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ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN (Russland 2013)

von Björn Lahrmann

Original Titel. TRUDNO BYT BOGOM
Laufzeit in Minuten. 170

Regie. ALEKSEI GERMAN
Drehbuch. ALEKSEI GERMAN . SWETLANA KARMALITA
Musik. nicht bekannt
Kamera. WLADIMIR ILIN . JURI KLIMENKO
Schnitt. IRINA GOROKHOWSKAJA
Darsteller. LEONID JARMOLNIK . ALEKSANDR CHUTKO . JURI TSURILO . ALEKSANDR ILIN u.a.

Review Datum. 2015-01-17
Kinostart Deutschland. nicht bekannt

I have tasted the maggots in the mind of the universe.
I was not offended
For I knew I had to rise above it all
Or drown in my own shit.

- Funkadelic

Auf einem entfernt erdähnlichen Planeten, der in einer entfernt mittelalterähnlichen Epoche steckengeblieben ist, suhlen sich entfernt menschenähnliche Kreaturen im Dreck. Eine Kamera ist anwesend, sie suhlt energisch mit, rempelt ihre Linse überall ran und rauf und rein wie ein neugierig schnüffelnder Hund seine Schnauze und produziert dabei ein entfernt filmähnliches Etwas. Das Etwas hat einen Titel, einen Anfang und ein Ende, zwischen denen drei irdische Zeitstunden liegen, ich habe es mit eigenen Augen im Kino gesehen, und demnächst soll es auf DVD erscheinen. Die Vermutung, dass das Etwas Endprodukt eines koordinierten Drehprozesses mit Regisseur, Buch, Schauspielern, Setbauten usw. sein könnte, liegt nahe, erscheint aber vollkommen abwegig.

Und doch: Allen berechtigten Zweifeln zum Trotz muss man ES IST SCHWER, EIN GOTT ZU SEIN wohl als Menschenwerk auffassen, namentlich als Vermächtnis des hierzulande wenig beachteten russischen Meisters Aleksei German, der kurz vor Fertigstellung (falls so etwas jemals gewollt war) verstarb. Die Planungsphase reicht zurück bis ins Jahr 1968, wo noch am ehesten filmhistorische Scharnierstellen zu finden wären: die schmutzigen historischen Karnevalesken der osteuropäischen New Waves, von Wojciech Has oder Miklós Jancsó etwa, Vlá?ils MARKETA LAZAROVA, in Russland selbst: ANDREJ RUBLJOW von Tarkowski, der später mit STALKER eine Vorlage der sowjetischen Sci-Fi-Brüder Strugazki gleichermaßen "verfilmte", wie German es hier tut. Von einem Plot im landläufigen Sinne kann dabei - entgegen vieler Kritiken, die ihn arglos vom Buchrücken zitieren - ebensowenig die Rede sein wie von anderen Konstanten gängiger Erzählkinobeschreibung: Begriffe wie "Akt", "Szene", "Figur", "Dialog" suggerieren eine Ordnung des Sicht- und Hör- und Verstehbaren, die German mit gewaltigem Aufwand dem Erdboden gleich macht.

Was man sieht, hört, versteht: Menschen, die in einem riesigen festungsartigen Areal ziellos herumexistieren. Dutzende Körper - mit einer einzigen Ausnahme alles Männer - in Lumpen, Uniformen oder nackt, tot, halbtot oder lebendig. Gesichter, die schwachsinnig von der Leinwand grimassieren, mit den Augen rollen, rotzen, kotzen, Obszönes brabbeln (aber nicht tun: Sex, Fortpflanzung vor allem ist verdächtig abwesend). Qualmdurchwölkte Innenräume, in denen krude gestapelter Tand allenthalben die Sicht verstellt, egal, wie tief die Kamera am Boden kriecht oder den Hals reckt. Auf den Tischen faulige Nahrungsreste und Gedärm, daneben stumme Kühe, die aufs Beil warten. Draußen: Ewiger Regen, der von den Mauern rinnt und die scheißedurchwirkte Erde in alle nur erdenklichen Feuchtigkeitsstufen aufweicht, Sumpfschlickschlamm, Matschmoormorast. Obwohl die Luft für Staub zu schwer ist, weht stets ein Schleier aus Schwebeteilchen durchs Bild: Federn, Schuppen, Rauchschwaden, Kohleflöckchen. Glatte, ebene Flächen sucht das orientierungslose Auge vergebens, findet bloß lawinenartig zerklüftete Aufschüttungen und Pfuhle. Geometrie ist eine Sache der Zivilisation.

In deren Abwesenheit wird gesucht und gefunden: ein Gott in Gestalt eines bärtigen Hünen (Leonid Jarmolnik), der die vollen drei Stunden unentwegt irgendwie präsent ist, vor oder zumindest im nahen Off der Kamera - ein Fixpunkt, der nichts wirklich fixiert. Sein Eingreifenwollen, Nichteingreifenkönnen, Resignierenmüssen angesichts des atavistischen Horrors, der ihn umgibt, verbalisiert der Titel und hat manch einer als Interpretationsanker begriffen, um den Film an die allegorische Kette zu legen: "Rückständiger Isolationismus unter Putin", man weiß ja, wie das läuft. Um derlei handliche Gleichnisse zu schlucken, müsste man freilich selbst auf den Gott, der ein falscher ist, hereinfallen, ihm als sinn- und formbegieriger Zuschauer eine Stablisierungsmacht zusprechen, die er nicht hat. Transzendenz doesn't live here anymore, alles ist Körper und Materie, organischer Ab- und Zerfall, sonst nichts. Vergebene Liebesmüh, sich über eine sowas von finale Vision erheben zu wollen: Man muss ganz einfach in ihrer Scheiße ertrinken.











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