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DIE GELIEBTEN SCHWESTERN (Deutschland 2014)

von Sebastian Moitzheim

Original Titel. DIE GELIEBTEN SCHWESTERN
Laufzeit in Minuten. 171

Regie. DOMINIK GRAF
Drehbuch. DOMINIK GRAF
Musik. SVEN ROSSENBACK . FLORIAN VAN VOLXEM
Kamera. MICHAEL WIESWEG
Schnitt. CLAUDIA WOLSCHT
Darsteller. HENRIETTE CONFURIUS . FLORIAN STETTER . HANNAH HERZSPRUNG . CLAUDIA MESSNER u.a.

Review Datum. 2014-02-13
Kinostart Deutschland. 2014-07-31

Als letztes Jahr Dominiks Grafs TATORT: AUS DER TIEFE DER ZEIT ausgestrahlt wurde, überschlugen sich mal wieder bestimmte Teile der deutschen Kritik, während der Film bei vielen Stammzuschauern Empörung und milde Verstörung auslöste. Ich habe AUS DER TIEFE DER ZEIT nicht gesehen und kann daher nicht sagen, ob die Empörung der Zuschauer und/oder das darauf folgende Stöhnen seitens der Kritik über das doofe TV-Publikum berechtigt war. Ich kann allerdings sagen: Wenn demnächst Grafs DIE GELIEBTEN SCHWESTERN als TV-Zweiteiler verwertet wird, wird meine Mutter nicht einmal von ihrer Kochen und Genießen aufsehen und mein Vater, TATORT-Traditionalist der ersten Stunde, wie gewohnt gänzlich unge- und -verstört in der ersten Dreiviertelstunde wegdämmern.

Ein Einschub: Ich habe ein Bisschen Angst, über einen Dominik Graf-Film zu schreiben. Wer sich negativ über den Posterboy der sogenannten anspruchsvollen deutschen Genre-Filmkunst äußert, muss sich nicht selten anhören, dass man ja alles, was von der Norm abweicht, von vornherein verurteile und - und dieser Deppenvorwurf kommt dann auch und besonders von (sogenannten) Kritikern - Graf "einfach nur nicht verstanden" habe. Wurde ich auf der Berlinale, in deren Rahmen ich DIE GELIEBTEN SCHWESTERN gesehen habe, von Kollegen auf meine Meinung zum Film angesprochen, übersprang ich daher meist den Mittelsmann und antwortete gleich "Den hab ich nicht verstanden."

Tatsächlich rief auch DIE GELIEBTEN SCHWESTERN bei der versammelten Filmkritik die üblichen Graf-Reaktionen hervor: Die Reviews, zumindest die deutschen, sind fast durch die Bank weniger als euphorisch denn vielmehr als orgasmisch zu bezeichnen und auch in der Pressevorführung war die Begeisterung bereits zu spüren - so wurde zum Beispiel bei keinem Film, den ich bis dato auf der Berlinale gesehen hatte, soviel und so demonstrativ laut gelacht, meist, wenn jemand im Film mit schwäbischem Dialekt sprach. Womit mal wieder bewiesen wäre: The medium is the message - beim Fun Freitag auf RTL sind Dialekt-Witze der Bodensatz der deutschen TV-Unterhaltung, in einem Dominik Graf-Film subtiler Humor für die Feingeister unter den Filmfreunden.

Aber gut, ich will Graf und seinen Film nicht für sein Publikum verurteilen (sondern mir lediglich die ohnehin kommenden Hass-Kommentare zu dieser Kritik tatsächlich verdienen). Grafs Film ist nicht schlecht, weil er einem bestimmten Publikum als Bestätigung ihrer angeblichen intellektuellen Überlegenheit dient oder weil er ein paar dumme Schwabenwitze macht - vielleicht ist das von Graf ja auch gar nicht beabsichtigt. Vielleicht verstehe ich Graf ja wirklich nicht. Vielleicht wachse ich da noch rein. Bis dahin allerdings sah ich in DIE GELIEBTEN SCHWESTERN einen Film, der sich, meiner unqualifizierten Meinung nach, nur stellenweise und auch dann nur marginal von TV-Kostümfilm-Stangenware unterscheidet und ansonsten so ziemlich alle Probleme, die ich mit deutscher TV- und Kinounterhaltung oft habe, reproduziert: Das steife, aufsagende Schauspiel, das Behaupten statt Zeigen von Emotionen, das gelegentlich mit Anspruch oder Tiefgang verwechselte Lehrfilmhafte.

DIE GELIEBTEN SCHWESTERN erzählt eine 13 Jahre andauernde Dreiecksgeschichte zwischen Friedrich Schiller (Florian Stetter, spielt zweckdienlich-austauschbar, vermittelt aber selten den Eindruck, dass er die Zeilen Schillers geschrieben oder verstanden haben könnte) und den beiden Schwestern Caroline von Beulwitz (Hannah Herzsprung, spielt krampfig-gefühlig, damit man auch auf dem alten Röhrenfernseher noch jede - angebliche - Gefühlsregung von weitem erkennt) sowie Charlotte von Lengefeld (Henriette Confurius, spielt wie die - immerhin - talentierteste Nachwuchsdarstellerin der Theater AG). Historisch verbürgt ist, dass Schiller Charlotte heiratete und eine enge Freundschaft zur mit einem anderen verheirateten Caroline führte. Graf macht daraus eine "Liebe zu dritt" und lässt diese im Verlaufe des Films auseinanderbrechen. Das ist vorhersehbar tragisch und längst nicht so gewagt, wie Graf und sein Publikum es gerne hätten.

