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KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE (USA 2009)

von Stefan Rybkowski

Original Titel. CAPITALISM: A LOVE STORY
Laufzeit in Minuten. 127

Regie. MICHAEL MOORE
Drehbuch. MICHAEL MOORE
Musik. JEFF GIBBS
Kamera. DANIEL MARRACINO . JAYME ROY
Schnitt. JESSICA BRUNETTO
Darsteller. MICHAEL MOORE . BARACK OBAMA . ARNOLD SCHWARZENEGGER . JOHN MCCAIN u.a.

Review Datum. 2009-11-09
Kinostart Deutschland. 2009-11-12

Sie ist einfach omnipräsent, die Finanzkrise. Überall erhält sie Einzug: Manager schreiben plötzlich Bücher über ihr Achterbahnleben, Broker werden unter großem Medienaufruhr festgenommen und Quelle startet den größten Ausverkauf, den Deutschland je gesehen hat. Eine ganz schöne Menge an Ereignissen, die man als Steuern zahlender Bürger zu verdauen hat. Da die Finanzkrise schließlich in den USA erst so richtig ins Rollen kam, war es also nur eine Frage der Zeit, bis sich die ersten Dokumentarfilmer damit auseinandersetzen würden. Mittlerweile scheint der Markt mit Dokus zum Thema regelrecht überflutet zu werden: AMERICAN CASINO, COLLAPSE und auch Michael Moores KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE machen bereits mit dem Titel deutlich, was hier gerade eigentlich nicht stimmt. Moore, der in diesem Jahr den 20-jährigen Geburtstag seines ersten Filmes ROGER & ME feiert - ebenfalls eine Abrechnung mit dem ökonomischen Roulettespiel -, konzentriert sich in seiner neuesten Dokumentation jedoch weniger auf die Finanzkrise, als vielmehr auf den Turbokapitalismus der USA an sich.

Zu Beginn wohnt man einer Hausbesetzung bei, die jedoch keinesfalls eine gewöhnliche ist. Das Haus einer Familie wurde zwangsgeräumt, nun steht der Sheriff samt Helfern vor der Türe, die verschlossen ist. Die Familie hat sich mit einer Kamera bewaffnet dazu entschlossene, gewaltlosen Widerstand zu leisten. Die Familie, die aus zwei Generationen besteht, die gemeinsam im Haus leben, markiert Moores gewöhnlichen Weg, den er in seinen Dokumentationen immer und immer wieder geht. Er versucht durch dieses rohe Archivmaterial Emotionen zu evozieren, die Zwangsräumung der Familie durch die Behörden scheint falsch zu sein, ein Unding. Schnitt. Moore fährt mit Spielfilmmaterial fort, das aus einem Geschichtsfilm um die Römer und ihr Vorgehen stammt. Auch das macht Moore immer wieder gerne, Filmmaterial einschieben, das nicht nur Parallelen zur real existierenden Situation zieht, sondern auch amüsiert. Etwas, das mittlerweile fester Bestandteil vieler Dokumentarfilme ist, man denke beispielsweise nur an den äußerst amüsanten RELIGULOUS.

Auch KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE befragt immer wieder Geistliche, was Jesus denn zum Kapitalismus gesagt hätte. Die Antwort ist klar, auch wenn Moore sie sich nicht nur vom einfachen Priester geben lässt, sondern diese auch noch vom Bischof höchstpersönlich bestätigen lässt. Es wirkt schon etwas deplaziert, wenn Moore hier die Glaubensschiene fährt, denn es ist nicht nur die Trivialität an sich, die diese Szene an sich prägt, sondern auch die Tatsache, dass Moore mit genau solchen Aktionen immer und immer wieder ins Polemische abdriftet. Erstaunlicherweise bleibt es hier aber bei diesem einen Fauxpas, denn KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE ist der bis dato wohl faktischste Film Michael Moores. Natürlich gibt es auch hier wieder jede Menge Aktionen, die mehr an naive Jungenstreiche als an seriöses Filmemachen erinnern, beispielsweise wenn Moore die Wall Street mit Absperrband eines Tatorts umspannen will, aber gesamt gesehen bleibt er doch bei den Fakten und Tatsachen.

Firmen, die mit toten Mitarbeiten mehr Geld umsetzen als mit lebendigen, Piloten, die eine jahrelange Ausbildung auf sich nehmen müssen, um schließlich nur mit Essensmarken überleben zu können oder ein Wall-Street-Präsident, der US-Präsident Reagan ins Ohr flüstert, dass dieser doch bitte mal schneller machen soll, ja, das alles geht einem doch recht stark an die Nieren, denn es scheinen alles andere als Einzelschicksale zu sein. Moores Film ist kein Enthüllungsthriller, sondern vielmehr ein Faktensammler, der die ganze Historie des Kapitalismus noch einmal zusammenträgt. Warum hat er einst allen genutzt und gefallen - und warum profitieren heute nur noch die Wohlhabenden davon? Ganz so einfach wie Moore es sich vorstellt ist es dann doch nicht, aber er gibt zumindest die Richtung an. Bei einer Laufzeit von etwas mehr als zwei Stunden driftet der Film natürlich des Öfteren in vielerlei Gefilde ab, aber nichts scheint auch nur ansatzweise irrelevant zu sein, besonders wenn man Laie ist und gerade einmal weiß, für was die Begriffe "Inc." und "CEO" stehen. Das geht sogar so weit, dass gestandene Börsianer und Wirtschaftswissenschaftler mit einigen Begriffen, die Moore ihnen an den Kopf wirft, nichts anfangen können - oder wollen.

Moore scheint endlich ein Mittelmaß für seine Filme gefunden zu haben: faktisch, mit Humor und leichter Polemik versetzt, fasst er das zusammen, was für die meisten stets klar war, aber in Moores Darstellung nochmals an Aussagekraft gewinnt. Bis auf einige Interviews mit demokratischen Abgeordneten - die sich äußerst erhellend gestalten - sind alle Informationen, die er hier präsentiert öffentlich zugänglich oder bereits lange bekannt (Minister, die zuvor Banken an die Wand gefahren haben, Obama, der sich dem "Bailout" gebeugt hat). Zusammengeballt verursachen diese aber eine Emotionalität, die einer vereinnahmenden Hasspredigt gegen den Kapitalismus gleichkommt. Das ist an und für sich nicht weiter tragisch, im Gegenteil, würde Moore auch etwas mehr die andere Seite, die der "da oben", beleuchten. So bleibt dann auch etwas unklar, was Moore mit KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE eigentlich vermitteln wollte, denn seine Exkursionen in Richtung Sozialismus sind mehr humoristisch als ernst gemeint, das zeigt spätestens die Internationale, die den Abspann überdeckt - in einer ganz speziellen Version.

Vielleicht sollte man KAPITALISMUS: EINE LIEBESGESCHICHTE aber auch einfach nur als Lehrfilm für BWL-Studenten, angehende Banker oder Heuschrecken-Unternehmer sehen, denn eine abschreckende Wirkung hat Moores Filme allemal. Er kommt einer Demonstration oder Sitzblockade, wie man sie auch im Film sieht, gleich: groß, kurz ein Zeichen setzend, aber am Ende doch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Und dennoch ist es Michael Moores beste Arbeit. Aber: muss man sich dennoch wirklich wundern, dass das alles gerade passiert, wenn Banken Namen wie Fannie Mae, Freddie Mac oder Goldman Sachs tragen, mal ganz ehrlich?











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