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2012 (USA/Kanada 2009)

von Björn Lahrmann

Original Titel. 2012
Laufzeit in Minuten. 158

Regie. ROLAND EMMERICH
Drehbuch. ROLAND EMMERICH . HARALD KLOSER
Musik. HARALD KLOSER . THOMAS WANDER
Kamera. DEAN SEMLER
Schnitt. DAVID BRENNER . PETER S. ELLIOT
Darsteller. JOHN CUSACK . CHIWETEL EJIOFOR . OLIVER PLATT . AMANDA PEET u.a.

Review Datum. 2009-11-02
Kinostart Deutschland. 2009-11-12

Das Erhabene ist, sehr verkürzt gesagt, das, was einen hingucken lässt, wo man eigentlich wegrennen sollte. Roland Emmerich hat das offensichtlich falsch verstanden: Er dreht Filme, die permanent zum Hingucken auffordern, tatsächlich aber zum Wegrennen sind. 2012 bereichert einmal mehr seine blütenweiße Bilanz von als Katastrophenfilmen verkauften Filmkatastrophen, ist in dieser Hinsicht vielleicht gar sein Opus maximus, schlicht und einfach, weil die Dimensionen alles vorige übertreffen: Die ganze Erdkugel darf diesmal über den Jordan bzw. der Jordan über die Erdkugel gehen. Wie das im Detail funktioniert, ist eine geophysikalisch eher schwammige Angelegenheit, Sonneneruptionen sind wohl im Spiel dabei sowie von selbigen freigesetzte Mikrowellen, die den Erdkern irgendwie zum Kochen, die Polkappen irgendwie zum Schmelzen und die Kontinentalplatten irgendwie ins Rutschen bringen.

Es ist unheimlich schwer, Emmerichs Filmen auf Augenhöhe zu begegnen, zum einen, weil man sich so tief erst mal bücken muss, zum anderen, weil am ostentativen Anspruchslosigkeitsdenken des Regisseurs Kritik gnadenlos abprallt. Gebetsmühlenartig betont er seit Jahr und Tag, dass Spezialeffekte bei ihm die eigentlichen Stars, Figuren und Plots hingegen rein zweckmäßiges Bindemittel für erstere seien; ergo hat man sich nicht zu beschweren über leblose Darsteller, behämmerte Dialoge, Baukasten-Dramaturgie, piefigen Humor etc. Hirnlose Spätzlespektakel sollen seine Filme sein, nicht mehr und nicht weniger. Wo aber die für dieses verlogen bescheidene Entertainment-Ethos als Vorbilder Missbrauchten – der Spielberg-Steffen, der Bay-Michl – tatsächlich eine erzählökonomische Balance zwischen dem Mehr und dem Weniger, den Schauwerten und dem Schmonzes zu halten wissen, bricht sich in Emmerichs Werk das vorgeblich Nichtgewollte als Nichtgekonntes immer wieder auf unerträglichste Weise bahn.

Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, wieso man für eine bloße Übung in hohlem CGI-Gedröhn zweieinhalb Stunden wertvolle Publikumszeit und ein Ensemble von Robert-Altman-Ausmaßen verjubeln muss. Die immergleichen Konstellationen von entfremdeten Familienvätern (John Cusack), missverstandenen Wissenschaftlern (Chiwetel Ejiofor) und infamen Regierungsränkespielern (Oliver Platt) werden miteinander weniger verwoben als verwurschtelt in einem Szenario, das man, weil Seifenoper ein zu freundlicher Begriff wäre, nur noch als Spülimusical bezeichnen kann. Ph-neutral wie eh und je schliert Emmerichs moralapostolische Mitmenschlichkeitssoße über die Leinwand und hinterlässt blinde Flecken, wo Figuren sein sollten. Eine unschön kulturkonservative Gleichmachungsideologie, in der u.a. der Erhalt eines erbaulichen SciFi-Groschenromans die Zerstörung der Sixtinischen Kapelle aufwiegen kann, sorgt dafür, dass hier niemand mehr als ein, zwei willkürliche Distinktionsmerkmale zugesprochen bekommt (Cusacks kleine Tochter zeichnet z.B. aus, dass sie a) in die Hose macht und b) gern Mützen trägt). Umso erstaunlicher, was für Darstellerkaliber sich noch in den marginalsten Statistenrollen finden: Woody Harrelson gibt im Vollrausch den späthippiesken Verschwörungstheoretiker, Danny Glover ist als seniler US-Präsident mit einer Eloquenz gesegnet, die Heinrich Lübke beschämen würde, und als Cusacks errettungsbedürftige Ex-Gattin darf sich Amanda Peet durch die B-Roll schluchzen.

Dass Emmerich von den Grundlagen filmischen Erzählens keinen Dunst hat, wäre nun nicht gleich das Ende der Welt, wüsste er eben jenes bloß auf eine Weise zu inszenieren, die sein narratives Unvermögen vergessen machte. Allein: Viel ideenloser als in 2012 kann eine Apokalypse kaum um den Erdball polonäsieren. Buchstäblich jede einzelne Katastrophensequenz basiert auf dem Muster des Risses, der plötzlich im Boden erscheint und vor dessen Aussplitterung in allerlei zufällig rumstehenden Vehikeln geflüchtet werden muss. Gänzlich variationsfrei visualisiert Emmerich die anschließenden Zerstörungsorgien: als urplötzliche Aggregatszustandswechsel des gesamten Bildbereichs, als digitale Diffusion konkreter Formen in abstraktes Pixelpüree. Einmal lässt er seine Heldenschar an einem aufgerissenen Kanalisationsrohr vorbeifahren, aus dem sich (harhar!) ein Scheißeschwall über die Windschutzscheibe ergießt; der Effekt ist ungefähr derselbe. Den Bildkompositionen fehlt es in jeder Hinsicht an Tiefe und Prägnanz, und obwohl eine bausparerische Angebermentalität den Einsatz von Nanosekundenschnitten gottlob verhindert (schließlich will man zeigen, was man zusammengeknapst hat), gerät die Action doch vollkommen unrasant und bar jeden Mitreißpotenzials.

So enttropft dem globalen Fass, das hier feierlich aufgemacht wird, doch nur wieder die gleiche alte Sindelfinger Provinzplörre, die statt achterbahnartigem Magen- höchstens das Ohrensausen der schwäb'schen Eisenbahn zu simulieren vermag. Unter vereinfachten Laborbedingungen fliegt die Welt aus den Fugen, wie im Physikunterricht, wo weder Luftreibung noch Rauchentwicklung existieren, wo kein Feuer je ausbricht, Monsterwellen widerstandslos wie Wackelpudding übers Land ziehen und nur die Gesichtslosen sterben. Wenn alles vorbei ist, scheint über der adrett kaputten Erde sofort wieder die Sonne. Edle Einfalt, schrilles Getöse: das ist Roland Emmerichs kleine Idee vom großen Entertainment, und 2012 ein weiterer uniformer Betablockbuster, dessen Urteil schon der eigene Werbeslogan fällt: "Wir waren gewarnt."











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