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GHOSTLAND (Frankreich/Kanada 2018)

von André Becker

Original Titel. INCIDENT IN A GHOSTLAND
Laufzeit in Minuten. 91

Regie. PASCAL LAUGIER
Drehbuch. PASCAL LAUGIER
Musik. TODD BRYANTON
Kamera. DANNY NOWAK
Schnitt. DEV SINGH
Darsteller. CRYSTAL REED . ANASTASIA PHILLIPS . EMILIA JONES . MYLENE FARMER u.a.

Review Datum. 2018-04-02
Kinostart Deutschland. 2018-04-05

Pascal Laugier schuf mit MARTYRS einen der meistdiskutierten Filme der letzten Jahrzehnte. Auf der Welle der damals enorm populären neuen Horrorfilme aus Frankreich entzweite der Schocker wie kaum ein anderer Film sein Publikum. Die einen sahen in Laugiers Werk einen philosophisch angehauchten Diskursfilm, die anderen lediglich einen latent misogynen Gewalt-Marathon. Sein nachfolgender Film, der starbesetzte THE TALL MAN sorgte dann vor allem aufgrund Laugiers Kurswechsel (weg vom Horror-Genre hin zur zurückhaltend inszenierten Thrillerkost) für Gesprächsstoff. Gespeist aus enttäuschten Erwartungen übersahen viele Zuschauer, das Laugier hier erneut Motive und Themen seiner vorausgegangenen Filme variierte und weiterentwickelte. Nur eben nicht im Gewand eines Terrorfilms, sondern mit veränderten Vorzeichen.

GHOSTLAND ist nun die Rückkehr zum Horror-Genre. Mehr noch: Innerhalb der Filmografie von Laugier ist dies seine konventionellste Regiearbeit. Das ist gleichzeitig eines der wenigen Mankos des Films. Laugier orientiert sich das eine oder andere Mal nämlich zu sehr an den Spielregeln des Genres, wodurch der Film mitunter an Einzigartigkeit verliert. Nichtsdestotrotz versprüht sein neuester Output noch genügend Verve um ein außergewöhnliches Filmerlebnis zwischen märchenhafter Alice-im-Wunderland-Stimmung und kompromissloser Härte zu garantieren.

Erzählt wird die Geschichte der Schriftstellerin Beth, die nach einem Kindheitstrauma ihre ländliche Heimat verlässt und zur gefeierten Horror-Autorin aufsteigt. Während die junge Frau ihre traumatische Erfahrung über das Schreiben von makabren Schauergeschichten kanalisiert, hat ihre Schwester Vera das einschneidende Erlebnis aus der Kindheit weit weniger gut verarbeitet. Das ganze Ausmaß der labilen Psyche von Vera wird Beth schlagartig bewusst als sie einen tränenreichen Anruf ihrer Schwester erhält. Ohne zu zögern macht sich Beth auf den Weg zum, von der Außenwelt fast komplett abgeschirmten, Wohnsitz ihrer Familie. An eben jenen Ort wo sie, ihre alleinstehende Mutter und Vera einst von zwei psychisch gestörten Männern überfallen wurden. Dort angekommen wird Beth klar, dass auch ihr Geisteszustand fragiler als angenommen ist. Und noch etwas muss die Bestsellerautorin feststellen: Im alten Haus lauert ein Geheimnis, das ihr Dasein von einem Moment auf den anderen in einen Albtraum verwandelt.

Laugier punktet mit diesem brachialen Angstmacher abermals mit ausgesprochen starken Frauenrollen, die man im Hollywood-Kino gegenwärtig vergeblich sucht. Beth (überzeugend gespielt von Emilia Jones in jungen Jahren und Crystal Reed als Erwachsene) ist Opfer, wird aber stets als kämpferischer Charakter dargestellt. Als aktiv handelnde Person, die sich ihren Ängsten stellt und selbst im Angesicht größter Gefahren (und Erniedrigungen) ihre Würde behält. Das Laugier letzteres immer wieder in den Fokus rückt, bewahrt den Film vor dem Vorwurf hier lediglich das Leid der Figuren voyeuristisch auszuschlachten. Nichtsdestotrotz ist GHOSTLAND weit mehr grimmige Exploitation als MARTYRS, auch weil der Regisseur trotz aller vielfältig interpretierbaren Charakterprofile ab und an doch zu sehr im männlichen Blick (dem gerne beschworenen male gaze) haften bleibt.

Mit den überall verstreuten, bizarren Spielzeugpuppen und den architektonischen Besonderheiten des Landhauses (versteckte Räume etc.) kreiert Laugier eine trügerische Märchenatmosphäre, die er mit großem Geschick ins Böse verkehrt und auf dramaturgisch extravagante Weise einsetzt. Obwohl GHOSTLAND durch den Einsatz von mehreren Jump Scares sein Entertainment-Level unnötig aufbläst lässt der Film allein durch seine eigentümliche Stimmung (ein grausiger Eiswagen sorgt zusätzlich für Nägelkauen) die Konkurrenz mit den dicken Budgets oder die arglos hingeschluderte Massenware der Blumhouse-Studios (TRUTH OR DARE) alt aussehen.

Laugier liefert somit wieder eine ziemlich markerschütternde Tour de force ab, die nicht gänzlich frei von Schwächen ist (die Twists des Films sind durchaus streitbar in ihrer Notwendigkeit), als hochspannendes, vieldeutiges und voller Referenzen steckendes Genre-Kino aber ausgesprochen gut funktioniert und einen Sog erzeugt, dem man sich nur schwerlich entziehen kann. Im Vergleich mit den alten Weggefährten des damaligen Horror-Hypes aus Frankreich (Bustillo/Maury, Xavier Gens usw.) bleibt Pascal Laugier deshalb ein Name, den man auch in Zukunft auf dem Schirm haben sollte.











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