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Die Geschichte beginnt folgendermaßen: Anfang der neunziger Jahre wird der Newcomer-Regisseur Richard Stanley als große Hoffnung für das Genre-Kino gehandelt. Sein erster Film, der visuell beeindruckende SciFi-Horror-Grenzgänger M.A.R.K 13 - HARDWARE, kommt bei Publikum und Kritik gut an und erweist sich auch finanziell gesehen als Glücksgriff für die Produzenten (u.a. ein gewisser Harvey Weinstein). Es wird zwar noch ein Weilchen dauern bis die Low-Budget-Produktion endgültig zum Kultfilm hochgepusht wird, nichtsdestotrotz fußt der frühe Ruhm des Regisseurs vor allem auf dieser beachtlich stilsicher gefilmten B-Movie-Perle. Bereits bei Stanleys zweiter großangelegter Regiearbeit DUST DEVIL beginnen allerdings die Probleme. Das Studio kürzt den Film rigoros von etwa 120 auf rund 90 Minuten und nimmt weitreichende Änderungen an der inhaltlichen Stoßrichtung des Films vor. Bekanntermaßen dauert es Jahre, bis der Film in einer Version erscheint, die der ursprünglichen Vision des Filmemachers halbwegs nahekommt (hierzulande als Final Cut bei Koch Films erschienen).
Das darauffolgende Projekt des Regisseurs D.N.A - EXPERIMENT DES WAHNSINNS gerät schließlich vollends zur Katastrophe. Stanley wird kurz nach Drehbeginn gefeuert (nachdem er mehrere Jahre in die Vorbereitung des Films investiert hatte) und kehrt dem Filmbusiness frustriert den Rücken. Nach dem Weggang Stanleys gehen die Schwierigkeiten dann richtig los. Starregisseur John Frankenheimer, der als Ersatz für Stanley eingesetzt wurde, rasselt vor allem mit dem Hauptdarsteller Val Kilmer immer wieder aneinander und auch sonst steht der Dreh unter keinem guten Stern. Das Endergebnis wirkt, wenig überraschend, ausgesprochen unausgegoren und in vielerlei Hinsicht unmotiviert heruntergekurbelt.
DIE FARBE AUS DEM ALL wurde schon Monate vor den ersten Aufführungen (u.a. beim Toronto International Film Festivals, Fantastic Fest Austin) als DAS Comeback von Richard Stanley angekündigt. Das ist jedoch nur die halbe Wahrheit. Stanley zog sich zwar mehrere Jahre nach dem Desaster von D.N.A - EXPERIMENT DES WAHNSINNS aus dem Filmgeschäft zurück. Im Jahr 2011 steuerte er allerdings einen Beitrag zur Horror-Anthologie THE THEATRE BIZARRE bei. Diese Rückkehr zum Genre-Film wird gemeinhin eher ausgeklammert, was auch daran liegen könnte, dass DIE FARBE AUS DEM ALL Stanleys erster abendfüllender Spielfilm seit DUST DEVIL ist. Die vielerorts artikulierte Vorfreude auf diesen Film ist darüber hinaus auf einen weiteren Faktor zurückzuführen. Die Produktion von XYZ Films (MANDY, THE NIGHT COMES FOR US) basiert auf einer Short-Story von Horror-Großmeister H.P. Lovecraft.
Um die Aufregung zu verstehen, die jedes Mal aufkommt, wenn eine Story von Lovecraft verfilmt wird, muss man ein wenig ausholen. Einerseits haben sich bislang wenige Regisseure an die Original-Stoffe von Lovecraft herangetraut, andersseits wird ein Großteil der wenigen Verfilmungen (v.a. von den Fans) als wenig gelungen abgewatscht. Am besten kommen noch diejenigen Filme weg, die zwar nicht direkt auf einer Geschichte des Autors basieren, die aber stark von Lovecraft beeinflusst sind und die es schaffen, die in den Storys heraufbeschworene Atmosphäre adäquat in einen filmischen Erfahrungsraum zu übersetzen (genannt sei hier John Carpenters DIE MÄCHTE DES WAHNSINNS). Richard Stanleys DIE FARBE AUS DEM ALL nimmt sich nun die gleichnamige, mit etwa 40 Seiten für Lovecraft-Verhältnisse eher lange, Kurzgeschichte vor und zimmert daraus einen Genre-Film, der zwar keineswegs das von vielen erhoffte Meisterwerk ist, der im Kinojahr 2020 aber definitiv einen bleibenden Eindruck hinterlässt.
