halbtot – sieht sich das Mädchen perfekt gestylt in Traumsequenzen, die einem das Gefühl geben, man sei fälschlicherweise in DREAMGIRLS gelandet. Plötzlich ist man nicht mehr in der Geschichte drin, sondern guckt aus der Distanz.

Das Schauspielensemble ist herausragend, von der Debütantin Gabourey Sidibe bis zur sonst eher peinlichen Mariah Carey als überforderte Sozialarbeiterin. PRECIOUS hat außerdem eine Mutterrolle zu bieten, die wahrscheinlich noch nicht einmal Bette Davis angenommen hätte. Was die Komikerin und Schauspielerin Mo'Nique geleistet hat und wofür sie auch zu Recht mit dem Academy Award ausgezeichnet wurde, ist, die ganze Rohheit des Buches in sich zu vereinigen und sich zu trauen, etwas zu tun, was in Amerika nur sehr wenige Schauspielerinnen wagen: eine Frau zu spielen, die so widerwärtig und fratzenhaft ist, und sie so vollständig zu verkörpern, dass man immer noch Angst hatte, als Mon'Nique im blauen Abendkleid ihren Oscar entgegennahm.

Schade, dass der Regisseur nicht so mutig war wie seine Schauspielerin. So ist PRECIOUS für Amerika ein immens wichtiger und zu Recht vielfach preisgekrönter Film, für alle anderen aber nicht das, was der Film hätte sein können: eine Katharsis, die einen verändert entlässt.











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