Aber die Inszenierung, rufen die Graf-Fans, aber die Utopie, das "Loblied auf die Liebe", das Graf (laut Berliner Zeitung) singt! Nun, kurzzeitig ist es durchaus erfrischend, wie non-chalant, wie matter of fact, wie wenig vorverurteilend Graf seine ménage a trois in Gang bringt. Doch dabei bleibt es dann auch. Graf verweigert sich, die Dreiecksbeziehung und die Beziehungen der einzelnen Beteiligten untereinander wirklich zu erkunden. Die "Liebe zu dritt" bleibt weitestgehend asexuell und unausgedrückt, sie beschränkt sich auf dauerndes Kichern der beiden Damen sowie ein paar codierte, eher zahme Briefe, die die drei untereinander verschicken. Hat natürlich alles mit den Konventionen "der damaligen Zeit" zu tun - aber nicht vielleicht auch mit Grafs fehlender Bereitschaft, sich wirklich mit allen möglichen Implikationen dieser Beziehung, auch für ihre Figuren, zu beschäftigen? Wenn später doch Sex eine Rolle spielt, hat der stets eine zerstörerische Qualität, ist der Anfang vom Ende der schönen, romantischen Utopie. Ist eine Geschichte über eine Dreiecksbeziehung, die nur solange positiv bleibt, wie sie sich auf Kinderspielchen beschränkt, und die am Ende weniger an den Konventionen als an der Eifersucht der Beteiligten und den bösen Trieben zu Grunde geht, nicht letztlich doch wahnsinnig spießig und prüde? Und könnte man, wenn man diese ach so unkonventionelle Beziehung schon aufs konventionellste auseinandernehmen muss, bei der Gelegenheit nicht wenigstens mal hinterfragen, ob Schiller der seine Liebe großzügig auf beide Schwestern verteilende Heilige ist, als den Graf ihn inszeniert, oder vielleicht doch einfach mit zwei Frauen gleichzeitig ins Bett will? Wäre ein wirklich unkonventioneller oder zumindest erfrischender Kostümfilm nicht einer, der seine Frauenfiguren nicht nur über ihre Besessenheit für (und später ihr hysterisches Gestreite über) einen Mann definiert? Das sind keine rhetorischen Fragen - ich frage wirklich, denn ich habe DIE GELIEBTEN SCHWESTERN nicht verstanden.

Und die Inszenierung? Die ist mit ihren gelegentlichen Reißschwenks, Zooms und flotten Montagen ohne Frage dynamischer als die statisch-bühnenhafte Inszenierung vieler deutscher TV-Produktionen, aber so richtig interessant wird der Film dadurch auch nicht. Anfangs gibt es noch ein paar kleinere, willkommene Irritationen wie Grafs Voice-Over, den er dem vernuschelten Duktus nach zu urteilen nach vier Bier eingesprochen hat und der zunächst gelegentlich etwas ironisch-distanzierendes, zwar auch überhebliches, aber durchaus vergnügliches hat - wenn beispielsweise Graf zunächst die drei Stadien der Anziehung zweier Menschen aufzählt und dann eine entsprechende Szene unter den drei Hauptdarstellern trocken mit "1", "2" und "3" kommentiert. Im Laufe der Handlung allerdings nimmt der Ton des Voice-Overs eher etwas Lehrerhaftes an, erinnert immer wieder daran, dass das Gezeigte, liebe Kinder, natürlich nicht unbedingt der historischen Wahrheit entspricht.

Ist DIE GELIEBTEN SCHWESTERN also ein schlechter Film? Wahrscheinlich nicht - wer nur einen dreistündigen Kostümfilm über Liebe und Herzschmerz zu Zeiten Schillers sehen will, ist hier wahrscheinlich gut bedient. Was genau den Film allerdings zu dem "Meisterwerk" machen soll, zu dem ihn manche hochschreiben, warum er mehr ist, als "nur" eine etwas bessere, etwas dynamischere Variante öffentlich-rechtlicher Standard-Ware, das konnte ich schlicht nicht erkennen. Wäre ich böse, würde ich sagen, dass so mancher Kritiker hier nur die Gelegenheit ergreift, die Art von guilty pleasure, die er heimlich gerne sonntagabends, im ZDF, "zum Runterkommen" schaut - aber offiziell natürlich total bieder und steif findet - endlich einmal ganz öffentlich abfeiern zu dürfen, denn es steht ja "Graf" drauf.

Ich bin aber nicht so böse und wende mich daher zum Abschluss noch einmal versöhnend an die Kritiker-Kollegen (darf ich euch noch so nennen?): Ich gönn' euch euren Graf. Irgendwie erwärmt es ja auch mein Herz, wenn auch der zynischste, verhärmteste Kritiker plötzlich wieder einfach nur Fan ist und einfach mal mit großen Augen den neuen Film seines Lieblingsregisseurs genießt. Aber nachdem ihr diesen Film zum Meisterwerk, zum Ausdruck reinster, ehrlichster Gefühle hochgejazzt habt, nachdem ihr in diesem Film Dinge gesehen hat, die man wohl wirklich nur sehen kann, wenn man Graf bereits vorher "verstanden hat" (i.e: ihm verfallen ist), darf ich eines wohl doch von euch verlangen: Nennt mich nie wieder "Fanboy".











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