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KNIGHT OF CUPS (USA 2015)

von Andreas Günther

Original Titel. KNIGHT OF CUPS
Laufzeit in Minuten. 117

Regie. TERRENCE MALICK
Drehbuch. TERRENCE MALICK
Musik. HANAN TOWNSHEND
Kamera. EMMANUEL LUBEZKI
Schnitt. GEOFFREY RICHMAN . KEITH FRAASE . A.J. EDWARDS
Darsteller. CHRISTIAN BALE . CATE BLANCHETT . NATHALIE PORTMAN . BRIAN DENNEHY u.a.

Review Datum. 2015-09-18
Kinostart Deutschland. 2015-09-10

Natürlich ist KNIGHT OF CUPS nicht zugänglicher als die letzten beiden Filme von Terrence Malick. Aber was ist anderes zu erwarten von dem wahrscheinlich einzigen aktiven Filmemacher auf der Welt, der bei dem ebenso komplexen wie umstrittenen Existenzphilosophen Martin Heidegger studierte und einen seiner zentralen Aufsätze aus dem Deutschen ins Amerikanische übersetzte? Die sinnliche und trotzdem bis zur Abstraktion verdichtete Bewusstseinsreise von KNIGHT OF CUPS anzuschauen bedarf nicht weniger Geduld und Konzentration als die Lektüre eines anspruchsvollen philosophischen Textes. Und kann ebenso lohnend sein. Obwohl die Präsenz der Hollywood-Stars darin glauben macht, es handle sich um sich selbsterklärende Unterhaltungsware.

"Du wolltest immer anderswohin", beklagt sich die Ärztin Nancy (Cate Blanchett) über ihren Ex-Mann, der nicht bei ihr bleiben kann. "Der Geist ist eine Bühne", behauptet ausgerechnet Karen (Teresa Palmer), eine Table-Dancerin. Diese beiden Statements in KNIGHT OF CUPS bezeichnen die Spanne, in der sich der Film entfaltet. THE TREE OF LIFE balancierte ein Familiendrama mit nichts weniger als der Erdgeschichte aus. TO THE WONDER zeigte die USA als wüstes Land, heimgesucht von Lieblosigkeit, Umweltverseuchung, materiellem Ruin und nicht nur metaphysischer Obdachlosigkeit. Die Linie, die die beiden Filme verbindet, führt vom Makrokosmos zum Mikrokosmos. Sie setzt sich in KNIGHTS OF CUPS in die Introspektion eines Einzelwesens hinein fort, das ständig eine neue Erlebniswelt sucht und sich stets im eigenen mentalen Käfig wiederfindet.

Im Mittelpunkt steht Ricki (Christian Bale), Drehbuchautor in Hollywood. Aber keine Angst, KNIGHTS OF CUPS gehört nicht zu den larmoyanten Traumfabrik-Studien, die die kreativen Köpfe als frustrierte Alkoholiker im unerbittlichen Produktionsgetriebe zeigen. Für Ricki läuft alles gut, selbst wenn es ihm schlecht geht. "Den Auftrag, den du nicht hinbekommen hast, vergessen wir einfach", sagt sein Agent in einer Szene. "Die Schreiberlinge prügeln sich um Jobs, aber du hast ihn, er will nur dich", sagt ein Produzent in Anspielung auf einen Comedy Star und hält ihm eine Tüte mit Geld hin. "Das hab'ich jetzt nicht gesehen", sagt der Agent. Nach einem kleinen Erdbeben, wie sie eben in Kalifornien aufzutreten pflegen, und während die Plünderer noch in seiner Wohnung sind und ihn mit vorgehaltener Waffe bedrohen, blickt Ricki auf seinen Schreibtisch mit den verstreuten Manuskriptseiten, als gehöre er einem ganz anderen Menschen.
Diese Distanz kann, muss aber nicht der Moment markieren, in dem Rickis assoziative Reflexion seines Lebens beginnt. Er verdammt es aus dem Off in ebenso entschiedenen wie banalen Worten, während Emmanuel Lubezki es mit einer sanft gleitenden Kamera durchfährt. Bei der flippigen Della (Imogen Pooths) sucht Ricki neue Impulse. Nancy macht Ricki in die Kamera hinein Vorhaltungen über den Verlauf ihrer Ehe. Die verheiratete Elizabeth (Nathalie Portman) beginnt mit ihm eine Affäre. Ricki treibt durch eine Party, ein sonnenheller Alptraum der Protzerei, der makellosen Schönheit und dekadenten Spielchen, auf der der Playboy Tonio (Antonio Banderas) den großen Zampano macht. Das Fotomodell Helen (Freida Pinto) will ihn nur als Freund. In einem paradisischen Garten in Beverly Hills erzählt ihm ein Multimillionär nüchtern und schmunzelnd von Erleuchtungsmomenten in einem tibetanischen Kloster. Zwischen Obdachlosen begegnet er seinem Bruder Barry (Wes Bentley), der als Streetworker arbeitet. Gesprächsthema ist der tote Bruder.

