|
Eine amerikanische Kleinstadt. Eine Gruppe junger Außenseiter hat einen Club gegründet: Die Dandies. Sie treffen sich in einem verlassenen Minenschacht und gehen begleitet von der Musik der Garage-Beat-Kultband "The Zombies" ihrer schwärmerischen Verehrung von historischen Waffen nach. Dabei sind sie jedoch keine Gang von klassischen Waffennarren. Das Gegenteil ist der Fall: Sie bezeichnen sich als Pazifisten. Die Waffen dienen ihnen, ein gesundes Selbstbewusstsein aufzubauen und sich so in einer von Konflikten und Sozialdarwinismus bestimmten Welt gleichberechtigt zu fühlen. Die Waffen gegen Menschen zu richten ist untersagt. Man übt und verbessert sich einfach zum Selbstzweck in der Kunst des Schießens auf Scheiben. In Verkleidungen des 19. Jahrhunderts strebt die Gruppe der Dandies nach sozialer Perfektion in ihrer Gegenwelt. Man huldigt einem schwelgerischen Romatizismus bis in Person des jungen schwarzen Sebastian eine eher zynisch geartete Figur und vor allem die Realität in ihre Kunstwelt eindringt. Das System bekommt Risse und plötzlich sehen sich die Dandies einem Konflikt mit den normalen Menschen gegenüber, der zudem auch noch eskaliert. Aber man ist ja gottseidank bewaffnet...
Thomas Vinterberg ist weltweit zu Ruhm durch FESTEN (DAS FEST) gekommen. Er drehte damit den ersten DOGMA 95-Film weltweit und verschaffte zusammen mit Lars von Trier seiner Heimat Dänemark einen unvergleichlichen cineastischen Boom. Vinterberg versuchte dann sein Glück in den USA, was jedoch nur leidlich funktionierte. Mit DEAR WENDY nun wendet sich Vinterberg wieder dem europäischen Kino zu, obwohl die Story in den USA angesiedelt ist. Sein Kumpel Lars von Trier schrieb in seiner Phase der Beschäftigung mit den Mechanismen der amerikanischen Gesellschaft (DOGVILLE, MANDERLAY) das Buch zu DEAR WENDY und bot es mangels Zeit Vinterberg zur Verfilmung an.
Auch in diesem Film versucht Lars von Trier zu ergründen, weshalb die amerikanische Gesellschaft, so ist, wie sie eben ist. Der Club der Dandies erinnert an den Idealismus und den individualistischen Freigeist der Pioniere. Diese wollen einfach nur unbehelligt von den anderen ihren neu- und selbstgeschaffenen Ritualen und Leidenschaften nachgehen. Dabei vereint sie ein naturalistischer und doch elitärer Romatizismus, der sich aus der alten Welt (Oscar Wilde, Lord Byron, Friedrich Nitetzsche) als auch den spezifischen Besonderheiten der neuen Welt zusammensetzt. Man könnte sie als Jünger Walt Whitmans bezeichnen. Durch den Einbruch der Mechanismen der Gesellschaft in ihre perfekte und sogar sympathische Welt durch ganz unelitäre Gefühle wie Eifersucht, Neid, Eitelkeit und letztlich sogar Liebe bricht die Gegenwelt zusammen und das perfekte und von hehren Gefühlen angetriebene Miteinander zerbricht in hohlen Pathos, kitschiges Märtyrertum und falschen Stolz. Alles entlädt sich in einer völlig unnötigen und ebenso brutalen Gewalteskalation.
So intelligent das Drehbuch von Triers ist, so schwungvoll ist die Inszenierung Vinterbergs. Die Gründung des Clubs der Dandies, deren schwärmerische Romantik erinnert an Peter Weirs meisterhaften DEAD POET'S SOCIETY (Der Club der toten Dichter), nur dass in diesem Film eine Wendung vollzogen wird, die von Weirs positivistisch-melancholischen Werk nicht geteilt wird. Unterstützt durch die kinematographisch glücklicherweise noch unverbrauchte Musik der Zombies (außer der Malcolm McLaren-Version von "About her" in KILL BILL VOL.2) meint man in der ersten Stunde einem gewollten Kultfilm beizuwohnen, bis Vinterberg/von Trier den Traum zerplatzen lassen. Aber selbst in den eher ernsten Szenen, zeichnet den Film eine ironische Leichtigkeit und Frische aus, die durch die unverbrauchten Gesichter der sehr guten Darsteller manifestiert wird. Vinterberg bleibt seinen Dogmawurzeln zwar treu und bemüht eine bewegte DV-Handkamera, jedoch orientiert er sich dort eher an den nichtdogmatischen Werken von Triers wie DOGVILLE oder DANCER IN THE DARK. Die Kamera von Anthony Dod Mantle (28 DAYS LATER) ist zwar dynamisch-agil, verfällt aber nicht in das mittlerweile verbrauchte Dogma-Gewackel. In seiner exemplarhaften Einfachheit erinnert er – trotz realistischer Kulissen – an das fast schon Brechtsche Theater, was uns von Trier mit DOGVILLE geboten hat.
So funktioniert der Film sowohl auf der inhaltlichen wie auch der formalen Ebene ganz famos und bietet prächtige Unterhaltung mit Intelligenz, Pfiff und Niveau. Mit Sicherheit ist DEAR WENDY einer der intelligentesten Filme des Jahres.
|
|
|