M. Night Shyamalan ist ein Stehaufmännchen. Unkaputtbar. Und immer für eine Überraschung gut. Nach sehr mäßigen Werken wie THE HAPPENING oder AFTER EARTH hatte man den Regisseur eigentlich schon abgeschrieben. Dann kam SPLIT. Shyamalan war plötzlich wieder relevant. Die künstlerische Sackgasse, in die er sich im Laufe der Jahre selbst manövriert hatte: Vergessen. Die Flops an den Kinokassen: Schnee von gestern. Der Thriller, der lose an UNBREAKABLE (aus dem Jahr 2000) anknüpfte, erntete reichlich Lob bei den Kritikern und bescherte dem Blumhouse-Studio ein ordentliches Einspielergebnis. GLASS führt die Handlung weiter und lässt die zentralen Figuren nun erstmals in einem gemeinsamen Plot zueinander finden.
Im Vergleich mit SPLIT ist der dritte Teil somit stärker als Fortsetzung identifizierbar. Die Verbindung der drei, mit außergewöhnlichen Fähigkeiten ausgestatteten, Hauptprotagonisten (Bruce Willis, James Mc Avoy und Samuel L. Jackson) wird dabei vom Skript nachvollziehbar aufgebaut. Shyamalan nutzt dazu das Setting einer wissenschaftlichen Einrichtung, die schnell als eine Art psychiatrische Anstalt erkennbar wird. Dort treffen die Figuren unter der Aufsicht einer Wissenschaftlerin (Sarah Paulson) aufeinander. Selbstredend mit fatalen Folgen.
Shyamalan wäre nicht Shyamalan wenn er nicht auch in diesem Film auf zentrale Story-Twists hinarbeiten würde. GLASS bleibt diesbezüglich allerdings vergleichsweise zurückhaltend und nicht immer treffsicher. Und seien wir ehrlich: Geniestreiche, wie die Auflösungen in THE SIXTH SENSE oder THE VILLAGE darf man wohl eh nicht mehr von ihm erwarten. Nichtsdestotrotz gelingt Shyamalan mit seinem neuesten Werk ein sehr schnörkelloser Thriller, der seine Story packend aufrollt und der an genau den richtigen Stellen auf Verunsicherung setzt.
Die Frage, was wirklich hinter den mysteriösen Kräften der Protagonisten (unermessliche kognitive Fähigkeiten, animalische Stärke, Unbesiegbarkeit) steckt, wird im Film als immer wieder neu zu verhandelndes Rätsel aufgeworfen. Sind die Fähigkeiten des von zahlreichen multiplen Persönlichkeiten geknechteten Serienkillers Crumb (Mc Avoy) möglicherweise doch nur bloße Muskelkraft? Ist die übernatürliche Gabe von Dunn (Willis), die es ihm ermöglicht in die Erfahrungswelt seiner Mitmenschen durch Berührung einzutauchen und dadurch Verbrechen aufzudecken, nicht vielleicht doch nur das Resultat einer guten Auffassungsgabe? Im Film erfolgt die Konfrontation mit diesen Interpretationen in Form von Therapiesitzungen. Dies sind die stärksten Szenen des Films, da Shyamalan sofort das Interesse des Publikums auf seiner Seite hat und sein Verwirrspiel bis zum Finale konsequent steigert. Mittels Rückblicken in die Vergangenheit der Figuren fügt er Puzzleteil an Puzzleteil um am Schluss (fast) jeden erzählerischen Knoten zu lösen.
GLASS wählt, abgesehen vom Einstieg und dem Finale, ein überwiegend gemächliches Tempo. Und ist somit wesentlich näher an der einlullenden Langsamkeit von UNBREAKABLE als an der fiebrigen Spannungsdramaturgie von SPLIT. Die Szenen in der Anstalt leben von ihrer kammerspielartigen Stimmung, in der ein Gefühl permanenter Unruhe die Suspense vorantreibt. Ein Slow Burner im besten Sinne und damit ein Shyamalan der alten Schule. Der Wechsel zwischen den Figuren verkommt außerdem nicht zum bloßen Selbstzweck sondern bleibt stets sinnstiftend, da das Drehbuch im Filmverlauf einen überraschend umfassenden Handlungsraum aufspannt. Angestrebt wird nicht weniger als die ganz große Erzählung, die ihr zentrales Narrativ innerhalb der Populärkultur verankert sieht.
Dunn, Crumb und der hochintelligente Mr. Glass (endlich mal wieder in Bestform: Samuel L. Jackson) verweisen in ihrer Origin-Story auf die Funktionslogik von Superhelden-Comics und vor allem die je eigene Charakteristika ihrer Schurken. Wie bereits in UNBREAKABLE ist die Welt der Comics dabei auch in GLASS ein Universum, dessen Geschichten in unsere Realität (vermeintlich) hineinragen. Ein Universum, dessen Geheimnisse und Botschaften es zu entschlüsseln gilt. Codes, die ein großes, ein wahrhaftiges Wissen über die Gesellschaft und ihrer soziologischen Parameter enthalten. Shyamalans Thema ist daher auch die Erzählung hinter der Erzählung.
GLASS hantiert mit diesen Ebenen virtuos und nimmt hinsichtlich Komplexität einen Sonderstatus in der Karriere des Regisseurs ein. Es ist die weit aufgespannte Innenansicht der Charaktere, die der Filmemacher besonders ambitioniert angeht und die nur vereinzelt durch küchenpsychologische Erklärungsversuche verwässert wird. So greift alles harmonisch ineinander. Alle Feinheiten der Story und der Charakterzeichnung, alle Hinweise zwischen den Zeilen. Ein Film, den es zu entdecken lohnt. Bitte mehr davon. Gerne auch wieder von M. Night Shyamalan, der sich mit dieser Glanzleistung endgültig rehabilitiert haben sollte.
|