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KAPITELWAHL

DOGTOOTH (Griechenland 2009)

von André Becker

Original Titel. KYNODONTAS
Laufzeit in Minuten. 93

Regie. GIORGOS LANTHIMOS
Drehbuch. GIORGOS LANTHIMOS
Musik. LEANDROS DOUNISL
Kamera. THIMIOS BAKATAKIS
Schnitt. YORGOS MAVROPSARIDIS
Darsteller. AGGELIKI PAPOULIA . MARY TSONI . HRISTOS PASSALIS . CHRISTOS STERIGIOGLOU u.a.

Review Datum. 2011-10-19
Erscheinungsdatum. 2011-04-15
Vertrieb. I-ON NEW MEDIA

Bildformat. 2.35:1 (anamorph)
Tonformat. DEUTSCH (DD 5.1) . GRIECHISCH (DD 5.1)
Untertitel. DEUTSCH
Norm. PAL
Regional Code. 2

FILM.
Die Abweichung von der Norm ist seit jeher ein beliebtes und in allen nur erdenklichen Varianten durchexerziertes Thema innerhalb der postmodernen Kulturgeschichte. Die zugrunde liegende Prämisse postuliert neben dem Vorhandensein allgemein anerkannter Wertvorstellungen im besonderen Maß den schicht- und milieuübergreifenden Konsens über die Funktionsweise von Institutionen. DOGTOOTH widmet sich einer der wohl zentralsten Institutionen unserer Gesellschaft: Der Familie.

Im Kern erzählt die oscarnominierte griechische Produktion eine klassische Coming-of-age Geschichte. Es geht um jugendliche Rebellion, das Aufkeimen der Sexualität und weitere Schlüsselthemen der Jugendphase. Der Film konzentriert sich dabei auf einen sehr kurzen Zeitabschnitt innerhalb der Adoleszenz seiner Hauptprotagonisten. Auf den ersten Blick wirken die zentralen Figuren dabei noch völlig normal. Die drei namenlosen Geschwister, die im Zentrum der Handlung stehen, entsprechen allerdings nur rein äußerlich dem vorherrschenden Typus heranwachsender junger Erwachsener. Sie leben komplett von der Außenwelt isoliert in einem großen Anwesen irgendwo in der griechischen Einöde. Die Eltern haben im Laufe der Jahre ein ungemein durchdachtes Lügengerüst aufgebaut, mit dem sie ihre Kinder an das Elternhaus binden und sie mit allen daraus erwachsenen Konsequenzen in dem Mikrokosmos der eigenen Weltvorstellungen halten. Da wird die Katze zum gefährlichsten und Menschen fressenden Raubtier und die Welt außerhalb des Grundstücks als lebensgefährlichen Ort dargestellt. Darüber hinaus werden Begriffe in ihrer inhaltlichen Bedeutung verändert (das weibliche Geschlechtsorgan wird beispielsweise als Tastatur bezeichnet) und Aufkleber als Belohnungsform etabliert. Regisseur Giorgos Lanthimos schildert all dies sehr nüchtern und ohne stilistische Spielereien. DOGTOOTH ist daher auch ein sehr minimalistischer Film, dem es nicht primär um Unterhaltung geht, sondern vielmehr um die Auseinadersetzung mit einem Thema.

Welche Konstanten dominieren die menschliche Entwicklung und inwiefern lassen sie sich durch gezielte sozialisatorische Einwirkungen beeinflussen? Wann beginnt die Hinterfragung der Verhältnisse, wenn es keine erlebten Alternativen gibt? Diese Fragen durchziehen den Film als roten Faden. DOGTOOTH wählt dabei den Weg diese Fragen im Raum stehen zu lassen. Das Fehlen konkreter Anhaltspunkte für das Verhalten der Eltern unterstreicht dabei exemplarisch die Verweigerungshaltung des Regisseurs auf halbwegs befriedigende Antworten komplett zu verzichten. Der Film wird dadurch phasenweise sehr undurchsichtig und letztlich indifferent. Das liegt vorwiegend daran dass zahlreiche Gegebenheiten im Film vollkommen kontextfrei als Fakten dargestellt werden. Das Aufbegehren respektive die Rebellion gegen die patriarchalische Unterdrückung, zu der es - so suggeriert es zumindest der Film- letzten Endes unweigerlich kommt, wird beispielsweise gezeigt ohne auch nur im Ansatz eine dahingehende Entwicklung nachzuzeichnen. Das gleiche gilt für das Aufleben der Sexualität, dass im letzen Drittel eine gewichtige Rolle spielt und den Handlungsverlauf entscheidend vorantreibt. Seltsam unzureichend wird dieses, für den Film doch sehr zentrale Thema, in die narrative Ebene eingespeist. Insgesamt gesehen wird speziell die Gefühlswelt der Akteure nicht ausreichend beleuchtet, so dass die Figuren fast unmenschlich wirken. Ob dies intendiert war, ist natürlich eine andere Frage, aber DOGTOOTH erschwert es dadurch sich als Zuschauer den Protagonisten in irgendeiner Weise zu nähern und das Gezeigte zu verarbeiten und nachzuvollziehen.

Der Film wird insofern auch eher durch die Herangehensweise an die Thematik interessant und nicht durch die involvierten Charaktere. Das ist schade, denn einzelne Szenen zeigen, dass Regisseur Lanthimos es sehr wohl versteht Einblicke in das emotionale Befinden seiner Figuren zu geben. Diese kurzen Sequenzen sind die großen Stärken des preisgekrönten Films. Sie durchbrechen die ansonsten fast schon statischen und sehr zurückhaltend gefilmten Einstellungen und erzielen dadurch eine umso effizientere Wirkung. Letztlich bleibt das Gefühl einen zutiefst verstörenden, mitunter recht anstrengenden Film gesehen zu haben.

DOGTOOTH ist schwere Kost und ohne Frage nicht als kurzweilige Unterhaltung für zwischendurch geeignet. Lanthimos konfrontiert den Zuschauer mit unbequemen und komplexen Fragestellungen, die sich mit Sicherheit nicht jeder stellen möchte. Man sollte sich jedoch nicht davon abschrecken lassen und die Auseinadersetzung mit diesen Fragen wagen und sich auf die eigenwillige Inszenierung des Griechen einlassen. Auch wenn einige inszenatorische und inhaltliche Aspekte die Konsumierbarkeit erschweren, ist DOGTOOTH doch im Endeffekt ein sehenswerter und intellektuell fordernder Film, der die Entdeckung lohnt.

DVD.
Die Veröffentlichung von Störkanal ist erneut ziemlich vorbildlich. Das gesamte Artwork ist wieder ziemlich phantastisch und das schicke und angemessen dicke Booklet gibt einen aufschlussreichen Blick auf den Film und ist sowohl optisch, als auch vom Inhalt her, sehr gelungen. Bild- und Tonqualität sind auch soweit ganz ordentlich geworden. Eine kleine Enttäuschung ist dagegen die, leider doch arg unprofessionelle, Synchronisation. Davon abgesehen aber eine gelungene DVD-Präsentation.








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