Wenn ihr Vater Joseph (Brian Dennehy) auftaucht, gleitet dem Zuschauer der naturalistische Boden weg, stellt sich die Erkenntnis ein, dass alles - oder zumindest vieles - nicht sein kann. Der Vater sitzt in einem Büro zwischen lauter leeren Büros, dann in einem musealen Wohnzimmer. Schon die Szene mit dem Agenten und dem Produzenten, die mit Ricki durch eine ausgestorbene Kulissenstadt streifen, hat befremdlich gewirkt. Nancy ist das erste Mal auf den Stufen einer jener Kulissen zu sehen, an einem Ort, wo sie wahrscheinlich nie gwesen ist. Der Appartmenent-Komplex, in dem Ricki wohnt, ähnelt verblüffend den Gebäuden auf dem Studiogelände. Mentale Bilder ersetzen die der Wirklichkeit, das seelische Innen besetzt das Außen,verwandelt es in Projektion. Die seltsam entrückte Haltung, die Ricki meist einnimmt, entlarvt ihn als Fremdkörper in seinen eigenen geistigen Konstrukionen.

Der Titel KNIGHT OF CUPS geht, wie durch Rickis Besuch bei einer Wahrsagerin erhellt wird, auf eine Tarotkarte selbigen Namens zurück. Der 'Ritter der Kelche' ist einer, der liebenswert, intelligent und voller hoher Ideale ist, aber auch leicht entmutigt und manipuliert werden kann. Seine Kehrseite sind Unzuverlässigkeit, Rücksichtslosigkeit und die Unfähigkeit, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Der Film zieht in Rickis Bewusstssein hinein, dem die Kategorien Echt und Falsch abhanden gekommen sind. Es zieht auf immer denselben Bahnen seine Kreise. Die sich wiederholenden Gesten und Gebärden zwischen ihm und den Frauen, die wiederkehrende Choreographie des Aueinanderzulaufens, Umarmens, Nachjagens und Ausweichens sind ebenso wie die Impressionen bombastischer Popkonzerte die symbolistischen Metaphern für das immer gleich verlaufende Begehen nach dem Unmittelbaren, das sich nie erfüllen will. Dass Malick die Darsteller improvisieren ließ, ist dazu kein Widerspruch, sondern beweist, wie begrenzt auch die Kraft der Spontaneität ist, wirklich Neues zu entdecken.

Ben Kingsley liest in KNIGHTS OF CUPS sakrale, literarische und philosophische Prosa aus dem Off. Aber am meisten arbeitet sich Malick am Ich-bezogenen Stationendrama aus dem Theater des 19. Jahrhunderts ab. Er dekonstruiert es. Während August Strindberg in dem Stück 'Nach Damaskus' seinen Sünder auf dem Hochgebirgsweg büßen und bei einem so genannten Konfessor Halt finden lässt, ist Ricki ratlos zwischen den Felsen an einem Highway sich selbst überlassen. Durch Fälschung einer Erinnerung gibt er sich zumindest das Gefühl der Erlösung, die einen Neuanfang verspricht. Mag sein, dass KNIGHTS OF CUPS wie ein Versuch wirkt, 81/2, Fellinis Meisterwerk einer Schaffenskrise im Filmgeschäft, einzuholen. Aber während Fellinis Figuren der Trost einer bizarren, aus dem Unbewussten auftsteigenden Phantasie zuteil wird, insistiert Malick in Antithese dazu nicht weniger meisterlich auf der spirituellen Verödung des Menschen, deren Kennzeichen hilfloser Selbstbetrug und quälende Redundanz sind. Voraussischtlich nächstes oder übernächstes Jahr wird sich zeigen, ob und wie das 'Untitled Terrence Malick Project', das back-to-back mit KNIGHT OF CUPS entstand, daran anschließt.











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