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THE LOOK OF SILENCE (USA/Großbritannien/Indonesien 2014)

von Florian Lieb

Original Titel. THE LOOK OF SILENCE
Laufzeit in Minuten. 103

Regie. JOSHUA OPPENHEIMER
Drehbuch. -
Musik. SERI BANANG . MANA TAHAN
Kamera. LARS SKREE
Schnitt. NILS PAGH ANDERSEN
Darsteller. -

Review Datum. 2015-09-29
Kinostart Deutschland. 2015-10-01

"Nimm ein Butterfly Messer mit", sagt die Mutter zu dem Sohn. Ein gut gemeinter Ratschlag, wenn in der Nachbarschaft die Mörder des eigenen Bruder leben. In THE LOOK OF SILENCE widmet sich Regisseur Joshua Oppenheimer nochmals den Massakern von 1965/66, als in Indonesien die Diktatur den Massenmord von Mitgliedern und Sympathisanten der Kommunistischen Partei veranlasste. Bereits das Thema in Oppenheimers THE ACT OF KILLING, ließ der Regisseur darin die Täter von damals mit grinsendem Gesicht ihre Verbrechen von einst nachstellen. "Surreal und pietätlos" beschrieb ich den Film damals. "Den Überlebenden jener Massaker sowie den Nachkommen der Getöteten wird die Dokumentation allerdings so nicht gerecht." Dies wiederum versucht Oppenheimer nun mit seinem Nachfolgefilm, in dem die Familie eines der Opfer des Massakers von damals zum Fokus wird.

Zwei Jahre bevor er gezeugt wurde, verloren die Eltern von Adi ihren Sohn Ramli in jenem Massaker. "Kommunisten sind grausam", lernt Adis Sohn von seinem Schullehrer. "Es sind alles Lügen", klärt der Vater den Sohn auf. Und macht sich infolgedessen selbst daran, die Wahrheit aus dem Mund der Lügner zu hören. Immer wieder sehen wir Adi, wie er sich auf einem Fernseher Szenen aus THE ACT OF KILLING ansieht, in denen die Täter ihren Mord an Ramli beschreiben. Am Tatort, wo sie ihm den Penis abschnitten und Ramli später zerstückelten. Im Verlauf des Films besucht Adi selbst all jene Orte, an denen der Bruder, den er nie gekannt hat, sein Martyrium erlitt. Darunter teils mit einem Überlebenden der damaligen Massaker, der sich in letzter Minute retten konnte. "Ich will mich nicht erinnern", sagt dieser. "Das würde nur Ärger heraufbeschwören." Schließlich leben die Täter weiterhin unter ihnen.

Wenn sie den Mördern ihres Sohnes im Dorf begegnet, sprechen sie nicht miteinander, erzählt die Mutter von Adi und Ramli. Es mache keinen Sinn sich jetzt aufzuregen, die Täter, ist sie sicher, würden im Jenseits büßen. Zugleich betet sie aber, dass auch "die Kinder und Enkel der Täter büßen werden" - selbst wenn die mit dem Massaker von damals nichts zu tun haben. Adi wird im letzten Akt der Dokumentation später selbst einigen Nachfahren des Mörders seines Bruders gegenübersitzen. Die wiederum wollen nicht mit den Taten ihrer Väter konfrontiert werden. "Das Vergangene ist vergangen" hört Adi immer wieder. Von den Tätern, von deren Nachfahren, sogar von eigenen Verwandten wie seinem Onkel, der einst als Gefängniswärter über die Kommunisten wachte, vom Massenmord an diesen jedoch nichts geahnt haben will.

Wer alt genug ist, dass er Großeltern hat, die während der NS-Zeit lebten, dem dürften Adis Erlebnisse bekannt vorkommen. Über die Gräueltaten, die einst geschahen, will keiner reden. Mitbekommen hat niemand etwas und die, die es taten, hatten keine Wahl. "Keiner fühlt sich verantwortlich" merkt auch Adi im Gespräch mit den Tätern, die auf die Regierung oder eine Befehlskette verweisen. "Einige haben so viele Menschen getötet, dass sie wahnsinnig wurden", weiß einer der Mörder. Das Einzige was half, war, das Blut der Opfer zu trinken. Salzig und süß sei es gewesen, sinniert der Täter, während Adi ihm mit konsterniertem Blick zuhört. Der titelgebende Blick des Schweigens findet sich unterdessen nicht nur bei Adi - und vermutlich dem Zuschauer -, sondern auch bei seinen Gesprächspartnern, wenn er ihnen Fragen zu ihren Motiven und Gefühlen bezüglich ihrer Taten stellt.

Das wiederum, kommt bei den wenigsten gut an. Einer der Mörder echauffiert sich daher, dass Adi "weitaus tiefgründigere Fragen" stelle "als Joshua [Oppenheimer] es je getan hat". Und in der Tat stellt Adi den Tätern all jene Fragen, die sich Oppenheimer in THE ACT OF KILLING gespart hat. Was damals noch irritierte, kriegt nunmehr womöglich eine Erklärung, sieht man doch, wie Adis Gegenüber immer wieder Abblocken auf seine Fragen. Vielleicht ließ Oppenheimer also die Massenmörder deshalb in seinem Vorgängerfilm einfach drauflos labern, um mit derart duckmäuserischem Gehabe die ungeschminkte Wahrheit auf Band zu haben, mit der Adi dann als Basis für die "Fortsetzung" arbeiten kann. Allerdings haben die Täter auch so wenig Probleme, einem Familienmitglied direkt zu berichten, wie man dessen Verwandten seinerzeit verunstaltet und malträtiert hat.

Insofern macht der Film den Vorgänger fast obsolet, degradiert diesen zumindest zu einem Feature auf Spielfilmlänge, das als Stichwortgeber in diesem Teil weitaus besser funktioniert als für sich betrachtet. THE LOOK OF SILENCE ist das beste zweier Welten: die Berichte der Täter kombiniert mit der Reaktion der Opfer. Entsprechend muss man THE ACT OF KILLING nicht gesehen haben, um dieser Dokumentation folgen zu können. Und so erschütternd das Gezeigte auch ist - hinein ins Persönliche reichend, wenn Adis über 100-jähriger, fast tauber und blinder Vater seiner Demenz verfällt -, weiß Oppenheimer bisweilen die Stimmung aufzulockern, indem er Adi mit seiner unbeschwerten Tochter zeigt. Sie weiß, ähnlich wie die erwachsene Tochter eines Täters später, scheinbar nichts von den mörderischen Umständen von 1965/66. Doch wenn THE LOOK OF SILENCE etwas zeigt, dann, dass das Vergangene nicht vergangen ist - zumindest für die Opfer.











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