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JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN (Deutschland/Österreich 2010)

von Stefan Rybkowski

Original Titel. JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN
Laufzeit in Minuten. 114

Regie. OSKAR ROEHLER
Drehbuch. KLAUS RICHTER . MICHAEL ESSER . FRIEDRICH KNILLI . OSKAR ROEHLER
Musik. MARTIN TODSHAROW
Kamera. CARL-FRIEDRICH KOSCHNICK
Schnitt. BETTINA BÖHLER
Darsteller. TOBIAS MORETTI . MORITZ BLEIBTREU . MARTINA GEDECK . JUSTUS VON DOHNANYI u.a.

Review Datum. 2010-09-22
Kinostart Deutschland. 2010-09-23

Denkt man an den frühen deutschen Film, so kommen einem Stichworte wie Fritz Lang, Expressionismus oder Nosferatu in den Sinn. Namen, Stilrichtungen und Filme, die bis heute die Filmgeschichte prägen und unzählige andere Strömungen und Filmemacher beeinflussten. Weniger Jahre später folgte aber nicht nur ein neues Regime, sondern auch eine neue Art von Film, nämlich der Propagandafilm. JUD SÜSS ist dabei wohl einer der bekanntesten Filme aus der Schmiede Joseph Goebbels'. Ein Film, dessen Formalitäten von Oskar Roehler selbst sehr geschätzt werden, wäre da nicht dieser perfide Zweck, für den der Film gedreht wurde. Diesem Zweck und allen voran seiner Entstehungsgeschichte will Roehler mit JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN nun auf den Grund gehen. Dabei kam Roehler im Vorfeld bereits viel Kritik entgegen, sei es nun der Zentralrat der Juden, der zum Boykott aufrief oder die Berlinale-Kritiker, die seinen Film in der Pressevorführung mit Buh-Rufen bedachten. Roehler hat sich wahrlich kein leichtes Sujet ausgesucht, Geschichtsverfälschung hat man ihm gar vorgeworfen. Das ist wohl auch ein Grund, warum sich Roehler immer und immer wieder darauf berufen hat, dass sein Film ja keine Dokumentation sei und er sich deshalb eigene künstlerische Freiheiten genommen habe. Schaut man JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN jedoch an, so stellt man schnell fest, dass er sich mit dieser Aussage selbst ins Bein geschossen hat. Sein Film dokumentiert die Ereignisse zwar nicht, aber er verfolgt alle wichtigen Etappen der Entstehung des Filmes - und mischt mitunter echte Filmszenen unter die nachgestellten. Beides sind beliebte Stilmittel des Dokumentarfilms, man möchte deshalb fast schon von einem Non sequitur sprechen.

Dabei geht Roehler eigentlich keinen falschen Weg. Statt dem Publikum den üblichen Nazikitsch vor die Nase zu setzen, der die Täter zu Opfern werden lässt, wie in nahezu jeder deutschen Produktion von DER UNTERGANG bis DAS LEBEN DER ANDEREN (die in Goebbels Sinne nicht mehr hätte sein können), reduziert er die Protagonisten auf Witzfiguren, Persönlichkeiten, die man schlichtweg nicht ernst nehmen kann. Dies wird bei der Figur des Drahtziehers am deutlichsten: Moritz Bleibtreu gibt einen Goebbels, der überzogener und daher auch comichafter kaum sein könnte. Leider gelingt es Roehler nicht bei allen Figuren, sie wie in Tarantinos INGLOURIOUS BASTERDS zu Karikaturen statt Dämonen zu stilisieren. In dieser Hinsicht spielt Tarantinos WWII-Epos ohnehin in einer anderen Liga. Ein weiteres Problem ist Roehlers Redundanz, mit der er Bleibtreus Goebbels versieht. Bleibtreu trumpft so stark auf, dass es ab einem gewissen Zeitpunkt nur noch redundant und lächerlich wirkt - leider aber die falsche Art von lächerlich. Und dennoch dringt die Satire, das über-die-Strenge-schlagen, immer wieder durch, beispielsweise wenn Roehlers Marian (Tobias Moretti) einem Juden das Leben rettet oder seine Tochter Nazilieder anstimmt. All das mündet in einer Szene, aufgrund derer man den Film so schnell nicht vergessen wird: Marian beglückt die Frau (Gudrun Landgrebe) eines SS-Offiziers während im Hintergrund die Bomben fliegen und die Sirenen schellen. Was sie dabei zu ihm sagt, will man auch nach mehrmaliger Überlegung noch nicht so recht glauben - definitiv einer der Filmmomente des Jahres.

Es fällt zu Recht oft schwer, das, was Roehler uns vorsetzt, tatsächlich ernst zu nehmen. Vielmehr liest man das, was da auf der Leinwand geschieht, als Komödie, die mehr als nur einmal in Exploitationgefilde abdriftet. Da wundert es dann auch nicht weiter, wenn man Gesichter sieht, die man in noch keinem anderen Outfit als der SS-Uniform gesehen hat - sowohl im deutschen, als auch im internationalen Kino. Apropos deutsches Kino: JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN bringt auch all das auf den Punkt, was mit dem deutschen Kino nicht stimmt. Da gibt sich all die deutsche Schauspielprominenz ein Stelldichein - alle sind sie mit dabei, von Ralf Bauer über Armin Rohde, bis hin zu Robert Stadlober und Rolf Zacher - die sich ach so gern selbst feiert, für all den Mist, den sie das ganze Jahr so produziert. Gudrun Landgrebe lässt sich beglücken, während Ralf Bauer den sinisteren Nazi mimt, der sich den Bauch vollschlägt; zu allem Überfluss darf Armin Rohde dann noch schlechte Witze erzählen, die nur noch von Stadlobers Overacting getoppt werden - das ist bisweilen fast schon surreal, ein reines Kasperletheater geballter deutscher Filmkunst. Von vielen erwartet man ja nichts anderes, auch, weil man sie in keinen besseren Rollen kennt, aber für einen Justus von Dohnanyi tut es einem dann schon fast irgendwie leid. Es bleibt angesichts all dieser Tatsachen undurchsichtig, was Roehler mit JUD SÜSS - FILM OHNE GEWISSEN letztlich bezwecken will. Provokation? Uns den Spiegel vorhalten? Oder meint er das alles etwa doch ernst? Fest steht: Roehlers Film hat eines gemein mit Harlans Film - man wird ihn ob seiner Umstrittenheit nicht so schnell vergessen.











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