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KEINE ZEIT ZU STERBEN (Großbritannien/USA 2020)

von André Becker

Original Titel. NO TIME TO DIE
Laufzeit in Minuten. 163

Regie. CARY JOJI FUKUNAGA
Drehbuch. NEAL PURVIS . CARY JOJI FUKUNAGA . PHOEBE WALLER-BRIDGE
Musik. HANS ZIMMER
Kamera. LINUS SANDGREN
Schnitt. TOM CROSS . ELLIOT GRAHAM
Darsteller. DANIEL CRAIG . RAMI MALEK . LEA SEYDOUX . CHRISTOPH WALTZ u.a.

Review Datum. 2021-09-29
Kinostart Deutschland. 2021-09-30

Der neue Bond ist da. Nicht als digitaler Download und auch nicht als Exklusiv-Titel auf irgendwelchen Streaming-Portalen, sondern als echtes Kino-Ereignis, dass der mittlerweile arg gebeutelten Filmkultur ein wenig Aufwind verschaffen soll. Die Erwartungen an das neueste Bond-Abenteuer könnten insofern kaum größer sein. Zwar spülen mittlerweile wieder einzelne Filme ordentlich Geld in die Kassen der Kinobetreiber (der neue DUNE entwickelt sich gerade zum Hit), die Marke Bond nimmt dennoch nach wie vor eine besondere Stellung ein. Kaum ein Event-Film wurde pandemiebedingt häufiger verschoben. Bei keiner anderen Produktion waren die Beteuerungen größer, dass an einem Kino-Start mit allem Pipapo kein Weg vorbeiführt.

Ähnlich wie TENET gilt KEINE ZEIT ZU STERBEN als potentieller Heilsbringer, der zeigen soll, dass sich Kino (zumindest wirtschaftlich gesehen) wieder lohnt. Ob das klappt weiß natürlich noch keiner, aber verglichen mit Christopher Nolans Thriller-Spektakel sind zumindest die Rahmenbedingungen (sprich: die Entwicklung der Pandemie) vorteilhafter und dürften es begünstigen, dass wieder mehr Personen ihr Ticket an der Kinokasse lösen. Hinzu kommt, dass der Name Bond seit Jahrzehnten für volle Kinos sorgt und kaum ein anderes Franchise so gut an den jeweiligen Zeitgeist und den Geschmack der breiten Masse angepasst wurde. Die Marke Bond funktioniert einfach. Auf diese simple Erkenntnis muss man es wohl herunterbrechen.

Nach dem letzten Bond-Film SPECTRE gab es allerdings auch vermehrt Gegenwind. In zahlreichen Reviews hagelte es Kritik und von Zuschauerseite kamen ebenfalls Klagen über die (sehr) offensichtlichen Mängel bei Drehbuch, Dramaturgie und filmischer Gestaltung. Ein Film, der viel zu oft mit aufgemotzten Greenscreen-Szenen prahlte und sich mit einer erschreckenden Verlässlichkeit in einem Dschungel unnötiger Nebenplots und überflüssiger Füllszenen verlor. Insgesamt war dieser Bond trotz einzelner Highlights vor allem eins: belanglose Blockbuster-Ware, die man kurz nach dem Abspann schon wieder komplett vergessen hat. Aus den Augen aus dem Sinn. KEINE ZEIT ZU STERBEN muss also ebenso ein wenig Gutmachung leisten für den misslungenen Vorgänger. Und dass der Film Daniel Craigs definitiv letzte Bond-Rolle sein soll, erhöht den Druck natürlich auch noch mal. Wenn schon gehen, dann mit einem Knall.

KEINE ZEIT ZU STERBEN knüpft dabei handlungsseitig direkt an den Vorgänger aus dem Jahr 2015 an und führt die darin begonnene Story ohne große Umschweife fort. Bond hat den britischen Geheimdienst hinter sich gelassen und versucht in Italien zusammen mit seiner Freundin Madeleine Swann (Léa Seydoux) Abstand vom Agentendasein zu gewinnen. Wirklich zur Ruhe kommt der Ex-Agent jedoch nicht, denn am Grab von Vesper Lynd (siehe Eva Greens Rolle in CASINO ROYALE) wird er von Schergen der Organisation Spectre angegriffen. Zwar können Bond und Swann entkommen, das einst stählerne Band zwischen den Liebenden scheint allerdings für immer durchschnitten. Bond wittert Verrat und setzt seine tief erschütterte Freundin in einen Zug, der sie außer Landes schaffen soll.

Bond selbst flieht nach Jamaika, wo er hofft endlich Frieden zu finden. Auch hier dauert es allerdings nicht allzu lange bis ihn seine Vergangenheit einholt. The past isn't dead, wie es so schön an einer prominenten Stelle des Films heißt. Diesmal sind es jedoch keine Auftragskiller, sondern ein guter Freund, der ihn an alte Pflichten erinnert. Eines Tages steht der CIA-Mitarbeiter Felix Leiter vor der Tür und bittet ihn um Hilfe. Aus einem englischen Labor für Geheimwaffen wurde tödliches Wissen gestohlen, das von einem mysteriösen Schurken (Rami Malek als Lyutsifer Safin) für sinistre Zwecke genutzt werden soll. Eine erste Spur führt Bond dabei zu seinem Widersacher Blofeld (Christoph Waltz), der zwar in einem Hochsicherheitsgefängnis sitzt, von dort aber dennoch Anschläge organisiert.

