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LOCKOUT (Frankreich/USA 2012)

von Andreas Günther

Original Titel. LOCKOUT
Laufzeit in Minuten. 95

Regie. STEPHEN ST. LEGER . JAMES MATHER
Drehbuch. LUC BESSON . STEPHEN ST. LEGER . JAMES MATHER
Musik. ALEXANDRE AZARIA
Kamera. JAMES MATHER
Schnitt. CAMILLE DELAMARRE . EAMONN POWER
Darsteller. GUY PEARCE . MAGGIE GRACE . PETER STORMARE . VINCENT REGAN u.a.

Review Datum. 2012-05-09
Kinostart Deutschland. 2012-05-10

Im Lichtspielhaus müssen die Augen des Öfteren leiden - auf und vor der Leinwand. Die Surrealisten Dalí und Buñuel zeigten den Moment, in dem ein Auge mit dem Rasiermesser zerschnitten wird. Und kürzlich erinnerte der aufwendige "Kinderfilm" HUGO CABRET von Martin Scorsese daran, dass Filmpionier Georges Méliès um 1900 eine Mondrakte wie ein Geschoß in das Auge des Mannes im Mond fliegen ließ, der daraufhin Tränen des Schmerzes vergießt. Scorseses jugendliche Darsteller sollen darüber lachen. Ihr Unbehangen ist indes deutlich spürbar. Originell, aber ähnlich verharmlosend zitieren die Regisseure Stephen St. Leger und James Mather Méliès in LOCKOUT.

Snow (Guy Pearce), ein ehemaliger Geheimagent, der für ein Himmelfahrts-kommando engagiert wurde, muss in einem Hochsicherheitsgefängnis im Weltraum die tödlich verletzte Präsidententochter Emilie (Maggie Grace) reanimieren: Mit einer Spritze, deren Inhalt er ihr durch die Pupille injiziert. Eine Attacke, wenngleich in kurativer Absicht. Sie gilt dem Sehorgan und der Seele dahinter. "Saint & Mather", wie die Macher von Lockout auch firmieren, die mit ihrem Produzenten Luc Besson zusammen zudem das Drehbuch verfassten, packen in eine visuelle Formel, was diesen Science-Fiction-Actionfilm so faszinierend und abstoßend zugleich erscheinen lässt: Der Traum, mit einem gewalttätigen Akt die Gewalt und ihre Folgen zu neutralisieren.

Die USA des Jahres 2079 realisieren diesen Traum mit einem vermeintlich ausbruchssicheren Gefängnis im Orbit. Das Böse wird von der Welt ausgeschlossen, wie der Filmtitel LOCKOUTsagt. 50 Meilen von der Erde entfernt sind in MS One 500 Schwerstverbrecher in Tiefschlaf versetzt. In dieser Lage werden sie für Experimente missbraucht. Präsidententochter Emilie bekommt davon Wind und begibt sich zu einer geheimen humanitären Mission ins All. Durch den Fehler eines übereifrigen Leibwächters bekommt der psychopathische Killer Hydell (Joseph Gilgun) eine Waffe in die Hände und weckt mit dem Umlegen eines Schalters im Kontrollraum seine Mitgefangenen aus dem Schlummer. Innerhalb kürzester Zeit kommt es zu einer blutigen Meuterei unter der Führung von Hydells Bruder Alex (Vincent Regan). Emilie wird als Geisel genommen.

Wie um das Feuer mit dem Feuer, den Teufel mit dem Belzebub auszutreiben, wird Snow, den man für einen Mörder und Vaterlandsverräter hält, mit Emilies Rettung beauftragt. LOCKOUT mit seiner düsteren Farbpalette aus Blau, Schwarz und schmutzigem Braun erhält mit dem moralisch hoch ambivalenten Muskelmann und treffsicheren Schützen Snow den zwielichtigen Helden, der diesem Neo-Noir sein Zentrum gibt. Guy Pearce genießt es sichtlich, Snow nicht nur als Kampfmaschine zu zeigen, sondern ihm auch einen somnambulen Charme zu verleihen: Bis zum Bersten energiegeladen und gleichzeitig auf melancholisch Art unendlich müde, obendrein ebenso zynisch wie empfindsam, brutal und auf lakonische Weise eloquent. Ein Bogart für das 21. Jahrhundert.

Fast aus dem Stand kommt LOCKOUT auf hohe Drehzahlen, spuckt Blei aus allen Rohren. Den Tötungsdelikten der Meuterer pflegen quälende Verzögerungen vorauszugehen. Immerhin, ein bisschen Stoff zum Nachdenken wird auch angeboten. Das Böse in Quarantäne schicken zu wollen, lautet das Fazit, setzt höchstens eine neue Pest in die Welt. Und sind Hydell und Alex nicht deshalb so grausam, weil sie versehrt sind von dem, was sie gesehen haben? Hydells rechtes Auge ist erblindet, über und unter dem von Alex verläuft ein Schnitt. Mit seinem Irokesenschnitt, dem nackten Oberkörper und dem riesigen Revolver ähnelt Hydell aufs Haar dem TAXI DRIVER Travis Bickle. Es ist, als ob die Meuterer die Gewaltphantasien repräsentierten, die in unseren Köpfen herumspuken. Dass sie prinzipiell in jedem von uns auch zum Ausbruch kommen könnten, soll die scheinbare Beiläufigkeit zeigen, mit der Alex durch eine äußerst subtile Schauspielerführung wie ein ganz gewöhnlicher Gefangener unter vielen eingeführt wird, ehe er sich als Anführer des Aufstands profiliert.

Mit nur 20 Millionen Dollar Budget entfesselt LOCKOUT eine rasant choreographierte Weltraum-Schlacht gegen das Böse. Im Gedächtnis bleiben wird das Spektakel aber wohl nur durch seine Hypothese, dass es Bilder der Gewalt sind, die Gewalt hervorrufen. Solche wie in LOCKOUT hoffentlich nicht.











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