Die Story ist fix erzählt. Auf der Alpaka-Farm der vierköpfigen Familie Gardner (u.a. Nicolas Cage) schlägt eines Nachts ein Meteorit ein. Anfangs sieht alles danach aus, als ob der Einschlag des wundersam leuchtenden Objekts lediglich ein Einzelereignis ohne unmittelbare Folgen für die Umgebung war. Nach und nach mehren sich jedoch die Anzeichen, dass der Meteorit keineswegs so harmlos wie angenommen ist. Nicht nur die Flora und Fauna scheint unmittelbar von dem unbekannten Objekt beeinflusst zu werden, auch die Familienangehörigen spüren, dass von dem seltsamen Gestein eine zerstörerische Macht ausgeht.
Ähnlich wie bei M.A.R.K 13 - HARDWARE baut Stanley seinen Film auf den Handlungen und Verhaltensweisen weniger Figuren auf. Als Kammerspiel geht sein erster Spielfilm seit den Neunzigern zwar nicht durch, dennoch fällt sofort auf, dass der Regisseur seine Figuren fast nur an einem Ort (der Farm) agieren lässt. Dies führt dazu, dass DIE FARBE AUS DEM ALL sehr schnell, eine sehr dichte, klaustrophobische Atmosphäre aufbaut. Irgendwann gibt es für die vierköpfige Familie schließlich kein Zurück mehr. Eine Flucht von der Farm scheint unmöglich (bereits hier patzt das Drehbuch leider mit einigen Logikfehlern) und auch sonst gerät die Lage immer mehr außer Kontrolle. Stanley erzählt insofern ab der Mitte des Films vor allem von der sich minütlich steigernden Verzweiflung der Familie Gardner. Viel mehr als das übliche Kleinklein, welches schon dutzendfach in ähnlich gelagerten Filmen durchgekaut wurde, fällt ihm allerdings diesbezüglich bedauerlicherweise nicht ein. Von den Qualitäten von vielschichtig angelegten Horrordramen wie IT COMES AT NIGHT ist die Produktion in diesem Kontext somit weit entfernt. Die Rollen der einzelnen Personen wirken wenig durchdacht und in ihren Handlungen meist arg vorhersehbar. Lediglich bei der Entwicklung der Tochter Lavinia (überzeugend: Madeleine Arthur) gestattet sich das Drehbuch Ambivalenzen und führt diese in eine Richtung, die man so nicht unbedingt erwartet hätte.
Es sind speziell diese Probleme, die verhindern das DIE FARBE AUS DEM ALL in die Königsklasse aufsteigt. Ansonsten gelingt Stanley ein überwiegend überzeugender Genre-Beitrag. Mit phantastischen Bildkompositionen, die von einem hervorragenden Soundtrack eingerahmt werden, nimmt uns der Regisseur mit auf eine faszinierende Reise an einen unwirklichen Ort, der jenseits unserer Vorstellungskraft liegt. Mit deutlich sichtbaren Referenzen an den Body-Horror eines David Cronenberg und die Splatter-Eskapaden der achtziger Jahre generiert Stanley eine sehr eigenwillige Bildästhetik, die sich durch die exzessive Verwendung greller, wild pulsierender, Farben unnachgiebig auf die Netzhaupt des Publikums brennt. Besonders gegen Ende hin erhalten seine Bilder zudem eine fast schon philosophisch unterfütterte Dringlichkeit, die der besonderen, irgendwann hochgradig bizarren, Atmosphäre des Films durchaus gut tut.
DIE FARBE AUS DEM ALL muss sich zwar mit einigen nicht wegzudiskutierenden Problemen (wozu ebenfalls die lustlose Performance von Nicolas Cage gezählt werden kann) herumschlagen, weist insgesamt gesehen aber noch genügend Vorzüge auf um aus der Masse deutlich hervorzuragen. Die glühenden Fans von Stanley dürften daher nicht enttäuscht sein und auch die Lovecraft-Fanbase wird den Film höchstwahrscheinlich eher wohlwollend aufnehmen. Nichtsdestotrotz bietet Stanleys Lovecraft-Verfilmung aber gleichfalls genügend Argumente für diejenigen, die den Regisseur schon immer für einen maßlos überbewerteten Style-over-substance-Regisseur hielten.
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