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THE KILLING OF A SACRED DEER (Irland/Großbritannien 2017)

von André Becker

Original Titel. THE KILLING OF A SACRED DEER
Laufzeit in Minuten. 121

Regie. YORGOS LANTHIMOS
Drehbuch. YORGOS LANTHIMOS . EFTHYMIS FILIPPOU
Musik. JOHNNY BURN
Kamera. THIMIOS BAKATAKIS
Schnitt. YORGOS MAVROPSARIDIS
Darsteller. COLIN FARRELL . NICOLE KIDMAN . BARRY KEOGHAN . ALICIA SILVERSTONE u.a.

Review Datum. 2017-12-27
Kinostart Deutschland. 2017-12-28

Yorgos Lanthimos ist eine Provokation. Seine Filme sind sperrig, verstörend und angsteinflößend präzise in der Schilderung menschlicher Abgründe. Von der Kritik gibt es dafür überschwängliche Lobeshymnen, das Publikum ist hingegen überfordert. Zumindest ließe sich die Entscheidung des Verleihs Lanthimos letzten Film THE LOBSTER nicht in die deutschen Kinos zu bringen so deuten. Eine Entscheidung die später wieder rückgängig gemacht wurde, denn die morbide Satire kam letztlich doch noch auf die große Leinwand, wenn auch in einer eher überschaubaren Anzahl von Kopien.

Nun also THE KILLING OF A SACRED DEER. Eine sehr bittere Familientragödie, die, wie eigentlich alle Filme des griechischen Regisseurs, jedes noch so groteske Detail der Handlung mit eiskalter Wucht und ohne Rücksicht auf Verluste in die Richtung seiner Rezipienten schleudert. Nein, das ist definitiv keine leichte Kost, wie von Lanthimos gewohnt jedoch eine Erfahrung, die man nicht so schnell vergisst. Wie bei seinem frühen Werk DOGTOOTH erzählt Lanthimos vom Niedergang einer (diesmal in der Oberschicht verorteten) Familie. Der Bruch mit dem Normalzustand, die grauenvolle Abweichung vom Status quo geschieht hier auf leise, aber nachdrückliche Weise. Lange belässt es Lanthimos bei Andeutungen, bei subtilen Hinweisen, dass die ganz große Tragödie unmittelbar bevorsteht. Nichtsdestotrotz ist glasklar: Einen Ausweg gibt es nicht. Der Abgrund, der sich vor dem Ärzteehepaar Steven und Anna Murphy (Colin Farrell, Nicole Kidman) und ihren zwei Kindern auftut, ist schier bodenlos.

Zentraler Einflussfaktor ist ein pickliger Jugendlicher mit Namen Martin (grandios verkörpert von Barry Keoghan), dessen Schicksal mit dem des Familienvaters verknüpft ist. Ein Ereignis aus der Vergangenheit ist dabei der Schlüssel. Ein Ereignis dass Steven verzweifelt versucht wieder zu kitten. Doch alle großzügigen Geschenke (eine teure Uhr etc.) und alle noch so wohlwollenden Einladungen ins Haus der Murphys nutzen nichts. Das Unheil nimmt seinen Lauf. Steven wird schließlich von Martin vor die Wahl gestellt. Um seine Familie zu retten soll er eine unaussprechliche Tat begehen.

Yorgos Lanthimos zeigt uns eine fast gänzlich emotionslose Welt, die nicht nur in den vielen Szenen in einem nahezu menschenleeren Krankenhaus klinisch kalt wirkt. Gefühlsäußerungen und körperliche Nähe werden hier stets als meist stark von der Norm abweichend dargestellt. Leer und entgrenzt. Passiv der Geschlechtsverkehr der Eheleute, emotional diffus die Eltern-Kind-Beziehung. Unvereinbar die Lebenswelten (besonders von Martin und Steven). Noch gnadenloser sind allerdings die Figuren selbst skizziert. Martin kommen so beiläufig wahrlich markerschütternde Sätze über die Lippen, dass es einen fröstelt. Und wenn Steven in einer kurzen Szene ein Erlebnis aus seiner Kindheit vorträgt trifft einen die Bandbreite des Gesagten wie ein heftiger Schlag in die Magengrube.

Das wahre Monster in dieser zutiefst bedrückenden Geschichte um Schuld und Sühne ist die Hilflosigkeit, die von allen erwachsenen Figuren Besitz ergreift. Wenn sich Steven irgendwann nur noch mit roher Gewalt zu helfen weiß, ist deutlich dass Lanthimos die vermeintliche Stärke dieses Patriarchaten als Schwäche umdeutet und so die noch immer sehr präsenten Machtmechanismen in traditionellen Familienmodellen unter das Brennglas legt. Die Kinder der Murphys versieht der Regisseur wiederum mit stark ausbuchstabierten Symbolen grenzenloser Unschuld. Insofern verweist der Film ebenso auf die ganz großen Fragen im Zusammenhang mit dem, was Kindheit/Jugend und was Erwachsensein eigentlich ausmacht. Das Ende der Unschuld bleibt somit keine bloße sozialisatorische Möglichkeit, sondern wird von Lanthimos als unumstößliche Folge des Alterns vermittelt. Eine zutiefst bittere Erkenntnis, für die der Autorenfilmer angemessen rücksichtslose Bilder findet, die in ihrer nüchternen Darstellungsweise an die alptraumhaften Gesellschaftsbetrachtungen eines Michael Haneke erinnern.

THE KILLING OF A SACRED DEER endet mit einem eindrücklichen Schluss, der so konsequent wie möglich ausfällt. Ein echter Lanthimos also. Ein Film, der so gekonnt Psychothriller, Familienportrait und Parabel miteinander in Einklang bringt, dass das Ergebnis gleichermaßen faszinierend und atemberaubend ist. Ein wahrhaftiges Meisterwerk, dass nachhaltig unter Beweis stellt, warum Yorgos Lanthimos einer der interessantesten Filmemacher unser Zeit ist.











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