Als Regisseur für den 25. Bond konnte das Studio MGM den Amerikaner Cary Joji Fukunaga verpflichten. Eine Entscheidung, die zunächst gemischte Gefühle hervorrief. Fukunaga ist zweifellos ein begnadeter Autor und mit der ersten Staffel von TRUE DETECTIVE geht eine der besten Serien der letzten zehn Jahre auf sein Konto. Nach diesem Höhenflug folgte mit der Netflix-Miniserie MANIAC allerdings eine ziemliche Bauchlandung. Bei den Drehbuchautoren mischt sich Vorfreude ebenfalls mit Skepsis. Einerseits wurde mit Phoebe Waller-Bridge (FLEABAG, KILLING EVE) eine begnadete Autorin an Bord geholt, anderseits schrieben am Drehbuch drei weitere Personen mit. Das Waller-Bridge hier für wirklich echte, neue Perspektiven sorgt und beispielsweise heiße Eisen wie die nach wie vor latente Misogynie in den Bond-Werken angeht, durfte jedenfalls mehr oder minder bezweifelt werden.

Aber genug mit dem Vorgeplänkel. Was kann er denn nun, der letzte Daniel-Craig-Bond? Die gute Nachricht zuerst: KEINE ZEIT ZU STERBEN ist definitiv besser als SPECTRE. Und das in allen Belangen. Cary Joji Fukunaga hat die Inszenierung einfach wesentlich routinierter im Griff als Sam Mendes (1917) und weiß vor allem die epische Laufzeit meist mit dem nötigen Augenmaß zu nutzen. Das Fukunaga hier gekonnter inszeniert als Mendes heißt jedoch nicht, dass er den Film ohne Blessuren über die Bühne bringt. Ausgerechnet das Drehbuch offenbart immer wieder erschreckende Defizite. Figuren werden eingeführt und verschwinden wieder, ohne dass eine irgendwie erkennbare Relevanz für den Story-Verlauf vorliegt (besonders deutlich beim Auftritt von Ana de Armas), Sub-Plots dümpeln ziellos vor sich hin und dienen allerhöchstens den Location-Wechseln und einzelne Dialoge laufen schlichtweg ins Nichts (die sonst so bissigen Dialog-Duelle aus der Feder von Phoebe Waller-Bridge sucht man hier vergebens).

Hinzu kommt, das einzelne dramaturgische Entscheidungen seltsam billig wirken. Das Bond am Ende noch die hastig in die Story hineingeschobene Tochter von Madeleine Swann retten muss ist diesbezüglich besonders bezeichnend. Schade ist darüber hinaus, dass sowohl Bond als auch die zentrale weibliche Figur Madeleine Swann keine wirkliche Weiterentwicklung zugestanden wird. Die bereits im Vorgänger angelegten Charaktermerkmale bleiben felsenfest und verharren bewegungslos bei ihren Ausgangspunkten. Das es dem Film in 163 Minuten nicht gelingt hier ein bisschen mehr Charaktertiefe aufzubauen ist schon sehr bedauerlich.

KEINE ZEIT ZU STERBEN bietet aber auch jede Menge eindrucksvolle und wahrlich beeindruckende Szenen auf der Habenseite. Sei es die erstaunlich ausgedehnte Pre-Titel-Sequenz, die nicht nur auf kinetische Action setzt, sondern vorher noch einen weiteren Baustein der Story einführt, eine toll gefilmte Autoverfolgungsjagd auf offener Straße, die in einem nebligen Waldstück ihr Finale findet oder der Showdown in einer Insel-Bunkeranlage, bei dem Bond begleitet von einer entfesselten Kamera den Bodycount in immer größere Höhen schwingt.

Fukunaga inszeniert die Action bodenständig und mit dem Blick aufs Wesentliche. Die Kamera ist nah dran, aber nicht zu nah und stets darauf bedacht den Überblick zu behalten. Auf technische Spielereien wird in diesem Bond, wie bei den Vorgängern, fast komplett verzichtet. Ein mit Waffen bestücktes Auto oder eine explosive Uhr sind da schon das höchste der Gefühle. Wie gewohnt sind zudem die Schurkenrolle hervorragend besetzt. Rami Malek zeigt, dass man trotz sehr reduziertem Mimik-Spiel maximal überzeugend sein kann. Und Christoph Waltz ist eh über alle Zweifel erhaben, selbst wenn sein Auftritt lediglich für einen kurzen Cameo reicht (der es aber wahrlich in sich hat).

KEINE ZEIT ZU STERBEN ist ein Film, der keinesfalls einen Klassiker-Status erlangen wird und der zwar deutlich schwächer ausfällt als der Auftakt der Craig-Ära, der vor allem im Vergleich mit SPECTRE aber wesentlich besser abschneidet und der das 2006 begonnene Narrativ stimmig zu einem (vermeintlichen) Schlusspunkt führt. Als Abschluss für Daniel Craig hätte man sich schlussendlich dennoch einen Film gewünscht, bei dem die Licht- die Schattenseiten deutlicher und heller überstrahlen.











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