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Auf die Gretchenfrage hat schon mancher eine dumme Antwort gegeben. Clint Eastwood kann das kaum mehr passieren, er ist nach 80 Lebens- und 40 Regiejahren sattelfest in seinen Überzeugungen, deswegen darf, wer selbige teilt, sich in aller Regel auf seine Filme freuen. Mit der Religion hält er's in HEREAFTER wie ein Dachdecker, maßvoll und nie zu hoch: Vom Himmel kommt der Regen, alles andere bleibt Geheimnis. Zwar existiert in der Welt des Films ein Leben nach dem Tod als unhinterfragbare Gewissheit, konfessionell eingebunden wird selbiges aber an keiner Stelle. Ergo weder Engelskitsch noch Heiligenpathos, das ist die gute Nachricht.
Die schlechte lautet, dass HEREAFTER nach fünf atemberaubenden Minuten im Grunde nichts mehr zu erzählen hat, dies allerdings sehr bedächtig und ausdauernd trotzdem tut. Fürs Atemrauben ist ein Tsunami zuständig, der, mit allen tricktechnischen Wassern gewaschen, eine reisebüroparadiesische Strandpromenade flutet, Kamera mittenmang, was die infantile Zerstörungslust von 2012 im Vergleich ganz schön alt aussehen lässt. Der Rest ist eher so wie GHOST - NACHRICHT VON SAM ohne Humor und erotische Töpferlektionen, dafür aber mit Abendkochkurs für einsame Herzen. Selbigen belegt George (patent: Matt Damon), geistergebeuteltes Ex-Medium, dessen freiwillige Séancenabstinenz ihn dazu verdammt, mit allen Menschen das gleiche Gespräch zu führen: "Ich verlange Kontakt mit meiner toten Omma!" - "Das mach' ich nicht mehr." - "Aber du hast eine Gabe…" - "Nein! Es ist ein Fluch!"
Weil sowas keinen Film über zwei Stunden trägt, gibt es noch andere, nicht minder ziellose Geschichten. Eine involviert eine französische Fernsehreporterin (Cécile de France), die beim unfreiwilligen Tsunami-Tauchgang einen Blick ins Totenreich - weißes Licht, dunkle Schemen - erhascht und darüber jetzt, statt der vom Verleger eingeklagten Mitterand-Bio, ein Buch schreiben will. Dritter Schauplatz: London, Arbeiterviertel, wo der kleine Marcus seinen Zwillingsbruder bei einem Unfall verliert, worauf die drogensüchtige Mutter vollends abschnallt, worauf das Jugendamt an die Tür klopf, etc. Irgendwann überkreuzen sich selbstredend die Stränge, jedoch ganz ohne aufgeblasenen Guillermo-Arriaga-Schicksalsbombast.
Das mag es gewesen sein, was Eastwood - neben Regie erneut als eigener Produzent und (leider!) Komponist unterwegs - an HEREAFTER gereizt hat: Peter Morgans Skript eignet eine herzensgute Naivität und Direktheit, die mit den klassischen Sensibilitäten des Altmeisters konform geht. Weniger freundlich ausgedrückt: Jede Plotwendung, jeder gesprochene Satz ist das Klischee eines Klischees, aber immerhin sorgt die Kombination aus inszenatorischer Gediegenheit und spiritueller Unterkomplexität für Peinlichkeitsminimierung. Der Tod ist hier nicht Anlass für großspurige Reflexionen über Trauer und Hoffnung, sondern bloßer Nervfaktor bei der Alltagsbewältigung: Die Französin kann sich nicht mehr auf ihre Talkgäste konzentrieren, George kennt beim ersten warmen Händedruck bereits die dunkle Vorgeschichte seiner Dates.
Gelegentlich trägt der Film Züge ins Groteske, wenn etwa Marthe Keller als alpine Sterbehospizleiterin ominöse Jenseits-Verschwörungstheorien raunt, oder Marcus auf der Suche nach Kontakt mit seinem toten Bruder einen Quacksalber-Marathon hinlegt. Gelindes Interesse kann allein das Damon-Segment wecken, speziell sein Tête-à-tête mit Bryce Dallas Howard, deren manisches Spiel eingenartig zwischen Oscar und Goldener Himbeere schwankt. Alles andere versinkt im trüben Erzählmorast, aus dem weder erbauliche Einsichten noch billige Rührung zu holen sind. Das Positivste, was sich über HEREAFTER sagen lässt, ist wahrscheinlich, dass er kaum Angriffsfläche für zynisches Gelächter bietet, sondern einfach nur gepflegt zu Tode langweilt.
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